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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 46
54. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Erzählende Musik, die direkt zu den Menschen kam
Dritte Ausgabe des Klangzeit-Festival Münster setzte auf
anspruchsvolles Motto
Als Beethoven zurück auf diese Welt kam, sah er den Sockel,
auf dem er lange als Säulenheiliger versteinert war, auf dem
Schrotthaufen der Geschichte errichtet – visuell formulierten
dies 1969 Josef Beuys und Mauricio Kagel im Film „Ludwig van....“,
und der wollte die Antwort der zeitgenössichen Kunst liefern
auf den bürgerlichen Anspruch, große Musik zu musealisieren
und zur Ware zu verdinglichen. Kompositionen, die zum Zeitpunkt
ihrer Uraufführung musikalischen Fortschritt atmeten, wurden
Tapete und zum Einrichtungsgegenstand – etwa so ähnlich,
wie Kagel und Beuys das Beethovensche Notenmaterial zerschnipseln,
also dekonstrurieren, um daraus Papiermöbel zu basteln.
Jenes cineastische Lehrstück, das lange vor dem Zeitalter
der Vereinnahmung von Musik durch Handy-Klingeltöne entstand,
führt in Münster einem Publikum vor Augen, was die gegenwärtig
aufgeführte Musik eben nicht will – um beim Klangzeit-Festival
stattdessen zehn Tage lang vielfältige Wege zu finden, das
zeitgenössische Musikschaffen von den spezialisierten Elfenbeintürmen
herunter zu holen. Wenn Staunen und Kinderlachen die Folge von Vinko
Globokars absurden Späßen auf der Posaune bei dessen
samstäglicher Soloperformance waren, dann kam hier die Musik
sehr direkt zu den Menschen – und das zuweilen an sehr ungewöhnlichen
Plätzen. Aufführungsstätte waren neben der veranstaltenden
Musikhochschule ein freies Theater, ein Soziokulturzentrum, ein
Lichtspielhaus, aber auch ein Hallenbad, in dem die Musiker von
Partita Radicale schließlich sogar mit ihren Instrumenten
ins Wasser gingen, was musikalisch gesehen zwar eher beliebig blieb,
aber dafür mit einem erfrischenden Event-Charakter der Gesamt-Veranstaltung
nicht ungelegen kam. Das in seiner Komplexität anspruchsvolle
Motto „Erzählende Musik“ verlangte also eine durchdachte
Ausgestaltung, bei der sich das Verhältnis von Wort und Musik
in vielerlei semantischen und expressiven Aspekten als kreative
Chance auftat. Helmut Oehring nutzte sie gleich am Anfang sehr treffsicher
in seinem uraufgeführten Werk „Im Dickicht der Zeichen“.
Sein Ensemble „Wire-Works“ wagte sich in unverbrauchte
Ausdrucksdimensionen vor mittels einer Gebärdensprache, die
zur künstlerischen Chiffre erhoben wurde. Wie kaum sonst jemand
ist der aus Köln stammende Komponist dafür prädestiniert,
denn die Gebährden seiner taubstummen eigenen Eltern waren
seine primäre Sozialisationsinstanz.
Ganz andere Wege geht Carola Bauckholt, die sich vom sinnhaften
Gehalt der Worte gelöst hat, um gleichzeitig das Geräusch
zur zentralen kompositorischen Quelle zu erheben. Anders als in
der music concrete, wirkten in Münster etwa der Klang einer
rollenden Kugel, oder das Schaben auf Holz und Blech nicht aus sich
selbst heraus, sondern rückten in den Kontext eines spielerischen
Miteinanders, vor allem seitens der drei hervorragenden Cellisten
des Cellotrio Blu, bestehend aus Ulrike Zavelberg, Tobias Moster
und Caspar Johannes Walter.
Sprache von jeder Semantik zu entkleiden, um diese zum Klangmaterial
zu machen, wie dies auch die niederländische Sängerin
Triuke van der Poel in Bauckholtes Kompositon vorgeführt hatte,
das war Anfang des 20. Jahrhunderts im Umfeld der Dadaisten und
Lautpoesie-Schöpfer zu einer regelrechten Mode geworden –
der Niederländer Jaap Blonk brachte etliche Kostproben davon
sehr mutig und gleichzeitig höchst unterhaltsam zu Gehör,
wenngleich Kurt Schwitters berühmte Ur-Sonate, jenes zentrale
Werk einer vermusikalisierten Laut-Poesie nur in Auszügen eine
von grotestker Mimik begleitete Neuinterpretation erführ. Überhaupt
leistete sich die dritte Ausgabe der im Biennale Rhythmus veranstalteten
Klangzeit klug gewählte Ausblicke auf zeitlose Klassiker aus
musikalischer Moderne und Avantgarde. Hans Werner Henzes „El
Cimarron“ beeindruckte als höchst suggestiver rezitativischer
Bogen, in dessen Zentrum der Sänger / Rezitator Paul Yoder,
Bariton in höchst eindringlichem Sprachgestus, die Flucht aus
der Sklaverei, deren Überwindung und den schließlichen
resignativen Übergang in die kapitalistische Ausbeutung erfahrbar
machte. Dazu schöpften der überragende Perkussionist Mircea
Adelaneu sowie Flötist Robert Aitken und der Festival-Kurator
Reinbert Evers an den Gitarren aus Henzes aleatorischem Kompositionsverfahren
viele atemberaubende, kommentierende Gesten.