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nmz-archiv
nmz 2004/12 | Seite 33
53. Jahrgang | Dez./Jan.
ver.die
Fachgruppe Musik
Profit für den Kulturstandort Deutschland
Hartz-Gesetze: Veronika Mirschel und Burkhard Baltzer befragen
Staatsministerin Christina Weiss
Keine sozialen Amputationen durch die Hartz-Gesetze, behaupten
Staatsministerin Christina Weiss und das Bundesministerium für
Wirtschaft und Arbeit gegenüber der neuen musikzeitung auf
die Fragen von Veronika Mirschel und Burkhard Baltzer.
neue musikzeitung: Die Pflege von Kultur soll demnächst
als Aufgabe in der Verfassung verankert werden. Angesichts der Hartz-Gesetze
befürchten viele Künstler/-innen, die in freien Berufen
materiell überwiegend zu den Armen in dieser Republik zählen,
dass sich neben den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für
Kunst und Kultur auch ihre Existenzmöglichkeiten dramatisch
verschlechtern. Können Sie diejenigen beruhigen, die fürchten,
dass Sozialhilfe empfangende Schriftsteller, Grafikerinnen oder
Musiker demnächst auf 1-Euro-Basis Laub harken müssen
oder zur schulischen Kernzeitbetreuung herangezogen werden? Ist
dies auszuschließen?
Christina Weiss: Im Rahmen der Arbeitsmarktreform wird
es zur Einführung eines so genannten Fallmanagements kommen.
Hierbei wird arbeitslosen Menschen ein individueller und qualifizierter
persönlicher Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Es
geht insbesondere darum, die Talente und Potentiale jedes Einzelnen
zu nutzen und einzelfallbezogene Integrationsstrategien in den Arbeitsmarkt
zu erarbeiten und festzulegen. Wer aufgrund zu langer Arbeitslosigkeit
oder aus anderen Gründen absehbar nicht in den allgemeinen
Arbeitsmarkt eingegliedert werden kann, wird daher in Zukunft andere
Angebote bekommen, welche die Chance auf Wiedereingliederung in
den Arbeitsmarkt erhöhen.
Hierbei kommt dem Bereich der öffentlich geförderten Beschäftigung
eine große Bedeutung zu. Gemäß den Bestimmungen
des § 16 Abs. 3 SGB II wird öffentlich geförderte
Beschäftigung um arbeitsmarktorientierte Leistungen wie die
Schaffung von zusätzlichen Arbeitsgelegenheiten erweitert.
Diese sind grundsätzlich als Ermessensleistung in unterschiedlichen
Ausgestaltungen vorgesehen:
Zum einen kann die Schaffung von Arbeitsgelegenheiten in einem
Arbeitsverhältnis erfolgen. Hier wird – wie in einem
regulären Arbeitsverhältnis – das für diese
Tätigkeit übliche Entgelt einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge
gezahlt. Die Arbeit muss weder gemeinnützig noch zusätzlich
sein. Daneben sind Arbeitsgelegenheiten im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme
(ABM) vorgesehen. Es handelt sich hier um ein sozialversicherungspflichtiges
Arbeitsverhältnis, allerdings ohne Beiträge zur Arbeitslosenversicherung.
Instrumente der Hilfe
Des Weiteren wurde mit der Möglichkeit, Arbeitsgelegenheiten
für im öffentlichen Interesse liegende zusätzliche
Arbeiten im so genannten Sozialrechtsverhältnis („Zusatzjobs”)
durchzuführen, ein bewährtes Instrument der Hilfe zur
Arbeit aus dem Bundessozialhilfegesetz in die Grundsicherung für
Arbeitsuchende überführt und soll nur für erwerbsfähige
Hilfebedürftige geschaffen werden, die ansonsten keine Arbeit
finden können. Zusatzjobs sind in der Regel keine Vollzeitarbeit.
Die wöchentliche Arbeitszeit und die Dauer des Jobs wird nach
den individuellen Erfordernis-sen festgelegt. Es wird eine Mehraufwandsentschädigung
etwa für entstehende Fahrtkosten zusätzlich zum Arbeitslosengeld
II und gegebenenfalls weiteren Leistungen gewährt:
Abschließend ist festzuhalten, dass mit dem Abs. 1 des §
16 SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende –
nahezu alle Leistungen zur Eingliederung, welche die Agentur für
Arbeit auf der Grundlage des SGB III erbringen kann, als Fördermöglichkeiten
genannt werden. Für bisherige Sozialhilfeempfängerinnen
und Sozialhilfeempfänger ist das eine deutliche Verbesserung.
