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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 11
54. Jahrgang | Februar
Cluster
Semmelmanns musica viva
Radiohören
Sonntags koch ich ganz gerne mal lecker Essen. Mein Horizont auf
diesem Gebiet ist nicht sonderlich weit, denn ich koche am liebsten
Mahlzeiten, deren Zutaten nicht tausende von Kilometern in der Gegend
rumgeschippert oder geflogen werden. Wenn schon totes Tier, dann
von hiesigen Weiden. Dafür verbürgt sich der Metzger meines
Vertrauens. Ja, ich bin bekennender Fleischesser. Bevor ich beginne
in der Küche rumzuhantieren, schalte ich mein kleines Transistorradio
ein. ‘S is’n Sony. Mit abgebrochener Antenne. Die einzigen
beiden Sender, die das Ding am Küchenfenster sauber empfängt,
sind SWR1 und SWR3. SWR3 ist unser Sender für die Acht- bis
Zwölfjährigen, denn da kommt schon mal der böse Eminem
und all dieses sexistische Sprechgesinge. Ich aber koche zum Programm
von SWR1. Ein echtes Wunder, dass meine Speisen trotz all dem Scheiß,
den diese Station tagtäglich in den Äther und ins Kabel
jagt, genießbar sind. Der Slogan von SWR1 heißt ganz
raffiniert „SWR1: Die größten Hits aller Zeiten“.
Tja, und genau so hört es sich dann auch an. Im normalen Tagesprogramm
gibt es außer den Nachrichten kaum noch Wortbeiträge,
sondern eben besagte Hits. Gnadenlos.
Heute, während des Kochens, wurden die größten
Hits von Phil Collins und den Beach Boys für das spätere
Programm angekündigt. Manchmal denke ich, diese Sender gibt
es nur, um mir persönlich eine reinzuwürgen. Phil Collins?
Beach Boys? Doch SWR1 kann noch mehr. Irgendwann Ende Januar findet
in Friedrichshafen die „SWR1 Classic Rock Night“ statt.
Mit Uriah Heep und Whitesnake. Das muss man sich mal vorstellen.
So was kann man auch nur mit den Friedrichshafnern machen. Die lassen
sich alles gefallen. Ohne Gegenwehr. Ganzen Tag den See angucken
zermürbt halt auf die Dauer. Gott sei Dank ist Friedrichshafen
weit weg von hier. Uriah Heep? Von denen hatte ich mal das schwarze
Live-Doppelalbum. Als die Zeit reif war, habe ich das Ding in der
Mülltonne verschwinden lassen. Mit diversen anderen meiner
Vinyl-Peinlichkeiten. Whitesnake? Nee, so weit unten war ich noch
nie. Hat deren Sänger nicht mal bei Pörpel gesungen? Pörpel
habe ich in den 70ern in der Gruga in Essen gesehen. Kumpel von
mir hat damals eine Colabüchse von Richie Blackmore abgestaubt.
Die Geschichte hat an unsrer Schule noch Jahre später die Runde
gemacht, und in manchen Versionen hat Blackmore sie sogar zusammen
mit meinem Kumpel backstage ausgesoffen. Über 20 Jahre später
habe ich Pörpel in Aalen (das ist bei uns quasi um die Ecke)
nochmal live gesehen. Mit Gillan und Glover, aber ohne Blackmore.
Alter Schwede. Ich bin nach einer halben Stunde wieder nach Hause
gefahren. So Scheiße war’s.
Am 28. Januar präsentiert der „Sender der größten
Hits“ proudly Barclay James Harvest. In Mosbach. Diejenigen,
die nicht wissen, wo Mosbach ist, brauchen sich nicht grämen.
Kein Mensch muss wissen, wo Mosbach liegt. Wird wohl das erste Popkonzert
sein, das überhaupt in Mosbach stattfindet. Ich lese schon
die Schlagzeile im Mosbacher Tageblatt am Tag danach: „Krawalle
bei Barclay James Harvest-Konzert“ oder „Straßenschlacht
nach Popkonzert“. Klar, wie sollen die Mosbacher auch mit
so was umgehen? Diese Art Mucke haben früher unsere Mädels
gehört, wenn sie ihre Tage hatten. Soll ich mal verraten, was
man für gemeinsame Langeweile mit BJH in Mosbach abdrücken
muss? 27 Euro 90. Ehrlich. Ich schwöre. Nun muss die Frage
gestattet sein, wer bei einem öffentlich-rechtlichen Sender
solche Sachen verbrechen darf. Klar, das machen irgendwelche Redakteure.
Aber die haben doch auch irgendwelche Vorgesetzte. Oder strenge
Vorschriften oder so was. Warum schaltet sich da nicht der Personalrat
ein? Oder der Betriebsarzt? Oder die Gewerkschaft? Offensichtlich
finden die das alle in Ordnung. Und die Hörer auch. Uriah Heep.
Whitesnake. Beach Boys. Phil Collins. Barclay James Harvest. Am
8. Dezember 2005 präsentiert SWR1 Elton John in Stuttgart.
Heul.