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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 14
54. Jahrgang | Februar
Kulturpolitik
Viele Gewinner und kaum Verlierer
Zur 15. Arbeitstagung des Arbeitskreises Studium Populärer
Musik
In Zusammenarbeit mit dem Institut für Musikwissenschaft und
Musikpädagogik der Justus-Liebig-Universität Gießen
fand die jährliche Arbeitstagung des Arbeitskreises Studium
Populärer Musik e.V. zum Schwerpunktthema „Keiner wird
gewinnen: Populäre Musik im Wettbewerb“ im herbstlich
anmutenden Schloss Rauischholzhausen bei Marburg statt.
Auch wenn die interdisziplinären Tagungen turnusgemäß
jährlich abgehalten werden, so kann bei der 15. Arbeitstagung
von einer ganz besonderen gesprochen werden: Der Arbeitskreis Studium
Populärer Musik feiert dieses Jahr sein 20-jähriges Bestehen.
Diesem wurde in der zentralen Mitgliederversammlung ausgiebig gehuldigt,
und es war äußerst interessant, den Gründungsmitgliedern
Alenka Barber-Kersovan (Hamburg), Ekkehard Jost (Gießen),
Winfried Pape (Gießen), Fred Ritzel (Oldenburg) und Helmut
Rösing (Hamburg) bei ihren spontanen Ausführungen zur
Gründung und Entwicklung des Vereins zu lauschen. Besonders
amüsant wirkte Helmut Rösings spätes Geständnis,
mit Bezug auf Tucholsky nie einen Verein gründen zu wollen.
Gut, dass es der systematische Musikwissenschaftler mit seinem Vorsatz
nicht ganz so genau nahm.
Der Arbeitskreis hat es sich in den ersten 20 Jahren zur Aufgabe
gemacht, die aufregenden und oft aufgeregten Felder der Popmusik
wissenschaftlich in Theorien, Methoden und Geschichten anzugehen,
um dieses in der Universitätslandschaft zu etablieren. Dabei
wurde stets großer Wert auf eine tolerante Diskussionsmentalität
gelegt, die Wissen und Anwendung vor akademischer Hierarchie platziert.
Dieser Eindruck wurde in den lebhaften Debatten zu den zahlreichen
Vorträgen an den drei Tagungstagen bestätigt. Entgegen
der üblichen Rituale bei Tagungen drehte sich in Schloss Rauischholzhausen
der Diskurs erfreulich unspektakulär um das eigentlich Wesentliche,
das Inhaltliche.
Neben dem Schwerpunktthema zum Wettbewerblichen in der Popmusik
gab es am ersten Tag einige freie Vorträge, von denen Winfried
Pape Anmerkungen zur Gehirnforschung in Bezug auf Gehirn und Musik
hervorgehoben seien, schloss Pape hier doch an die derzeit großen
Diskussionen zwischen Geistes- und Naturwissenchaften an. Pape bezog
sich auf das jüngst von namhaften Hirnforschern um G. Roth
und W. Singer publizierte Manifest und plädierte für eine
verstärkte gegenseitige Zusammenarbeit der Musikwissenschaften
mit den Hirnforschern.
Die fachübergreifende Attitüde des ersten Tages zog
sich auch am zweiten Tag konsequent herüber in das Schwerpunktthema
„Keiner wird gewinnen: Populäre Musik im Wettbewerb.“
In seinem grundlegenden Vortrag „Kunst und Konkurrenz. Die
Geschichte des Wettbewerbs in der Musik“ lieferte Dietrich
Helms (Dortmund) ausführliche Hintergründe zu Wettbewerben
und Konkurrenz in der (Pop)Musik. Helms’ zentrale These war,
dass sich solche gesellschaftlichen Bewegungen immer dann gründen,
wenn das Funktionieren musikalischer Kommunikation gefährdet
scheint, und zwar von den Agonen des antiken Griechenlands bis zu
heutigen Fernsehformaten wie „Deutschland sucht den Superstar
(DSDS)“.
Nach weiteren übergreifenden Beiträgen zum Wettbewerb
in der populären Musikszene aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg
von Fred Ritzel und zur Entwicklung der wissenschaftlichen Medienkritik
von Christoph Jacke knüpften einige Vorträge an Helms’
vormittäglichen Gedanken an, in dem vor allem heutigen Medien-Musikwettbewerben
wie „DSDS“ Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Kai Lothwesen
und Daniel Müllensiefen (Hamburg) etwa haben in einer aufwendigen
empirischen Studie die Wahrnehmung von Musikstars bei jugendlichen
Rezipienten untersucht und anhand von Befragungen und qualitativen
Inhaltsanalysen musik-, medien- und kommunikationswissenschaftliche
Aspekte integriert. Dabei ergab sich eine offensichtliche Fähigkeit
zur Unterscheidung der Rezipienten zwischen „echten“
Musikstars und Casting-Personen. Auch Ralf von Appen (Gießen)
nahm „DSDS“ unter die musiksoziologische Lupe und analysierte
die Bewertungskriterien der „DSDS“-Jury um Dieter Bohlen.
Neben den starken Verflechtungen zwischen Massenmedien, Musikindustrie
und Popmusik im Wettbewerb, wie sie ferner unter anderem in Michael
Webers (Wien) Vortrag zur österreichischen Vorausscheidung
zum Grandprix der Volksmusik 2004, Marc Pendzichs (Hamburg) Untersuchungen
zu Coverversionen und Hit-Recycling oder Carsten Heinkes (Dortmund)
Ausführungen zu den brasilianischen TV-Musikfestivals farbig
dargestellt wurden, sei betont, dass es auf der Tagung auch Beiträge
zu musikpädagogischen Gesichtspunkten von Wettbewerb, Konkurrenz
und Lernen wie etwa von Anja Herold (Bremen) gab.
Dass das Thema Wettbewerb eine immer stärkere gesamtgesellschaftliche
Bedeutung von Schulausbildung bis zu Medienformaten und -inhalten
erlangt, dürfte auf der 15. Arbeitstagung des Arbeitskreises
Studium Populärer Musik e.V. deutlich geworden sein: Tagungsergebnisse
werden in der nächsten Nummer der „Beiträge zur
Popularmusikforschung“ veröffentlicht.
Besonders auffallend war die ertragreiche Diskussionsfreudigkeit
von Musikwissenschaftlern, Musikpädagogen, Soziologen, Medien-
und Kulturwissenschaftlern, die diese Tagung zu einem erkenntnisreichen
Ereignis abseits eingefahrener wissenschaftlicher Diskurse machte.
Bleibt zu hoffen, dass die Popmusikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler
in den nächsten 20 Jahren weiter so innovativ arbeiten, dann
gibt es nur Gewinner und keine Verlierer.