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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 10
54. Jahrgang | Februar
Cluster
Durch die Blume
Blumen kommen ins Spiel, wenn ausgespielt (oder -gesungen) ist.
Sie gehören zum Konzertende wie der Schlussapplaus. Beim Kammerkonzert
ist alles noch unkompliziert: Vier Sträuße für’s
Streichquartett, drei für’s Klaviertrio. Doch schon beim
Sonatenabend lauert die erste Fußangel. Darf die Solistin
einen üppigeren Strauß bekommen als der Begleiter? In
jedem Fall sollten sie frisch sein und nicht schon die Blütenblätter
verlieren wie jüngst bei einem Kammerkonzert – so lang
war der Abend nun auch nicht…
Beim Orchesterkonzert wird die Sache heikler. Rätselhafte
Rituale tragen sich auf offener Bühne zu. Dass der Pianist,
der soeben seinen Tschaikowsky abgeliefert hat, den Strauß
wert ist, wer mag es bezweifeln? Dass auch dem Orchester Ehre gebührt,
klar. Adressat ist der Dirigent, wer sonst? Doch er hat das Orchester
zwar angeleitet, zeichnet für die Interpretation verantwortlich,
gespielt aber haben die Musiker. Den meisten Maestri ist das noch
geläufig. Was also tun? Der eine Dirigent wendet sich Blumen
schwenkend dem Orchester zu („Der ist für uns alle!“),
der andere reicht sie an den Konzertmeister weiter („Der ist
für euch, sieh zu, was du damit machst!“), welcher ihn
mal verlegen, mal geschmeichelt entgegennimmt. Den Galan unter den
Dirigenten erkennt man daran, dass er das liebevoll arrangierte
Gebinde in seine Einzelteile zerlegt und es Blume für Blume
an die Damen weiterreicht – solange der Vorrat reicht. Für
Überraschung sorgte kürzlich ein Kapellmeister, als er
sich den Weg durch die Reihen der Streicher hindurch zur ersten
Flötistin – die zuvor brilliert hatte – bahnte
und ihr allein den blühenden Dank übergab. Hat er was
mit ihr?
Richtig floristische Konfusion gab’s bei anderer Gelegenheit.
Vier junge Dirigenten hatten sich ein Sinfoniekonzert geteilt und
jeder bekam sein Gebinde. Der erste hielt es nur kurz in den Händen,
ehe er die Konzertmeisterin damit beglückte. Nun hatten die
drei anderen keine Wahl: Auch sie durften unmöglich im Besitz
der Blumen bleiben. Wie sähe das denn aus? Ein Kavalier und
drei ungehobelte Gesellen. Also ließ jeder den Blick schweifen,
bis er eine noch unverblümte Musikerin fand, der er sein Geschenk
weiterschenken konnte. Das Publikum amüsierte sich köstlich.
Über das weitere Schicksal der Blumen mag man nur spekulieren.
Bis in die Künstlergarderobe kommen sie bestimmt. Die einen
oder anderen auch noch ins Hotel des reisenden Virtuosen, wo sie
am nächsten Morgen das Zimmermädchen beglücken. Brachte
es je ein Strauß weiter? Wohl kaum. Am nächsten Abend
wird es bestimmt wieder welche geben.
Irgendwie hat man es schon immer gewusst: Natur und Kultur passen
nicht zueinander.