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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 47
54. Jahrgang | Februar
Hochschule
Kreativ, intellektuell, virtuos und charismatisch
Zum Tod des Pianisten Robert-Alexander Bohnke · Von Ute
Guddat-von Troschke
Am 17. Oktober 2004 verstarb im Alter von 77 Jahren Robert-Alexander
Bohnke – Pianist, Komponist, Hochschulprofessor und Pädagoge.
Ein Herzversagen ereilte ihn, während er im Arbeitszimmer seines
Tübinger Hauses mit einem Schüler telefonierte. Eine große
Trauergemeinde – darunter Walter Jens – versammelte
sich am 22. Oktober in der Tübinger Martinskirche, um Abschied
zu nehmen. Vielen stand der Schmerz über den plötzlichen
Verlust dieses so besonderen und liebenswürdigen Menschen und
Künstlers im Gesicht geschrieben. „Es fällt schwer
zu glauben, dass Robi wirklich tot ist“, schreibt Joachim
Kaiser in seinem Nachruf vom 9. November in der Süddeutschen
Zeitung.
Robert-Alexander Bohnke
(rechts) mit Stefan Askenase, Hotel Oberkirch, Freiburg
i. Br. in den 80er-Jahren. Foto:privat
Es gibt eine Stelle im 3. Satz des Rachmaninoff- Klavierkonzertes
Nr. 3 d-Moll – das war seine Lieblingsstelle. „So möchte
ich leben...“, kommentierte er, wenn er das Konzert auf CD
in der Interpretation des von ihm hochverehrten Vladimir Horowitz
anhörte. Und so lebte er – der über seinen Lehrer
Vladimir von Horbowski Enkelschüler von Rachmaninoff und Busoni
war – ein rastloses Künstlerleben, in „exorbitanter“
Fülle und Intensität, gleichsam wie eine Kerze, die an
beiden Enden brennt. „Wer andere entzünden will, muss
selber brennen“. Dieser Satz von Augustinus konnte gewiss
auf ihn bezogen werden; kaum jemand konnte sich seinem Charme entziehen.
Noch bis kurz vor seinem Tod trat er als Pianist auf, war erst wenige
Wochen vorher von seiner letzten Japantournee zurückgekehrt
und plante weitere Konzerte in Russland und dem fernen Osten.
Anlässlich seines 75. Geburtstages gab er im Festsaal der
Tübinger Universität einen Klavierabend, der vom Südwestfunk
mitgeschnitten wurde. Er interpretierte unter anderen die b-moll
Sonate von Chopin, die Wanderer- Fantasie von Schubert und Kompositionen
seines Vaters Emil Bohnke souverän, mit virtuoser Vehemenz
und erstaunlicher Frische.
Sein Elternhaus
Robert -Alexander Bohnke wurde am 21. März 1927 als jüngstes
Kind des Komponisten, Dirigenten und Bratschisten Emil Bohnke und
der Geigerin Lilli Bohnke, geborene von Mendelssohn, in Berlin geboren.
1928 verlor er beide Eltern durch einen tragischen Unfall; sie waren
auf der Suche nach einem Sommerquartier bei Pasewalk in Pommern
mit dem Auto tödlich verunglückt. In den folgenden Jahren
wuchsen Robert-Alexander Bohnke und seine beiden älteren Geschwister
bei seinen Großeltern Marie und Franz von Mendelssohn in Berlin
auf. Der Großvater – ein direkter Nachfahre des Philosophen
Moses Mendelssohn, der wiederum der Großvater von Felix Mendelssohn
Bartholdy war – war Bankier und Präsident der Berliner
Handelskammer. Der kleine Robert-Alexander, genannt Robi, wurde
von seinen Großeltern auf „nahezu absurde Weise“
verwöhnt, denn sie wollten ihn über den Verlust seiner
Eltern hinwegtrösten. Im Hause Mendelssohn, einer Villa in
Berlin-Grunewald, wurde viel musiziert. Robert-Alexander Bohnke
schreibt im Piano-Jahrbuch (Band 3, 1983): „Mein Großvater
[…] spielte möglichst jeden Abend Geige, in früheren
Jahren […] sehr oft Streichquartett mit Joseph Joachim, der
einer der musikalischen Hausgötter unserer Familie war, später
Quartette, Trios und Duos mit Artur Schnabel (dessen Frau, die Sängerin
Therese Behr, meine Patentante war), mit meinem Patenonkel Carl
Flesch (der, wie auch Georg Kulenkampff Freund und Geigenlehrer
meiner Mutter gewesen war), mit Edwin Fischer (der mit meiner Tante
Eleonora von Mendelssohn verheiratet war) und auch mit einigen Dilettanten,
wie zum Beispiel Albert Einstein. Einstein spielte am liebsten Mozart,
aber er hatte Intonationsprobleme und war auch nicht sehr rhythmisch.
