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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 42
54. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Stiller ästhetischer Widerstand in der Kontinuität
Dem Komponisten Georg Katzer zum siebzigsten Geburtstag
Die Orchesterstücke des Komponisten Katzer tragen oft scheinbar
verschlüsselte Titel: „Offene Landschaft mit obligatem
Ton e“ zum Beispiel oder „Gloria für Orchester“
und, gar nicht aktuell, weil schon 1992 entstanden, „Landschaft
mit steigender Flut“. Georg Katzer, 1935 im schlesischen Habelschwerdt
geboren, schätzt solche Verrätselungen und Mehrdeutigkeiten,
die sich jedoch nicht in planen Verbalisierungen darstellen, vielmehr
in differenzierten und konstrastreichen kompositorischen Strukturen
und Klangerfindungen. Die instrumental eingefangenen Natur-Wasser-Geräusche
der „Flut“ assoziieren gleichsam die Umwandlungen und
Verwerfungen des Gesellschaftlichen, wofür Katzer als einer
der profiliertesten und avanciertesten Komponisten der ehemaligen
DDR natürlich ein besonders sensibles Sensorium mitbrachte.
Im anderen Landschaftsstück von 1991, mit „obligatem
Ton e“, steht die Eintonebene als „Chiffre des kulturellen
Assoziationsraumes Europa“ quasi als komponierte konkrete
Utopie, in der Katzer unablässig die orchestralen Klangentfaltungen
in den verschiedensten instrumentalen Kombinationen einander abwechseln
läßt. Und im „Gloria“ (1992) wird das vorwiegend
hymnisch bis pompös verwendete Wort orchestral ironisch zerlegt.
Georg Katzer. Foto: Ch.
Oswald
Für Georg Katzer, der nach seinen Studien bei Rudolf Wagner-Régeny,
Ruth Zechlin und vor allem bei Hanns Eisler seit 1962 als freischaffender
Komponist in Ost-Berlin lebte, bedeutete Komponieren stets auch
eine Möglichkeit des stillen ästhetischen Widerstands.
In dieser Haltung wußte er sich mit anderen DDR-Komponisten
wie Friedrich Schenker, Reiner Bredemeyer, Friedrich Goldmann oder
Udo Zimmermann einig. Dieser Widerstand wurde nicht als lautstarke
Opposition hinausposaunt, geschah vielmehr subversiv: Die überlieferten
musikalischen Gattungen und Genres erfuhren in der kompositorischen
Umsetzung entsprechende Veränderungen und Verformungen, die
gleichsam als Konterbande in den politisch gewünschten ästhetischen
Kodex eingeschmuggelt wurden. Daß Katzer sich diese kritische
Haltung allem sogenannten Gesellschaftlichen gegenüber auch
nach der Wende bewahrt hat, beweisen die eingangs erwähnten
Orchesterwerke. Er hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass es ihm
in der DDR „nicht schlechtging“. Das lag sicher auch
daran, dass speziell den Musikern und Komponisten in der DDR eine
vergleichsweise größere Reisefreiheit zugestanden wurde
als den Vertretern anderer Genres. So durfte Katzer 1982 eine Gastprofessur
in den Vereinigten Staaten annehmen, 1976 und 1977 hielt er sich
zu Studienzwecken in den elektronischen Studios nicht nur in Prag,
sondern auch in Bourges/Paris auf.
Wer Katzers kompositorisches Werk betrachtet – Opern, Ballette,
Instrumentalmusik, Vokalkompositionen und elektronische Musik wie
das Rondo „Bevor Ariadne kommt“ (1976) oder „Stille,
doch manchmal spürest du noch einen Hauch“ (1977) –,
der ist doch mehr als beeindruckt von Zahl, Fülle und Vielgestaltigkeit
des Geschaffenen. Als Komponist hat Georg Katzer äußerst
unterschiedliche Gesichter. Auf der einen Seite steht ein vitales
musikantisches Temperament, die Lust am Virtuos-Spielerischen, die
Erkundung differenzierter klanglicher Kombinationen; auf der anderen
Seite wiederum das Bedürfnis, dies Lustvoll-Spielerische formal
zu disziplinieren, es mit Expressivität aufzuladen und der
Musik eine spezifische Sprachlichkeit zu verleihen. Mit einer solchen
Sprachlichkeit verbinden sich zugleich der Wunsch und die Absicht
zu einer wie auch immer zu definierenden Kommunikation mit dem Musikhörer.
Für Katzer stellte sich die Frage nach den kommunikativen Chancen
einer heute komponierten Musik schon zu DDR-Zeiten, sie beschäftigt
ihn auch heute noch, wobei er sich, sehr aktuell, in guter und junger
Gesellschaft befindet: Viele und gerade jüngere Komponisten
suchen den engeren Kontakt zum Musikhörer, verlangen nach einer
neuen Rezeptionsfähigkeit ihres Schaffens.
Anlässlich seines siebzigsten Geburtstages wäre zu wünschen,
dass sich unsere Musikbühnen einmal intensiver um seine Opernkompositionen
bemühten. Seine „Antigone oder Die Stadt“, zeitlich
exakt in die Spannungen der DDR-Endzeit hinein komponiert und 1991
in der Inszenierung Harry Kupfers an der Komischen Oper Berlin uraufgeführt,
wäre unter veränderten politischen Zeichen gewiss einer
neuen dramaturgischen und szenischen Untersuchung wert. Auch Katzers
chorisches Oratorium „Medea in Korinth“ könnte
man sich in einer szenischen Ausdeutung denken – der Text
von Christa Wolf diente auch schon Michael Jarrell als Vorlage für
eine szenische Aktion. Das gleiche gilt für Katzers Platon-Oper
„Gastmahl oder Über die Liebe“. Wenigstens seine
letzte Theaterarbeit, die in Rheinsberg uraufgeführte La-Mettrie-Oper
„L’homme machine“, erfuhr gerade eine neue Aufführung
– siehe oben.