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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 41
54. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Versöhnung der Medien – ein produktives Missverständnis
Georg Katzers „Maschinenmensch“: das erste Kooperationsprojekt
von Deutschem Musikrat und Bundeskunsthalle
„Im allgemeinen zwei- bis viermal“. Jedenfalls „so
oft, daß es verstanden werden kann“, meinte Alban Berg
auf die Frage, wie häufig ein neues Werk aufzuführen sei.
So bescheiden war der Komponist im Krisenjahr 1918 als er sich daran
machte, den Prospekt des „Vereins für musikalische Privataufführungen“
zu Papier zu bringen. Von solcher Utopie indes ist die Kunstgemeinde
heute, sofern sie (noch) Interesse nimmt am aktuellen Kunstgeschehen,
weiter entfernt denn je. „Zwei- bis viermal“? Schön
wär’s.
„Der Maschinenmensch“:
multimediale Performance für Kontrabass mit Stimme,
Sopran, Tänzer, zwei Schlagzeugern, Videos, Tonspuren,
Live-Elektronik frei nach La Mettrie, „L’homme
machine“, Leiden, 1747. Foto: Jean Severin
Ein Vergleich drängt sich auf: So wie die Jugend mit Kommunion
und Konfirmation aus den Kirchen herauskonfirmiert wird, so wird
das neue Werk mit seiner Uraufführung aus dem Repertoire, in
das es indes nur erst virtuell eingetreten ist, bereits wieder verabschiedet,
was freilich einen weiteren Schluss zwingend erscheinen lässt:
Der Betrieb der neuen Musik betreibt in einem fort seine eigene
Erschaffung wie Selbstabschaffung. Ein Festival ohne Uraufführungen?
Undenkbar! Doch gemach! Nach dem Festival brauchen wir – sofern
erfolgreich uraufgeführt wurde – nicht mehr daran zu
denken, brauchen uns von keinem noch so radikalen Gedanken keines
noch so radikalen Komponisten mehr beunruhigen zu lassen. Aus und
vorbei. Leichen pflastern ihren Weg – den der neuen Musik
nämlich. Soweit so schlecht. Dass sich da etwas ändern
muss, hat sich herumgesprochen. Doch was tun?
Was tun! sagt der Deutsche Musikrat und hat jetzt sein „1.
Kooperationsprojekt mit der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik
Deutschland“ aus der Taufe gehoben. Die steht bekanntlich
in Bonn, ist groß und offen für vieles und war in der
Vergangenheit schon des Öfteren Schauplatz avancierter Avantgarde-Veranstaltungen.
Jetzt haben beide Partner sich zusammengetan, um dem schon von Berg
im Revolutionsjahr „Neunzehnachtzehn“ erkannten Missstand
abzuhelfen, um (wenigstens) die (eine oder andere) Uraufführung
vor dem Odium des Begräbnisses Erster Klassse zu bewahren.
Dass freilich der unschöne Trend auch durch die jetzt initiierte
mutige Reihe „Förderungsprojekte zeitgenössischer
Musik“ nicht umgekehrt, gar zum Verschwinden gebracht werden
könnte, ist auch Hannelore Thiemer klar, die beim Musikrat
fürs hoffnungsvoll gestartete Förderungsprojekt die Verantwortung
trägt. Zu lange ist sie im Geschäft, als dass sie nicht
wüsste, welche Barrieren selbst bei den „natürlichen“
Ansprechpartnern, den Fachredaktionen der Tageszeitungen etwa, zu
nehmen wären. Die gelernte Musikwissenschaftlerin lächelt
denn auch, wenn sie darauf angesprochen wird und kann sich im nächsten
Moment doch für den Star dieses ersten Projekts, den Komponisten
Georg Katzer und dessen „multimediale Performance „Der
Maschinenmensch“ nach Texten des französischen Radikalmaterialisten
La Mettrie (und Texten Katzers) begeistern, worin ihr nach vollbrachter
Vorstellung die zahlreich anwesenden Bonner Gymnasiasten völlig
unaufgefordert beipflichten.
