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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 43
54. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Die Zither des Hitler-Attentäters Georg Elser
„Das Dritte Reich und die Musik“ – Ausstellung
der Pariser Cité de la Musique
Die Musikpolitik der Nazis beeinflusste auch Deutschlands Nachbarländer.
So war es nur konsequent, die Düsseldorfer Ausstellung „Entartete
Musik – eine kommentierte Rekonstruktion“ auch in Österreich,
der Schweiz, Großbritannien, Spanien und den Niederlanden
zu zeigen. Da die im Auftrag der Düsseldorfer Symphoniker entstandene
Schau auch auf die Beschlagnahmung jüdischen Eigentums in Frankreich
hingewiesen hatte, lag es nahe, sie ebenfalls hier zu präsentieren.
Die schon 1988 begonnenen Bemühungen um das große westliche
Nachbarland wurden jedoch nie realisiert. Erst jetzt, 16 Jahre später,
widmete sich die Pariser Cité de la Musique in einer eigenen
Ausstellung der Musikpolitik des Dritten Reichs, nicht allerdings
den Verfolgungsmaßnahmen in Frankreich.
Laurent Bayle, Generaldirektor der Cité de la Musique, wollte
offenbar den Blick nur auf Deutschland lenken. Im Vorwort zum Ausstellungskatalog
verweist er auf pangermanische Expansionsgelüste, aus denen
sich auch das Dritte Reich erkläre. Unerwähnt bleibt,
dass die jetzige Ausstellung auf eine Initiative des Pariser Goethe-Instituts
zurückging. Der Hinweis auf die Düsseldorfer Schau fiel
allerdings auf fruchtbaren Boden, wie der Gliederung der von dem
Musikwissenschaftler Pascal Huyhn betreuten Ausstellung zu entnehmen
ist.
Ihre Bedeutung liegt in der Präsentation attraktiver Originale,
wobei die Gegenüberstellung des Erwünschten und des Verbotenen
ein Grundprinzip bildet. Werke der bildenden Kunst spielen dabei
eine wichtige Rolle. So werden zu Beginn ein epigonales Schmutzler-Gemälde
„Arbeitsmaiden, vom Felde heimkehrend“ (1940) mit Kandinskys
grandioser „Composition IX“ (1936) konfrontiert. Aufschlussreich
ist auch der unterschiedliche Bezug auf Johann Sebastian Bach in
Kokoschka-Lithographien und einer heroischen Landschaft von Edmund
Steppes. Kontrastierende Bühnenbilder zu „Fidelio“
– streng abstrakt 1927 bei Ewald Dülberg, bieder-realistisch
1938 bei Edward Suhr – zeigen markante Änderungen im
Beethoven-Bild. Umfangreicher als in der deutschen Ausstellung können
in Paris dazu Hör- und Videobeispiele aufgerufen werden.
Die Heroisierung Wagners, illustriert durch die Breker-Büste
oder ein Monumentalbild „Pilgerzug aus Tannhäuser“,
karikiert die böse Grosz-Zeichnung „Wagneroper“.
Obwohl sich „Deutschland, das Land der Musik“ auch in
der Fremdenverkehrswerbung wuchtig darstellte (mit einer Kombination
von Reichsadler und Orgel), funktionierte das von Goebbels erwünschte
Gegenüber von Gut und Böse im Musikbereich nicht bruchlos.
In der den Komponisten gewidmeten Sektion finden sich nebeneinander
Partituren von Schönberg und Webern, obwohl damals nur Schönberg
verfolgt war. Fragwürdig ist es, Orffs „Carmina Burana“
und die „Olympische Hymne“ von Richard Strauss als Beispiele
für offizielle Verherrlichung des Regimes zu präsentieren.
Denn das in Paris gezeigte Notenblatt der „Hymne“ trägt
eine Widmung an den Staatssekretär Dr. Lewald, der als Halbjude
nur dem Internationalen Olympischen Komitee seine Leitungsposition
verdankte.
Während die deutsche Ausstellung mit einem kleinen Etat hatte
haushalten müssen, bot Paris nun eine luxuriöse Gestaltung
mit insgesamt 200 Ausstellungsstücken. Wichtiges davon gehört
zum Kapitel „Musik und Widerstand“, das in der Düsseldorfer
Schau nur knapp ausgefallen war. Man findet etwa Bühnenbildentwürfe
zu „Simplicius Simplicissimus“ von Karl Amadeus Hartmann,
1933 im KZ Börgermoor entstandene Noten für das „Moorsoldatenlied“,
die Zither des Hitler-Attentäters Georg Elser sowie Zeugnisse
aus dem Musikleben im Ghetto Theresienstadt, darunter Originalmanuskripte
zu Viktor Ullmanns „Kaiser von Atlantis“.
Obwohl der Generaldirektor in seinem Vorwort die Deutschen grimmig
abgekanzelt hatte, wäre dieses Projekt ohne eine enge deutsch-französische
Zusammenarbeit gar nicht möglich gewesen. Französische
und deutsche Autoren trugen gleichermaßen zum Katalog bei.
Auch im umfangreichen Begleitprogramm standen den großen Pariser
Orchestern und dem Ensemble Intercontemporain deutsche Künstler
wie Matthias Goerne, Salome Kammer, Michael Gielen, Lothar Zagrosek
und das Ensemble Modern gegenüber. In so geballter Dichte wie
im vergangenen Pariser Herbst hatte man Werke NS-verfolgter Komponisten
sonst nur bei den Berliner Festwochen 1987 erleben können.
Die Pariser Cité de la Musique stellte mit diesem umfangreichen
Programm, wozu noch Vorträge und Filmvorführungen gehörten,
erneut ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis. Zu hoffen bleibt,
dass sie die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, etwa
mit dem Schicksal von Darius Milhaud und Wanda Landowska oder der
Musik unter Vichy, zu einem späteren Zeitpunkt nachholt.