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nmz-archiv
nmz 2004/12 | Seite 46
53. Jahrgang | Dez./Jan.
Bücher
Was die Welt im Innersten zusammenhält
Die deutsche Philosophie und die Musik
Stefan Lorenz Sorgner/Oliver Fürbeth (Hg.): Musik in
der deutschen Philosophie. Eine Einführung, Verlag J.
B. Metzler, Stuttgart, Weimar 2003, 221 S., € 34,95, ISBN
3-476-01869-5.
Macht Musik weise? Wenn es so wäre, bestünde hierzulande
noch Hoffnung. Denn wie der Sammelband „Musik in der deutschen
Philosophie“ auf bislang einzigartige Weise resümiert,
dürfen wir auf eine große Tradition im Nachdenken über
Musik zurückblicken. Kontinuierlich haben deutsche Philosophen
das Rätsel der Musik und damit das Rätsel der Welt zu
lösen versucht – zumindest in der Theorie.
Musik als Offenbarung, als Weltverbesserung, als Opium, als Utopie
– immer schon wurde der Musik eine qualitative Veränderung
des Menschen zugeschrieben. Der Philosophie der Musik ging es stets
ums Ganze. Bis weit ins 20. Jahrhundert war das Verhältnis
der Philosophie zur Musik spekulativer Natur. Auf der Suche nach
dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“,
ist das Musikalische als Grenzfall des rationalen Begreifens ausgelotet
worden. Nicht zufällig ist Thomas Manns moderner „Doktor
Faustus“ eine Symbolfigur der haltlosen „deutschen“
Sehnsucht nach musikalischer Grenzüberschreitung.
So überrascht es nicht, dass der Kanon musikalisch inspirierter
Philosophen zugleich den Kanon der deutschen Geistesgeschichte darstellt:
Kant, Schleiermacher, Hegel, Schelling, Schopenhauer, Nietzsche,
Bloch, Heidegger, Gadamer und schließlich Adorno werden als
jene Spezies von Musiktheoretikern porträtiert, die keine Notenbeispiele
braucht, um zu erklären, was Musik ist. Europäische Einflüsse
dagegen (etwa Platon, Rousseau) werden leider zu Fußnoten
der Musikgeschichte herabgewürdigt.
Offenbar hörten aber wirklich alle „unsere Besten“
auf die Musik: Schon Luther sah in der Musik ein Mittel zur Besserung
der Menschen und zur Vertreibung des Teufels. Kepler lauschte dagegen
lieber der Sphärenharmonie, dem Zusammenklang von Kosmos und
Seele. Die kopernikanische Wende zur Musikästhetik brachte
dann bekanntlich ein anderer: Kant. Obwohl Kant die Musik noch als
die „Sprache der Affekte“ charakterisierte, hat er den
Begriff der „absoluten“, von allen Zwecken befreiten
Musik grundgelegt. In der Romantik begegnet dieses „Absolute“
schließlich doppelt: symbolisch im „Klang“ als
dem Medium des Weltinneren (Schelling) sowie in Gestalt der reinen
Instrumentalmusik. In deren Emanzipation sah jedoch bereits Hegel
die hochartifizielle Inhaltsleere der Moderne heraufdämmern.
Wie am Beispiel Schopenhauers
unterstrichen wird, hat die romantische Idee der absoluten Musik
einen geradezu esoterischen „Musikkult“ hervorgerufen,
der „speziell in Deutschland und Österreich bis in die
Gegenwart Bestand“ habe. Angesichts des allgegenwärtigen
kulinarischen Musik-Konsums fragt man sich, wo das tatsächlich
noch der Fall sein soll? Musik als „Gottesdienst“ dürfte
ebenso ausgedient haben wie Blochs und Adornos Politisierung der
Musik als Bild eines gesellschaftlichen „Andersseins“.
So macht der Band einen hoffnungslosen Relevanzverlust der Musik
deutlich. Seit Adorno hat es offenbar keine neue Philosophie der
Musik mehr gegeben. Dies bedeutet nicht nur einen Utopieverlust
für die Philosophie, sondern auch für die Musik.