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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 30
54. Jahrgang | Februar
DTKV Bayern
Erlesenes, Erlebtes – Gesuchtes statt Gefragtes
Unser Komponistenportrait: Walther Prokop
Der erste Blick schon verrät die Passion: Bücher stapeln
sich bis unter den Giebel, sie drängeln sich in Doppelreihen,
liegen quer, um auch die letzten Ritzen nicht ungenutzt zu lassen.
Es ist die Bibliothek eines leidenschaftlichen Lesers – Taschenbuch
statt Hardcover, Gesuchtes statt Gefragtes. Und mittendrin, eingefasst
von Buchdeckeln: ein Klavier.
Die meisten von Walther Prokops Kompositionen sind in dieser Arbeitsumgebung
ent- standen, und dass die Literatur einen immer stärkeren
Stellenwert in seinem Œuvre bekommen hat, wird wenig verwundern.
Wer Romane liest, wird auch als Komponist Geschichten erzählen:
Walther Prokop hat „Elisabethanische Miniaturen“ geformt;
sein „Adieu, Germaine Tailleferre“ ist mehr wehmütige
Grabrede als Requiem; die drei bezaubernd pointierten „Stories“
für Klavier zu vier Händen wurden nicht nur von Herbert
Rosendorfers Erzählung „Die Seele der Prinzessin“
inspiriert, sondern auch durch Agatha Christies Kriminalgenie Miss
Marple.
Komponieren ist Luxus. Seit 30 Jahren unterrichtet Walther Prokop
am Gymnasium in Gars am Inn Musik, und wenn in dieser Zeit nicht
nur Haus gebaut und Bäume gepflanzt werden, sondern auch vier
Kinder heranwachsen, bleibt wenig Zeit und noch weniger Muße
für die einsame Arbeit am Klavier. Prokops Musik ist immer
konzentriert, ohne komprimiert zu sein. Sie geht keine Umwege, verrennt
sich nie, und schon gar nicht marschiert sie einfach drauf los.
Bei allem Witz und Esprit sind diese Kompositionen in hohem Grad
überlegt.
Und deshalb könnten manche Bemerkungen zur Entstehungszeit
geradewegs in die Irre führen. Geschrieben an verregneten Allerheiligen-Tagen,
heißt es dann, komponiert in einer Ferienwoche. Von der Quälerei
davor: kein Wort. Walther Prokop ist einer, dem das Komponieren
nicht leicht fällt. Auch wenn es dann doch immer recht flott
geht. Gelegenheitsarbeiten, von denen es in Prokops Werk eine Reihe
gibt, bekommen bei dieser Arbeitsweise ganz neuen Sinn: Mit der
Deadline im Nacken lässt sich die Muse auch zwingen.
„Noch vor dem Eintritt in die Grundschule“, erzählt
Walther Prokop in Marion Saxers „Anfänge“-Buch
(Wolke 2002), „hörte ich im Bayerischen Rundfunk zufällig
Kinderchöre singen. Da war für mich die Entscheidung für
die Musik gefallen: Ich wollte unbedingt auch so schöne Klänge
erfinden können.“ Dieser Wunsch scheint ihn bis heute
zu beherrschen: Musik immer wieder zu erfinden, ganz ähnlich
dem, wie Dichter Sprache erfinden.
Und wer Gedichte liebt, muss Lieder schreiben. Über die Liebe
und den Tod. Sie haben sich längst als stärkster Strom
behauptet, neben Chorstücken und kammermusikalischen Piècen.
