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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 10
54. Jahrgang | Februar
Cluster
Unworte
Die Gesellschaft für Deutsche Sprache hat den Begriff „Humankapital“
zum Unwort des Jahres 2004 gewählt. Das Unwort für das
20. Jahrhundert lautete „Menschenmaterial“. Beiden gemeinsam
ist der Kern der Humanität oder der Menschlichkeit, beiden
gemeinsam ist ebenfalls, dass eben dies zur verfügbaren Masse
tituliert wird. Beide Worte sind Unworte, aber beide sind viel genauer
noch tief schneidende Zeichen der Bewegungsrichtung der modernen
Welt. Beide Worte stimmen noch mehr, als dass sie Unworte wären.
Erstaunlich ist vielmehr, dass sie so offen benutzt werden ohne
einen Moment der Abscheu dabei zu erzeugen.
Gerade der Bereich der Kultur lebt von diesem Humankapital, aber
recht eigentlich nämlich von Menschen mit besonderen Fähigkeiten.
Mit Fähigkeiten, die diese Gesellschaft einmal für förderlich
hielt. Dazu gehörte auch im Wesentlichen eine bestimmte Form
des Unbequemen und Subversiven. Kultur gedeiht nicht in Erstarrung
sondern in Bewegung, in Auseinandersetzung und auf gleicher Höhe
der an ihr Teilhabenden. Der nationalsozialistische Autor Hanns
Johst schrieb in seinem Drama „Schlageter“ 1933: „Wenn
ich das Wort ,Kultur’ höre, dann greife ich zu meiner
Pistole.“ Damit hat er den Begriff der Kultur sehr richtig
verstanden, nämlich als aufrührend und kritisch.
Der gegenwärtige Umgang mit diesem Begriff terminiert aber
in seiner Ab- und Umwertung: Man entwendet den Begriff und bestimmt
ihn neu. Werden „Kulturarbeiter“ nur als Humankapital
aufgefasst, ist auch der Begriff der Kultur unmittelbar tangiert.
Die große aktuelle Popindustrie hat die Arbeit mit Humankapital
und Menschenmaterial längst zur Basis; die in ihr wirkenden
Menschen werden ausgetauscht nach Belieben. Die Kultursender sind
haufenweise zu Kulturvertreibern geworden, denn ihnen ist der hörende
oder der quermusizierende Mensch nur im Weg. Sie benötigen
Menschenmaterial, pures Zahlenfutter, fungibel und eigentlich überflüssig,
außer zum Abzählen. Aus dem Begriff Kultur als Zeichen
einer aufgeklärten Gesellschaft wird damit schleichend und
perfide ein (Kultur-)Unwort.