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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 31
54. Jahrgang | Februar
Jeunesses Musicales Deutschland
Ein nicht alltäglicher Reisebericht
Konzert und Bildungsreise nach Theresienstadt, Prag, Brünn
und Wien
Im Anschluss an den Wettbewerb „Verfemte Musik“ Schwerin
2004 fand für die Preisträger eine ungewöhnliche
Reise statt. Die Teilnehmer hatten sich in den Tagen zuvor durch
die Interpretation der Werke von verfolgten und ermordeten Komponisten
einen Namen gemacht. Jetzt konnten die begabten jungen Preisträger
direkt in den Städten konzertieren, in denen Komponisten wie
Gideon Klein, Pavel Haas, Viktor Ullmann und andere gelebt hatten.
Besonders war die Atmosphäre am 27. September 2004 abends in
Theresienstadt – 60 Jahre zuvor – am 28. September 1944
begannen die furchtbaren Herbsttransporte, die für die Komponisten
und Künstler und unzählige unschuldige Menschen den letzten
Weg nach Auschwitz bedeuten sollten. Gaby Flatow erzählte von
Theresienstadt in einer gespenstischen Atmospähre am Rondell,
wo einst der berüchtigte Propagandafilm „Theresienstadt“
von Kurt Gerron auf Befehl der Nationalsozialisten gedreht wurde,
der für fast alle Darsteller das Todesurteil war.
Einen Tag später ging es nach Wien, wo das erste Konzert im
Bösendorfersaal mit freundlicher Unterstützung der weltbekannten
Klavierfirma stattfand. Außergewöhnliche Begegnungen
mit Veranstaltungspartnerin Frau Dr. Primavera Gruber, die seit
vielen Jahren mit wenigen Mitarbeitern in der Organisation Orpheus
Trust das Schicksal verfolgter Künstler und Komponisten selbstlos
aufbereitet und deren Lebensgeschichten bekannter macht. Auch der
Besuch im Doblinger-Haus war höchst interessant, da wir dort
durch einen fachkompetenten Vortrag von Dr. Heindl viel über
die Arbeit des Verlages während der nationalsozialistischen
Diktatur erfahren konnten. Gemeinsam mit der Jeunesse Österreich
und unter der Schirmherrschaft des Deutschen Botschafters wurde
der erste Konzertauftritt zu einem großen Erfolg. Herausragend
war die Ullmann-Interpretation des Deutschen Baritons Matthias Flohr
mit der georgischen Pianistin Ketewan Natschkebia.
Man erklärte uns, dass der Besuch ungewöhnlich hoch war,
mit solcher Musik in einer Musikmetropole so viel Publikum zu gewinnen.
Um so krasser verlief der Konzertabend in Brünn, wo leider
die Schüler und Lehrer des Konservatoriums nur vereinzelt anzutreffen
waren. Etwas befremdlich war die Tatsache, dass doch das Graffe-Quartett
aus Brünn stammte und sogar einen ersten Preis erspielte. Man
erklärte uns, dass gleichzeitig ein anderes bekanntes Streichquartett
in Brünn spielte, das die interessierten Kammermusikhörer
abzog. Dennoch lohnte der Besuch des neu renovierten Janácek-Hauses,
bei dem Pavel Haas bekanntlich studiert hatte. So konnten die jungen
Musiker eben auch erfahren, dass das Künstlerdasein doch sehr
unberechenbar ist.
Danach ging es in die goldene Stadt Prag. Diese unglaubliche Atmosphäre
beflügelte die Preisträger zu einem meisterhaften Konzertauftritt,
allen voran der lettische Pianist Gints Racenis. Volles Haus in
der Konzertkirche mit einer wunderbaren Unterstützung durch
den „Klub Prager Frühling“. Bei diesem Konzert
waren auch Mitglieder der Theresienstädter Initiative in Prag
anwesend, die begeistert der Interpretation ihrer Leidensgenossen
durch die jungen Musiker lauschten.
Während des Reiseverlaufs kamen die jungen Interpreten aus
dem neu vereinten Europa auch immer besser ins Gespräch. Am
Tag der Rückreise ging es dann noch einmal nach Theresienstadt,
verbunden mit dem Besuch der renovierten und neu konzipierten Museen
in der ehemaligen Magdeburger Kaserne und dem ehemaligen Kinderheim
L 104.
Die Wettbewerbsteilnehmer begleiteten auch Mitarbeiterinnen der
Sparkasse Schwerin, die ein wichtiger Sponsor und Unterstützer
der Projektidee seit Jahren ist. Das Experiment mit einer Gruppe
zu verreisen, deren Mitglieder sich nicht vorher kannten, ist aufgegangen.
In einem Nachbereitungstreffen wurde von den anwesenden Teilnehmern
bestätigt, dass alle sehr viele neue Anregungen bekommen haben,
sich nicht nur mit der Musik zu befassen, sondern auch das politische
und historische Umfeld zu begreifen. Allerdings fiel es allen Teilnehmern
nach der Reise noch schwerer sich vorzustellen, dass es den Nationalsozialisten
fast geglückt wäre, unsere europäischen kulturellen
Wurzeln zu zerstören.