An einem Abend, an dem er bei uns zu Hause zusammen mit Artur Schnabel
vor etwa zweihundert geladenen Gästen spielte, geriet ihm ein
Takt völlig unrhythmisch, so dass Schnabel unterbrach und laut
fragte: ,Einstein, werden Sie denn niemals lernen bis drei zu zählen?!’“
Unter der Obhut seiner Großeltern besuchte Robert-Alexander
Bohnke als Kind viele Konzerte und fühlte sich schon früh
„als hervorragender Fachmann“. Im Piano-Jahrbuch berichtet
er weiter: „Als mich in der Pause eines Furtwängler-Konzertes
eine alte Dame, die mich wohl irgendwie rührend fand, fragte:
‚Na, mein Kleiner, hat dir denn die Beethoven-Symphonie auch
gut gefallen?‘ und dabei noch meine Haare streichelte, antwortete
ich gereizt: ‚Gefallen? Wo doch jeder Mensch weiß, dass
Furtwängler immer die Tempi der Ecksätze verschleppt?!‘“
Pianist und Komponist
Robert-Alexander Bohnke begann mit fünf Jahren Klavier zu
spielen. Zunächst wurde er von der Schnabel-Schülerin
Hansi Graudan unterrichtet, dann, nachdem sie 1933 Deutschland verließ,
von Hans Erich Riebensahm, einem anderen Schnabel-Schüler.
Mit 12 Jahren wechselte er zu Vladimir von Horbowski, „von
dessen unerbittlicher Strenge im Klavierunterricht man in Berlin
mit angenehmem Gruseln sprach“. 1941 endete diese intensive
Unterrichtszeit , denn wegen der Bombenangriffe auf Berlin brachten
die Großeltern Mendelssohn ihre drei Enkelkinder nach Österreich.
Aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, machte Robert-Alexander
Bohnke 1946 am humanistischen Uhland-Gymnasium in Tübingen
sein Abitur und studierte anschließend an der Stuttgarter
Musikhochschule Klavier bei Horbowski und Komposition bei Georg
von Albrecht.
„Der ungeheure Druck, den Hitlers Reich und der 2. Weltkrieg
auf mich ausgeübt hatten, war endlich weg, die Freiheit von
den Nazis machte mich damals so glücklich und gleichzeitig
unruhig, dass ich es nicht aushielt, ‚nur‘ Musik zu
studieren. Ich reiste sehr viel umher, lernte viele für mich
neue Städte und sehr viele Menschen kennen, studierte in Tübingen
bei Krüger, Weischedel, Spranger und Guardini Philosophie,
bei Carl Leonhardt und Georg Reichert Musikwissenschaft, bei Helmut
von Glasenapp Indologie und außerdem noch etwas Germanistik.
Ich komponierte viel und übte zu wenig systematisch Klavier.“(Piano-Jahrb.)
Trotzdem gewann Robert-Alexander Bohnke mit 22 Jahren den. 2. Preis
bei einem Wettbewerb des Hessischen Rundfunks, 1953 den Kranichsteiner
Musikpreis, 1956 die ersten Preise der internationalen Klavierwettbewerbe
in München, Genf und Veralli. Er bekam sehr viele Konzertengagements
und Angebote zu Rundfunk- und Schallplattenaufnahmen.
