[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 14
54. Jahrgang | Februar
Kulturpolitik
Identität ist gefragt
Zum „Forum Neuer Musik“ des Deutschlandfunk
Während es der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten
ist, die Grundversorgung an Information und Kultur aus den entsprechenden
Bundesländern zu garantieren, ist es die Aufgabe von Deutschlandfunk
und Deutschlandradio Berlin, dies bundesweit zu tun. Die Öffentlich-Rechtlichen
tun sich seit der letzten missratenen Gebührenerhöhung
sichtlich schwerer, ihren Kulturauftrag zu erfüllen. Die nmz
berichtet über diesen Verfallsvorgang regelmäßig,
siehe auch in dieser Ausgabe auf den Seiten 1, 8 , 9 und 45. Doch
wir legen nicht nur den Finger in die Wunde der kulturellen Dekonstruktion.
Auch das Positive findet in der nmz seinen Platz. Zum Beispiel die
Arbeit im Deutschlandfunk-Sendesaal am Kölner Raderberggürtel,
wo alljährlich im März mit geringem Budget und großem
Engagement zeitgenössisches Schaffen gepflegt wird. Die Rede
ist vom „Forum Neuer Musik“. Die nunmehr sechste Ausgabe
dieses Miniaturfestivals steht vor der Tür (4. bis. 6. März)
– ein Anlass für ein Gespräch mit dem zuständigen
Redakteur Frank Kämpfer.
Kein Setting für Musiktherapie,
sondern Vorbereitungen für ein „Electronic Music
Theatre“: drei von vier „Freudianern“
bei einer Aufnahme im Sendesaal des Deutschlandfunk. Foto:
Deutschlandfunk
neue musikzeitung: Was tut ein bundesweit ausstrahlender
Neue-Musik-Redakteur, was kann er leisten und wie wichtig ist das? Frank Kämpfer: Er verschafft sich zuerst einen Überblick,
welche Initiativen Neuer Musik es deutschlandweit gibt und welche
davon für sein Programm interessant, sinnvoll und finanzierbar
sind. Interessant sind für mich nicht zwingend allein die Namhaften
und Institutionalisierten wie Donaueschingen, Darmstadt oder Witten.
Über die berichten wir ohnehin, klar. Aber auf den kleinen,
finanziell nicht abgefederten Podien in den Regionen geschieht inzwischen
auch viel, was avanciert, aktuell und heutig ist. Man muss also
sehr genau schauen, denn Geld und Scheinwerferlicht sind noch keine
Garantie für Qualität und Innovation. Mich interessiert
es am meisten, jüngere Leute zu fördern, Starthilfen zu
geben, Entwicklungsschübe zu initiieren – und zwar in
möglichst allen Bundesländern. Das ist übrigens gute
DLF-Tradition und schließlich Programmauftrag.
Landesweite Berichterstattung über Aktivitäten neuer Musik
ist heute kulturpolitisch sehr wichtig, damit diese nicht plötzlich
sang- und klanglos aus dem allgemeinen Bewusstsein verschwinden.
Noch besser ist es, wenn man Konzerte aufzeichnen und gelegentlich
kleine Kompositionsaufträge unterstützen kann –
was übrigens am ökonomischsten ist, wenn mehrere Rundfunkpartner
dabei kooperieren. Im besten Fall entsteht dabei ein
Kontakt, der schließlich zu einem Konzert beim „Forum
Neuer Musik“ im Deutschlandfunk führt.
nmz: „Aus Kindertagen“, „Beat“,
„Jugend“ – wenn man die Titel der Konzerte Ihres
diesjährigen Forums liest, könnte man meinen, dass es
sich um ein Nachwuchsfestival handelt. Wie ist das zu verstehen? Kämpfer: Wenn es um die Zuhörer geht, hoffe ich
das in der Tat. Unser
Publikum ist dabei, sich stark zu verjüngen. Wir sprechen gezielt
Schüler und Studierende an, wollen das traditionelle Avantgarde-Fachpublikum
noch mehr um allgemeinkulturell interessierte Leute ergänzen.
Inhaltlich steht das „Forum 2005“ unter dem Motto „Identitäten“.
nmz: „Identitäten“ – das klingt
bei der heutigen Lage der Dinge auf dem Markt der Neuen Musik fast
wie eine Provokation. Kämpfer: Es klingt zunächst nach Substanz und –
was heute ja kaum mehr en vogue ist – nach einem Konzept.
Ich habe Künstler eingeladen, die starke Persönlichkeiten
verkörpern, die für gesellschaftlich relevante Botschaften
stehen und künstlerisch nicht abgenutzt sind, weil sie von
einem Festival zum anderen hetzen. Das sind die Komponisten Sidney
Corbett und Iris ter Schiphorst und der junge Pianist Ralph van
Raat – ein echter Geheimtipp aus Hilversum. Von Konzert zu
Konzert vertieft sich dabei eine Spurensuche nach dem, was denn
künstlerische Eigenständigkeit nun wirklich ausmachen
kann.
Deshalb kommen wir am Ende auf „Freud“ und zu einem
medienkünst-lerischen Blick auf musikalische Vergangenheit
– das ist dann das „Electronic Music Theater“
von und mit Oliver Augst, Marcel Daemgen, Thomas Dézsy und
Christoph Korn aus Frankfurt am Main. nmz: Welche Uraufführungen gibt es beim „Forum
Neuer Musik“?
Kämpfer: Das eben erwähnte „Freud“-Projekt“
ist eine Uraufführung, die in Zusammenarbeit mit ZOON Wien
und MOUSON in Frankfurt zustande kommt. Mathias Kadar aus Amsterdam
schenkt uns ein neues Klavierstück und schließlich werden
zwei Kompositionsaufträge des Deutschlandfunk uraufgeführt:
Iris ter Schiphorsts Oktett „Aus Kindertagen: verloren“
und das „Electric Guitar Concerto“ von Sidney Corbett,
welches Seth F. Josel und die musikFabrik aus der Taufe heben werden.
nmz: Stichwort musikFabrik, Stichwort Musikproduktion.
Erst kürzlich habe ich erlebt, wie die musikFabrik eine CD
mit Werken des Bayerischen Komponisten Tobias P.M. Schneid bei Ihnen
eingespielt hat. Da drängt sich die Frage auf, was denn sonst
im Kölner Sendesaal so passiert? Kämpfer: In unserem Sendesaal ist immer Betrieb. Da
laufen Veranstaltungen, Konzertreihen wie zum Beispiel die „Raderbergkonzerte“
oder „Forum Alte Musik“. Und es wird Musik produziert
für unser Programm. Der Deutschlandfunk co-produziert dabei
sehr viel mit CD-Firmen, ähnlich wie andere öffentlich-rechtliche
Rundfunkanstalten auch: alte Musik, Klavier- und Kammermusik, Oratorien,
kleiner besetzte Orchestermusik, Und eben Neues, Experimentelles.
Der Sendesaal ist sehr beliebt, und ein Jahr im Voraus gut ausgebucht.
Mich selbst reizt es natürlich, die Grenzen des technisch Möglichen
auszutesten. Zum Beispiel haben wir vor ein paar Jahren Luigi Nono’s
„Quando stanno morendo“ in einer neuen Live-Elektronik-Version
der Stuttgarter Digital Masters hier als SACD produziert. Oder vor
Kurzem experimentelle Solo-CDs mit Matthias Kaul und mit Marco Blaauw.