Sie erhielten nur in Ausnahmefällen Zugang zu den Eingliederungsleistungen
der Arbeitsagentur.
nmz: Ist Hartz nicht generell für den „Kulturstandort”
Deutschland schädlich? Immer weniger Menschen werden sich Kultur
leisten können und angesichts materieller Bedingungen leisten
wollen. Welche Auswirkungen sehen Sie generell für die visionäre
Kraft der Künste, wenn die darin Tätigen ihre Projekte,
gesellschaftlichen Projektionen und Lebensplanungen daran ausrichten
müssen, grundsätzlich existieren zu können? Weiss: Ich bin nicht der Meinung, dass Hartz IV generell
für den Kulturstandort Deutschland schädlich ist. Grundsätzlich
sind Künstlerinnen und Künstler wie alle Bürger unseres
Landes auch heute schon gehalten, ihre Lebensplanungen so auszurichten,
dass ihre Existenz gesichert ist. Das „Hartz IV”-Gesetz
verändert oder verschlechtert diese Situation nicht. Die bisherigen
direkten und indirekten Förderungen der Künstlerinnen
und Künstler wird es auch zukünftig geben. Ich gehe davon
aus, dass dadurch mehr Wachstum und Beschäftigung entsteht
und der Kulturstandort Deutschland davon profitiert. Was den Filmbereich
betrifft, so sind wir dabei, durch Maßnahmen zur Verbesserung
der finanziellen, rechtlichen und auch der steuerrechtlichen Rahmenbedingungen
eine stärkere Auslastung der Filmwirtschaft zu erreichen.
Damit würde Ihrem Grundanliegen aus meiner Sicht am besten
entsprochen, denn eine solche Verbesserung würde zu einer höheren
Auslastung sowohl der Produktionsbetriebe als auch der Arbeitsmöglichkeiten
für Kreative führen. Deshalb sehe ich in den Maßnahmen
zur Umsetzung des Hartz-IV-Konzeptes auch im Filmbereich keine Gefährdung
meines Engagements.
nmz: Die Hartz-Gesetze sind derart undifferenziert, was
berufliche Biografien betrifft, dass derzeit nicht einmal die Arbeitsagenturen
Auskünfte geben können, was Künstlerinnen und Künstler
erwartet. Sind die Gesetze mit der „heißen Nadel”
gestrickt, wie viele behaupten, oder wünschte die Bundesregierung
keine differenzierte Fallbeurteilung? Weiss: Hilfebedürftige müssen in eigener Verantwortung
alle Möglichkeiten nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen
Mitteln und Kräften zu bestreiten. Deshalb ist dem erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen grundsätzlich jede Arbeit zumutbar, es
sei denn, einer der in § 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 SGB II gesetzlich
vorgesehenen Ausnahmetatbestände liegt vor. Als Ausnahmetatbestand
regelt § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB II, dass der Ausübung der
Arbeit ein sonstiger wichtiger Grund nicht entgegenstehen darf.
Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der
entsprechend der Einzelsituation der Auslegung bedarf und dadurch
eine differenzierte Betrachtungsweise ermöglicht. Die Auslegung
hat sich an der Zielsetzung der Vorschrift und den geschriebenen
Ausnahmetatbeständen zu orientieren, wobei besonders zu beachten
ist, dass grundsätzlich eine Pflicht zur Beschaffung des Lebensunterhalts
durch Arbeit besteht. Die Aufnahme einer Arbeit kann für einen
Künstler aber im Einzelfall dann unzumutbar sein, wenn dadurch
die zukünftige, bedarfsdeckende Ausübung seines Berufes
nachweislich ernsthaft beeinträchtigt wird. Beispielsweise
bei Schauspielern, die immer wieder zumindest kurzzeitig engagiert
werden, könnte demnach im Einzelfall ein sonstiger wichtiger
Grund der Arbeitsannahme entgegenstehen, wenn davon auszugehen ist,
dass sie in absehbarer Zeit ihren Lebensunterhalt durch die Ausübung
des Schauspielberufes decken können. Damit könnte in Einzelfällen
eine berufsfremde Arbeitsaufnahme in den Theaterferien unzumutbar
sein, wenn dadurch ein in Aussicht stehendes Engagement für
die nächste Spielzeit ernsthaft beeinträchtigt wird.
nmz: Freiberufliche Künstlerinnen und Künstler
wissen nicht, ob Arbeitsmittel wie etwa ein Konzertflügel oder
das im Atelier befindliche, unverkaufte Werk eines Malers oder die
Bibliothek eines Autors mit vielen kostbaren Erstausgaben erst veräußert
werden müssen, bevor Unterstützung fließt. Wie soll
dies generell und wie soll es einheitlich gehandhabt werden?