Die langjährige Freundschaft zum Bariton Wolfgang Hansjakob
hat manches angeregt, die „Gesänge eines Vergessenen“
etwa nach vier Gedichten von Theodor Kramer. Und „Ithaka“,
eine Konstantin Kavafis-Vertonung, deren Uraufführung erst
wenige Wochen zurückliegt. In Schülertagen schon habe
er das Gedicht kennengelernt. „Seitdem war es mein innigster
Wunsch, dieses Stück zu vertonen“, bekennt Prokop, aber
zum Glück siegten seine kompositorischen Skrupel über
den jugendlichen Enthusiasmus: „Ich hatte zwar ein Gefühl
für die Musik, aber der große Zusammenhang fehlte mir
damals.“
Was Prokops Musik heute ausmacht, ist im Wesentlichen autodidaktisch
erarbeitet. Das Studium bei Franz Xaver Lehner (zu dessen Kammermusik-Schaffen
Walther Prokop einen Aufsatz veröffentlicht hat) und Wilhelm
Killmayer in München hat spät erst „meinen kompositorischen
Wildwuchs in geordnete Bahnen gelenkt“. Lehner, sagt Prokop,
habe ihm gezeigt, „wie mein Schnabel gewachsen sein könnte,
und hat mich so aus dem Bockshorn geholt, in das mich – befangen
durch ihren absoluten Einfluss – Adorno und die Darmstädter
Schule gejagt hatten“.
Walther Prokop, Jahrgang 1946, wuchs im Rosenheim der Nachkriegszeit
auf. Zuhause liebte man Musik, pflegte sie aber nicht: Der Vater
Karl Prokop war als Maler und Graphiker weithin geschätzt,
und die Landschafts-Bilder, die er von Reisen zusammen mit seinen
Künstlerfreunden Leo von Welden und Hans Waiblinger mitbrachte,
verraten manches von den Einflüssen, die bei Walther Prokop
schließlich Musik geworden sind. Organische Energie in scheinbar
starren Formen; und Farben, wie sie entstehen, wenn die weiße
Sonne auf eine karge Landschaft trifft.
Prokops Leidenschaft für griechische Dichter, für französische
Schriftsteller auch, entsprang nie touristischem Interesse: Es sind
ihre ganz eigenwilligen Welten, die ihn anziehen. Seine Verehrung
galt zwar Berg, Bartók und Strawinsky, seine Liebe aber der
„Group de Six“, ihrer Lust an der Pointe, ihrem unbedingten
Willen, nicht nur Neues, sondern auch Eigenes zu schaffen. Prokops
Lieblinge sind jene, die sich um Moden nicht kümmern. Von der
Avantgarde belächelt, vom Publikum gemieden. Da nur gehört
ein Künstler nämlich hin: zwischen alle Stühle.
Es ist ein schöner Zufall, dass ausgerechnet Rosenheims Städtische
Galerie lange Zeit die erste Bühne für Prokops Musik war.
Dort hatten die Studiokonzerte des Tonkünstler-Verbandes eine
treue Fan-Gemeinde: eine Begegnungsstätte für Maler und
Musiker. Und der doch selten gewordene Fall dafür, dass sich
Künstler auch Sparten übergreifend füreinander interessieren.
Von Hans-Melchior Brugk übernahm Walther Prokop den Vorsitz
des Tonkünstlerverbandes Südost-Bayern, und die Rosenheimer
Studiokonzerte trugen seither immer deutlicher seine Handschrift
– auch wenn die bescheidenen Möglichkeiten zwangsläufig
Auswirkungen aufs Schaffen haben: Das Klavier ist Prokops treuester
Begleiter. Dabei hätte er sich für „Ithaka“
zum Beispiel ein ganzes Orchester gewünscht. „Alles was
kostbar und teuer ist“, steckt hörbar in der knappen
Viertelstunde.
Aber komponiert ist sozusagen nur der Klavierauszug. Andererseits:
Sich mit vorhandenen Ressourcen zu begnügen, muss kein Nachteil
sein. Prokops Chorstücke sind auf diese Weise und „on
demand“ entstanden: Mess-Vertonungen, die zwar schlicht, aber
nicht einfach sind. Witzige Stücke auch, die federleicht klingen,
aber für jeden Laienchor eine Herausforderung bleiben: Prokops
Auswahl aus Wilhelm Buschs „Naturgeschichtlichem Alphabet“
etwa verleiht dem Nonsens aphoristische Weihen.