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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 15
54. Jahrgang | Februar
Gegengift
Gegengift
Herren und Knechte
Es gab eine Zeit, und sie ist noch gar nicht so lange her, da
kauften sich Komponisten und Regisseure Schlösser und betrieben
zugleich die Sache der Weltrevolution. Adel des Geistes! Sie genossen
die Gegenwart und waren doch mit der Zukunft im Bunde. Sie beschimpften
Publikum und Geldgeber und wurden dafür geliebt.
Aber vorbei ist vorbei. Heute regiert der Rotstift. Und selbst
die, die noch Geld hätten, haben keins mehr. Das heißt:
Sie wollen es nicht ausgeben. Jedenfalls nicht für Hinz und
Kunz. Heute gilt für die schönen Künste, was auch
für den schnöden Fußball gilt: Für einen Michael
Ballack, soll heißen: Christian Thielemann, kratzt man vielleicht
noch die letzten Kassenreste zusammen (aber auch nicht überall!),
das Fußvolk wickelt man ab. Selbst wenn ein ganzes großes
Rundfunkorchester nicht mehr kostet als Harald Schmidt – der
freilich, im Unterschied zu jenem, neuerdings zur rundfunkstaatsvertraglichen
„Grundversorgung“ gehört. Der Markt wird enger.
So eng, dass es manchem schon die Luft zum Atmen abschnürt.
Da stellen sich alte Fragen neu. Zum Beispiel: Wer ist Herr und
wer ist Knecht? Und wie frei ist eigentlich die Freiheit? Nicht
nur die Tatsache, dass ausgerechnet jahrelange Wirtschaftsflaute
und rigide Arbeitsmarktreform aus weisungsgebundenen Beschäftigten
auf manchmal schon unheimliche Weise glückliche Selbstständige
alias florierende Ich-AGs machen, lässt einen nachdenklich
werden, wenn es um die Souveränität in Sachen Fortkommen
oder auch nur nacktes Überleben geht.
Schon Adorno, ein versierter Profi des Um-die-Ecke-Denkens, wurde
vor mehr als einem halben Jahrhundert nervös, wenn die Emanzipation
der Künstler zur Sprache kam. Seine Diagnose könnte man
etwa so auf den knappsten Nenner bringen: Jeder ganze Knecht war
einst zumindest ein halber Herr – und jeder ganze Herr ist
heute mehr als nur ein halber Knecht. Bei Adorno las sich das im
legendären Kulturindustrie-Kapitel, das seit längerem
wenig gelesen, aber viel gescholten wird (meistens zu Unrecht übrigens!),
so: Gerade die Abhängigkeit von ganz und gar undemokratischen
mäzenatischen Mächten in Gestalt von Fürsten und
Feudalherren „stärkte der späten Kunst den Rücken
gegen das Verdikt von Angebot und Nachfrage und steigerte ihre Resistenz
weit über die tatsächliche Protektion hinaus“.
Soll heißen: die Kunst war frei, so lange sie einen Herrn
hatte, der ein Kenner war – und kein anderes Interesse mit
ihr verband als den Ruhm seiner Kennerschaft; und sei’s auch
nur in den kleinsten Zirkeln der Connaisseure oder in den Geschichtsbüchern
späterer Epochen. Der Künstler und Denker, der seine Briefe
mit „untertänigster Knecht“ zeichnete, wie das
noch Hume und Kant taten, war zugleich so frei, „die Grundlagen
von Thron und Altar“ zu unterminieren. Heutzutage tritt jeder
als sein eigener kleiner Fürst auf und nennt Regierungschefs
beim Vornamen – und das war’s dann auch schon. Mit den
Worten Adornos: „Erst der Zwang, unablässig unter der
drastischsten Drohung als ästhetischer Experte dem Geschäftsleben
sich einzugliedern, hat den Künstler ganz an die Kandare genommen.“
Schöne neue Welt, die von Tag zu Tag noch schöner wird.