Weiss: Vermögensgegenstände, die für die
Aufnahme oder Fortsetzung einer Berufsausbildung oder der Erwerbstätigkeit
unentbehrlich sind, sind nach § 4 Abs. 1 der Arbeitslosengeld
II/Sozialgeld-Verordnung nicht als Vermögen zu berücksichtigen.
Hierzu können auch Arbeitsmittel von Künstlern –
wie ein Konzertflügel, der zu Übungszwecken erforderlich
ist, oder die Bibliothek eines Autors gehören. Das im Atelier
befindliche, unverkaufte Werk eines Malers wird zunächst grundsätzlich
als verwertbares Vermögen zu berücksichtigen sein, soweit
es nicht als Arbeitsmittel erforderlich ist.
Allerdings wäre im Einzelfall zu prüfen, ob dieses Werk
in angemessener Zeit zu veräußern ist, ob eine sofortige
Verwertung unwirtschaftlich wäre und ob der Wert des Werks
zuzüglich des sonstigen verwertbaren Vermögens die Freibeträge
übersteigt. Der Erlös aus dem Verkauf eines solchen Werks
ist aber als einmalige Einnahme zu berücksichtigen, die den
Anspruch auf Arbeitslosengeld II mindern kann.
Schutz für Rücklagen
nmz: Freiberufliche, die in Zeiten besseren Verdienstes
Rücklagen für ihre private Alterssicherung getroffen haben,
müssen damit rechen, dass diese durch die Hartz-Gesetze weitgehend
abgeschmolzen werden. Damit sind sie erheblich schlechter gestellt,
als Angestellte, denen von ihrem Arbeitgeber eine betriebliche (unantastbare)
Alterversorgung zugesagt wurde. Sehen Sie eine Chance, für
das geplante „Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung”
einen Passus anzuregen, der diese Rücklagen vor dem Zugriff
schützt? Weiss: Gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 3 SGB II sind
vom Inhaber als für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnete
Vermögensgegenstände in angemessenem Umfang nicht als
Vermögen zu berücksichtigen, wenn der erwerbsfähige
Hilfebedürftige oder sein Partner von der Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist.
Sachen und Rechte werden nicht als Vermögen berücksichtigt,
soweit ihre Verwertung unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen
eine besondere Härte bedeuten würde (§ 12 Abs. 3
Nr. 6 SGB II). Die Verwertung von Sachen und Rechten ist dann offensichtlich
unwirtschaftlich, wenn durch die Verwertung ein Erlös von weniger
als 90 Prozent der eingezahlten Beträge zu erwarten ist.
nmz: Ateliers, Proben-, Konzert- und Bühnenräume
sind bisher vielfach subventioniert worden. Bedeutet die zukünftige
Praxis eine Abkehr davon? Oder werden Ateliers und so weiter künftig
über das Wohngeld und Heizkostenzuschüsse gefördert?
Weiss: Grundsätzlich werden im SGB II die tatsächlichen
Unterkunftskosten übernommen, soweit diese angemessen sind.
Die Angemessenheit beurteilt sich nach den individuellen Verhältnissen
des Einzelfalles, nach der Zahl der Familienangehörigen, ihrem
Alter, Geschlecht und ihrem Gesundheitszustand. Ausgehend von diesen
individuellen Verhältnissen des Hilfesuchenden und seiner Angehörigen
sind die Anzahl der Räume, das örtliche Mietniveau und
der örtliche Wohnungsmarktes zu beurteilen.
Soweit Sie auf die Finanzierung von Atelier-, Proben-, Konzert-
und Bühnenräumen abstellen, ist zu differenzieren, ob
sich die Räumlichkeiten in der Wohnung des erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen befinden, oder ob es sich um Räume außerhalb
der Wohnung handelt. Sofern eine Wohnung unangemessen groß
ist, weil sie von dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
gleichzeitig beispielsweise als Atelier genutzt wird, bestehen zwei
Möglichkeiten: Sofern der Künstler selbstständig
ist und über ständiges – wenn auch nicht bedarfsdeckendes
Einkommen – verfügt, können die Kosten für
den Atelierraum als Werbungskosten von dem Einkommen abgezogen werden.
Eine ungekürzte Version des Interviews finden Sie in der
Zeitung „Kunst und Kultur“ 8/2004