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nmz-archiv
nmz 2004/12 | Seite 44
53. Jahrgang | Dez./Jan.
Rezensionen
Lasst uns froh und Dolby Surround sein
Letzte zu befürwortende DVD-Veröffentlichungen 2004
Winter 2004. Der DVD Markt riecht weniger nach gebrannten Mandeln
als verdächtig nach Zusammenbruch. Und Ausverkauf. Sämtliche
Back-Kataloge aus dem VHS-Segment wurden überspielt, alle Konzerte
der Jahre 1960 bis 1990 scheinen auf dem Medium DVD eine neue Heimat
gefunden zu haben. Aber was nun? Noch Älteres herauskramen?
Auf Querschnitt DVD/CD setzen? Warten, was die Amerikaner machen?
Zu allem ein klares „Ja“. Parallelen und Ideenlosigkeit
zur Entwicklung der CD machen sich breit. Gut, dass es dennoch DVDs
gibt, die man rechtfertigen und käuferisch in Erwägung
ziehen kann.
Peter Gabriel mit „Play The Videos“ steht oben auf
dem Wunschzettel. Bekannt für seine extravaganten Videos (der
Zeit voraus, nie abgelutscht), erwarten den Seher 25 Clips, die
Generationen von Videoregisseuren beeinflussten. Man denke an „Sledgehammer“,
„Big Time“, „Steam“ oder „Digging
in the Dirt“. Eine künstlerische Zeitreise, die mit Bonusmaterial
nicht geizt. Phil Collins, ex- Genesis Kollege von Gabriel, ist
bei „Finally…The First Farewell Tour“ noch freizügiger:
360 Minuten lässt er sich beim Livekonzert in Paris (25 Songs,
2 DVDs, alle Hits, exzellente Liveband) beobachten, natürlich
aus verschiedenen Kameraperspektiven und „Hinter den Kulissen“
im Bonusbereich. Qualitativ wertvoll im Segment Seichtpop. An Wert
und Kult und Begeisterung übertrifft sich der mittlerweile
zum „Sir“ geschlagene Eric Clapton beim „Crossroads
Guitar Festival“, einer Doppel DVD, die einen Livemitschnitt
auf der Karibikinsel Antigua offeriert. Drei Tage lang lud Clapton
die besten Gitarristen der Welt ein um für einen wohltätigen
Zweck zu spielen. Es solierten Jeff Beck, Santana, Joe Walsh, James
Taylor oder Jimmie Vaughan miteinander oder in verschiedenen Konstellationen.
Großartiger Blues über 300 Minuten.
Völlig von der anderen Seite kommt ein junger R&B Star
daher: Alicia Keys und ihr 79-minütiges Homevideo „The
Diary of Alicia Keys“. Die Grammy-Gewinnerin setzt bei dieser
DVD auf Dokumentation; man lernt Alicia Keys zu Hause, hinter der
Bühne und im Alltag kennen. Absolut gelungen.
Bodenständig und weit weg von diesem Starrummel präsentiert
Willie Nelson „Outlaws & Angels“, sein im „Wiltern
Theatre“ (Los Angeles, Frühjahr 2004) aufgezeichnetes
Konzert. Mit dabei sind bei diesem Best Of –Highlight etwa
Joe Walsh, Bob Dylan, Carole King, Al Green oder Keith Richards.
Eine Hochstunde der Folkmusik, ein Genuss von Minute 1 bis 88.
The Mavericks und ihre durchgedrehte Mischung aus Latin, Rockabilly,
Soul, Spanisch und Englisch gibt es als Live- Premiere bei „Live
in Austin, Texas“ auf DVD (135 Minuten) zu sehen. Aufgezeichnet
wurde ein am 2. Juni 2004 im „Stubb’s Barbecue“
in Austin (Texas) abgehaltenes Konzert, dem nicht nur ein Best Of
– Charakter der Band unterstellt werden kann, sondern in fantastischer
Art und Weise auch hohe Spielkunst, Spaß an der Musik und
ein Händchen für Melodien. Zum kennen lernen und dann
nie wieder hergeben. Nachdem alle von Eva Cassidy zu Lebzeiten entstandenen
Songs nun auf CD veröffentlicht sind, gibt es zu Weihnachten
die bisher einzige DVD zu erwerben. Eine private, leicht braunstichige
und nachbearbeitete Live-Aufnahme mit zehn Songs und ihren Hits
wie „Over The Rainbow“ gibt es bei „Eva Cassidy
sings“ zu hören. Ein Emotionskino der besonderen Art,
Tränengarantie inklusive. David Byrne, einst Talking Heads
Vordenker, nun allein gängiger Introvertierter in Sachen Kunstmusik,
gibt es bei „Live at Union Chapel“ zu bestaunen. Ein
Konzert aus dem Jahr 2002 wurde mitgeschnitten, deutlich wird bei
ihm trotz aller zuteil werdenden Genialität, dass die Talking
Heads Songs in der Setliste eindeutig die besseren sind, als seine
schwer zugänglichen Kompositionen der Eremitenzeit. Trotzdem
87 Minuten mit Klassemusik, wunderbaren Texten und einer Hammerband.
Die Spitze des DVD- Weihnachtsbaums bildet Gene Simmons, ehemaliges
Enfant terrible der Rockszene und noch Sänger/Bassist bei der
unzerstörbaren Skandalband KISS. „Speaking in Tongues“
bedeutet Gott sei Dank keine weiteren KISS- Songs aber eines der
interessantesten Selbstportraits 2004. Gene Simmons, mittlerweile
auch unter die Zeitungsverleger gegangen, erzählt vor australischem
Publikum über sein Leben und seinen Erfolgsweg. Ironisch, witzig,
und sarkastisch werden Themen wie Sex, Geld, Musik und Ruhm angesprochen.
Sven Ferchow
• Peter Gabriel: Play the Videos, Warner Music Vision
• Phil Collins: Finally…The First Farewell Tour, Warner
Music Vision
• Eric Clapton: Crossroads Guitar Festival, 651 + 66 (WSM/Rhino)
• Alicia Keys: The Diary of Alicia Keys, Eagle Vision
• Willie Nelson: Outlaws & Angels, Eagle Vision
• The Mavericks: Live in Austin, Texas, Sanctuary
• Eva Cassidy: Eva Cassidy sings, Hot Records
• David Byrne: Live at Union Chapel, 651 + 66 (WSM/Rhino)
• Gene Simmons: Speaking in Tongues, Sanctuary