Zwar geht denen der ganze von Katzer herbeizitierte Bildungskanon
ziemlich am Allerwertesten vorbei – doch gerade das macht
(horribile dictu) überhaupt nichts. Stattdessen verbeißt
man sich noch auf den Rängen diskutierender Weise in diese
und jene Szene, macht sich wechselseitig aufmerksam, ob er oder
sie dieses oder jenes Detail des Katzerschen Feuerwerks mitbekommen
habe oder nicht. Auch wenn es eine Floskel sein mag – lebendige
Kommunikation geht wohl kaum anders als so. Wer sich darunter jedenfalls
das Wiederkäuen so genannter „Unterrichtsziele“
vorstellt, verwechselt wahrscheinlich immer noch schola mit vita.
Auf Letzteres aber erhebt die Kunst, erhebt Georg Katzer und mit
ihm Deutscher Musikrat und Bundeskunsthalle Anspruch, wenn sie Musiktheater
machen. nsofern brauchen denn auch die unverkennbaren Stärken
mit den ebenso unverkennbaren Schwächen von Katzers „Maschinenmenschen“
an dieser Stelle nicht weiter verrechnet zu werden. Immerhin war
die Uraufführung dieses äußerst aufwändigen
Werkes, das tatsächlich als Mix aus Sprechtheater, Hörspiel,
Tonbandzuspielungen, Tanz, Gesang, Videoprojektion, wilden Filmverschnitten
zu noch wilderen Schlagzeugsoli total multimedial daherkommt, bereits
vor vier Jahren im brandenburgischen Rheinsberg als Auftragswerk
der dortigen Musikakademie in der Regie von Alexander Stillmark
zu erleben (nmz 7/8-2000).
Was schließlich die Frage der Wirkung der Kunst auf Kunstfreunde
und anwesende Kunstskeptiker anging, so war es zweifellos der Reichtum
der Vorführung, dieses Mikado der übereinander- und durcheinanderpurzelnden
Ebenen, der insbesondere die skeptische Schülerschaft in ihrer
ach so weltläufigen Coolness erkennbar für einen Moment
hat irrewerden lassen. Der Moment der Kunst. Andererseits: Nicht
die Botschaft des Stücks – der radikale Humanismus Katzers,
der Triumph der (weiblichen) Stimme über das (männlich)
Maschinelle – war für dieses junge Publikum die Botschaft.
Eher schon der Versuch, auf der Bühne das Unmögliche möglich
zu machen, den ästhetischen Schein (wenn ein Tänzer in
der Projektion verschwindet) mit dem Pathos dokumentarischer Filmbilder
(Massenchoreografien und industrielle Massenfertigung) artistisch
verschmolzen zu sehen. Toll!
Ein (produktives) Missverständnis gehörte so am Ende
eben auch zu den erfreulichen Resultaten dieses kurzweiligen Abends.
Was Katzer durchaus als Versöhnung der Medien, zugleich als
Test auf deren Kunstfähigkeit begreift, um sie dialektisch
gegen den von ihm diagnostizierten politischen Zwang wie das (durch
„Neunundachtzig“ keineswegs verschwundene) zwanghafte
Verhalten zu mobilisieren, indem er das seelenlos Maschinelle in
einer finalen Schlagzeugorgie gleichzeitig beschwört wie bannt
(Eisler lugt hier tatsächlich aus allen Schraubverbindungen),
rezipiert die Welt unter Zwanzig solch unerhörtes Kunstgeschehen
als buntes Weltgetümmel (vulgo: Collage) und nimmt sich, was
sie braucht. Nun gut. Doch warum eigentlich nicht? Ist immerhin
ein Anfang. Und – vergessen wir nicht: Nur Maschinenmenschen
wären folgsamer.