In diesen Jahren war er einer der hoffnungsvollsten Pianisten
Europas – jung, attraktiv, charmant und geistreich. Aber er
wollte sich auch nicht von einem hektischen Konzertbetrieb vereinnahmen
lassen. Dennoch unternahm er auch größere Konzerttourneen,
1966 war er einer der ersten westlichen Pianisten mit einer ausgedehnten
Sowjet-Tournee. „In Taschkent, an der chinesischen Grenze,
habe ich auch den besten Steinway-Flügel,den ich in meinem
Leben gespielt habe, erlebt... Der Stimmer liebte den Flügel
so sehr, dass er sogar unter dem Instrument schlief…“
Rund 20 Jahre später formuliert Robert-Alexander Bohnke seine
pianistischen Zielsetzungen: „Manche Aufgaben, die ich mir
früher stellte, finde ich heute nicht mehr so wichtig. Ich
glaubte noch mit 30 Jahren, dass ich unbedingt alle Klavierkonzerte
von Mozart, alle Werke von Chopin, Schumann und Skrjabin und möglichst
auch alle Klavierwerke von Bach öffentlich spielen wollte.
Heute erscheint es mir viel erstrebenswerter, einen wesentlichen
Teil dieser Werke, der mir besonders wichtig ist, immer wieder von
neuem zu erarbeiten. […]“ (Piano Jahrbuch)
Hochschullehrer und Pädagoge
1956 erhielt Robert-Alexander Bohnke eine Klavierprofessur an
der Freiburger Musikhochschule, die er bis Anfang der 90er-Jahre
innehatte. Er behielt seinen ersten Wohnsitz in Tübingen, wo
auch seine Familie wohnte – er war in zweiter Ehe verheiratet,
Vater von fünf Kindern –, pendelte wöchentlich zwischen
Tübingen und Freiburg mit dem Zug durch den Schwarzwald. Carl
Seemann war damals Direktor in Freiburg; die beiden Pianisten spielten
gerne die Doppelkonzerte von Bach und Mozart und andere Werke an
zwei Flügeln.
Sein Kollege, Prof. Dr. Hannsdieter Wohlfahrt, Professor für
Musikgeschichte im Ruhestand, erinnert sich:
„Robert-Alexander Bohnke war ein ausgesprochen weltmännischer
Kollege, bei ihm beschränkte sich das Gespräch nicht
auf hochschulpolitische Tagesthemen, sondern er überschaute
auf souveräne Weise größere Zusammenhänge,
nicht nur auf musikalischem Gebiet, auch in allgemeinen kulturpolitischen
Fragen.“
Was war nun das Besondere an seinem Unterricht? „Robi“,
wie er nicht nur von Freunden, sondern auch von Schülern, die
längere Zeit bei ihm Unterricht hatten, genannt wurde, setzte
Klaviertechnik voraus, arbeitete auf künstlerischer Ebene,
besprach aber sehr genau den Fingersatz, achtete auf Texttreue und
ermutigte zur gerechten Selbsteinschätzung. Interpretationen,
die zwar fehlerfrei waren, aber am Kern des Stückes vorbeigingen,
konnte er sehr scharf kritisieren. Bei der Wahl eines ungünstigen
Fingersatzes regte er sich manchmal regelrecht auf: „Halt!
Da nimmt man den dritten Finger, nicht den vierten. Das ist so klar,
man müsste es eigentlich nicht sagen. Aber Ihnen muss man die
selbstverständlichsten Dinge erklären. Ich sage, klettern
Sie nicht durch das Fenster, um hereinzukommen, bohren Sie nicht
ein Loch vom Keller, sondern kommen Sie durch die Tür. Aber
nein, Sie brechen durch die Wand herein“ (Edna Grasshorn-
Gebhardt in Piano-Jahrbuch, 1982).
