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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 48
54. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Poesievoller Zustand mikrotonaler Auslotung
Die Klangwerkstatt in Berlin-Kreuzberg 2004 · Von Gisela
Nauck
Im 15. Jahr ihres Bestehens überraschte die „Klangwerkstatt“
vom 5. bis 7. November erneut mit einer Fülle interessanter
Arbeiten und wagemutiger Projekte. Gegründet wurde sie auf
Initiative des Komponisten Peter Ablinger und des damaligen Musikschuldirektors
Wolfgang Schwinger, beheimatet ist sie im Ballhaus Naunynstraße
in Berlin-Kreuzberg. Im Laufe der Jahre wurde sie zu einem Wahrzeichen
dafür, welch künstlerische Qualität entstehen kann,
wenn sich Komponisten, Musikschullehrer und Musikschüler im
Dienst zeitgenössischer Musik ernsthaft aufeinander einlassen.
Damit steht die Nachwuchsförderung im Zentrum der „Klangwerkstatt“,
wofür das erstaunliche Porträtkonzert der erst 19-jährigen,
türkischen Komponistin und Pianistin Sinem Altan ein beeindruckendes
Beispiel war. Seit vier Jahren wird das Festival von dem Komponisten
Michael Beil künstlerisch geleitet, wobei die Programmarbeit
aus einem kreativen Pool heraus erfolgt. Diesem gehören die
Komponisten Kirsten Reese, Helmut Zapf, Ablinger, Beil und Gerd
Rische vom elektronischen Studio der AdK an. Jeder der Beteiligten
arbeitet wiederum mit verschiedenen Ensembles zusammen wie etwa
„Teenmusik“ und „Junge Musik“, hervorgegangen
aus Schülern der Musikschule Kreuzberg, „Experimente“
und „Multiphon“ von der Musikschule Neuköln oder
auch mit professionellen Gruppen wie den Ensembles „Mosaik“
und „Zwischentöne“. Diese Vielfalt sorgte, eingebunden
in die Rahmenstruktur: elektronische Musik am Freitag, instrumentale
Kammermusik am Samstag und experimentelle Musik am Sonntag, für
abwechslungsreiche Konzerte und kompositorische Entdeckungen. Eckpunkte
waren die verzaubernde Installation „quiver“ von Kirsten
Reese und Victorine Müller aus sieben von einer zarten Klangaura
umgebenen, regungslos im Raum liegenden Frauenkörpern, das
Konzert des Ensembles Zwischentöne mit konzertanten Installationen
von Dodo Schielein und Rolf Julius und das Uraufführungskonzert
preisgekrönter Kammermusiken von „Jugend komponiert Berlin/Brandenburg“.
Sie signalisierten, dass man sich keineswegs einer meist öden,
didaktische Zwecke verfolgenden Neue-Musikschul-Musik verpflichtet
fühlt, sondern aktuellsten Tendenzen heutigen Komponierens.
Das macht die eigentliche Qualität der Klangwerkstatt aus und
wurde bereits im multimedialen Eröffnungskonzert deutlich:
bei hochinteressanten Arbeiten von Olaf Rupp („Horakon“
für akustische Gitarre und Video), Tierry de Mey („Musique
de table“ in der bravourösen Version à trois auf
Video + live von Laszlo Hudacsek) oder Orm Finnendahl („grep
2“). Höhepunkte waren die Konzerte des von Helmut Zapf
aufgebauten, hervorragenden Ensembles „Junge Musik“
und des von Enno Poppe geleiteten Ensembles Mosaik. Die „jungen“
Musiker bewiesen mit Peter Köszeghys „Totem“ („Ritual“),
Musik von schreiender Zerborstenheit, gestalterische Klangintensität
oder mit Sebastian Stiers Trio motivisch filigrane Klangarbeit.
Im Konzert des Ensembles Mosaik mit Werken Schweizer Komponisten
beeindruckten besonders die ersten beiden Stücke. Für
die Uraufführung seiner aufstörenden Musik zwischen martialischem
Weltgebaren und Engelsgesang, Tristes und Chaos mit dem Titel „Engelszungen“
(Lamento IX) hätte sich Wolfgang Heiniger keine besseren Musiker
wünschen können. Was hier an Instrumentalgesten herausbrach,
konzentrierte das Klaviertrio „verinnerung“ von Michel
Roth zu einem so energetischen wie poesievollen Zustand mikrotonaler
Auslotung.