Sehr wertvoll waren die monatlichen Klassenstunden, in denen
die Klasse zusammen unterrichtet wurde. Hier erwartete er auch
nach fünf Stunden gemeinsamen Unterrichts noch höchste
Konzentration und Präsenz. Erinnerungen an Klassenausflüge
werden wach, wie den Besuch von Albert Schweitzers Geburtsort
Kaysersberg im Elsass oder der ehemaligen Wohnsitze von Edwin
Fischer und Rachmaninoff in der Schweiz. „Zahlreiche wichtige
Impulse, die Robert-Alexander Bohnke gab, geschahen gleichsam
am Rande des eigentlichen Klavierunterrichts.[...] Bohnke hatte
als Lehrer keinen ,Stil‘, er formierte keine ‚Schule‘.
Aber er bildete angstfreie, selbstständige, mit der Musik
glücklich umgehende Musiker heran. Heute erst weiss ich,
wie wertvoll dies alles ist. Wir, seine Schüler und Freunde,
tragen Robi im Herzen.“, so Till A. Körber, Professor
für Klavier und Kammermusik an der Anton Bruckner- Privatuniversität
Linz (Schwäbisches Tageblatt, 19.10.2004).
Prof. Dr. Vitaly Margulis, langjähriger Kollege von Robert-Alexander
Bohnke und jetzt Klavierprofessor in Los Angeles schreibt aus Amerika:
„Robert-Alexander Bohnke ist von uns gegangen. Freunde
zählen mit Freude die Ehrungen, die er in seinem Leben erhalten
hat. Aber diese Auszeichnungen sind nichts im Vergleich zu der
Ehrung, die er in der letzten Stunde bekommen hat – den
gnädigen, leichten Tod. Wofür dieser Segen? Toller Pianist;
guter Lehrer? – natürlich! Aber Ausgezeichnete gibt
es viele. Er war ein glücklicher Mensch, wie es selten einen
gegeben hat. Jemand führte ihn durchs Leben (dieser jemand
führt auch uns), aber er folgte seinem Willen mit Leichtigkeit.
Dafür hat er den höchsten Lohn erhalten. Friede sei
mit Dir, mein Freund.“
Diskografie
I. Alexander Skrjabin Klavierwerke
Robert-Alexander Bohnke, Klavier
Dca 93119
(zur Zeit vergriffen)
II. Das Wohltemperierte Klavier 1. Teil
J.S.Bach, Doppel-CD
Dca 93142/43
Robert-Alexander Bohnke, Klavier
(zur Zeit vergriffen)
III. Klavierabend Robert-Alexander Bohnke
Phantasien von Haydn, Mozart, Beethoven u.a.
HH,M&M
Tel.07633/982561
IV. Klavierabend auf dem Flügel von Vladimir Horowitz im
Festsaal der Universität Tübingen
Attempto-Verlag
Nauklerstr.2, 72074 Tübingen
Tel.07071/21201
Co.-Produktion mit dem Südwestfunk Landesstudio Tübingen
V. Beethoven Sonaten op.57 und 106
Sas 007033, (zur Zeit vergriffen)
VI. Mozart KK595 Beethoven, Chorfantasie, Camerata vocali, Sinfonieorchester
der Stadt Tübingen
Attempto-Verlag
Kompositionen von Emil Bohnke auf CD
I. Piano Concert op.14 Sinfonie op.16
Robert-Alexander Bohnke, Klavier
Bamberger Symphoniker
Israel Yinon
2001 Koch/Schwann Classics GmbH
3-6420-2
II. Klavierwerke von Emil Bohnke
Robert-Alexander Bohnke, Klavier
Real Sound/musikwelt
0510032
III. Emil Bohnke Violinkonzert op.11 u.a.
Kolja Lessing, Violine
Radio-Sinfonie-Orchester Prag, Israel Yinon
Real Sound/musikwelt 0510035
IV. Kammermusik von Emil Bohnke
Kolja Lessing, Violine und Viola
Bernhard Schwarz, Violoncello
Trio Alkan
Verdi Quartett, Doppel-CD
Dabringhaus und Grimm
MDG 2350531-2
V. Klavierwerke von Bach, Beethoven, Emil Bohnke und Skrjabin
Ute Guddat, Klavier
Ars/MusikweltFCD 368 377