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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 13
54. Jahrgang | Februar
Kulturpolitik
Neues Profil der Ausbilder gefragt
Europas Musikhochschulen ergreifen Initiativen
In der Kulturhauptstadt 2004, in Genua versammelte Italiens Musikrat
CIDIM Sachverständige rund um den Themenkreis, welche Chancen
heutzutage junge Talente für ihre Karrieren haben könnten.
Viele Preisgekrönte stellten sich vor und fragten sich: Was
nützen Wettbewerbe und Preise, wenn danach nichts passiert.
Veranstalter, Agenten, Journalisten hörten zu, aber blieben
die Antwort (fast) schuldig. Dass für Orientierung und Weichenstellung
des künstlerischen Nachwuchses sich einiges ändern muss,
scheint mehr und mehr bei denen einsichtig zu werden, die für
musikalische Ausbildung Verantwortung tragen. Das sind in erster
Linie die beruflichen Ausbildungsstätten für Musik. Deren
„Association Européenne des Conservatoires, Académies
de Musique et Musikhochschulen“ (AEC, Sitz in Utrecht) traf
sich zur Jahreskonferenz zeitgleich andernorts, von Genua aus ein
paar Reisestunden weiter westlich, im andalusischen Oviedo.
Genua, Kulturhauptstadt
2004: Hier traf sich der italienische Musikrat zu seiner
Jahreskonferenz. Foto: Archiv
Berufliche Chancen sind derzeit Globalthema. Präziser: Wie
müssen Musiker heute für morgen beschaffen und dementsprechend
ausgebildet sein, um in ihrer beruflichen Praxis auf gesellschaftliche
Veränderungen, auf sich wandelnde Hörgewohnheiten und
auf wachsende kulturelle Vielfalt und deren Bedürfnisse reagieren
zu können.
Dazu die strukturellen Veränderungen der Erwerbstätigkeit
und des Arbeitsmarktes. Man beginnt zu begreifen und Konsequenzen
zu ziehen: „Musiker zu sein, impliziert auch die Chance, eine
ganze Reihe von Rollen zu übernehmen, verschiedenartig und
breitgefächerter als die nur der Interpretation oder des Komponierens“
– so postuliert es der Londoner Peter Renshaw.
Langsam kristallisieren sich neue Profile und Leitbilder heraus.
Musiker, die nicht nur als Tastenbändiger auftreten, die sich
nicht nur auf Teufelstrillerei verstehen, sondern neben zentralen
Kernqualifikationen der Künstlerpersönlichkeit weitere
und neue Qualifikationen haben sollten. Solches sahen unsere künstlerischen
Hochschulen bislang nicht als ihre Ausbildungsdomäne: Vermittlung
von Selbstmanagement, Organisationsvermögen, kulturelle, gesellschaftspolitische
Allgemeinbildung und Fremdsprachen. Neben künstlerisch-technisch
freilich sich noch immer steigern lassenden Fähigkeiten sind
dringlich genauso gefragt persönlichkeitsbildende, pädagogische
und unternehmerische Fertigkeiten. Das Ziel: berufliche Alternativen
und Vielseitigkeit.
Dieser Moll-Akkord der AEC implizierte nicht nur Jammer, sondern
zugleich vorsichtigen Optimismus und Initiative, sich in den Ausbildungsinstituten
neuen Herausforderungen zu stellen,– Good-will-Folgerungen
aus der so genannten Bologna-Erklärung von 1999/2001, in der
die notwendige Reformierung der Musikausbildung europaweit beschworen
wurde. Immerhin ist schon Halbzeit bis zum erstrebten Ziel 2010.
Das Drei-Tage-Reden der Hochschulexperten drehte sich insbesondere
um den Typ jenes Ausbilders, der die künftige Generation von
Musikern bilden und ausbilden soll. Um neu zu definierende Unterrichtsziele.
Um das Wie und Was des Unterrichtens. Um die Qualität des Ausbilders,
der selbst Interpret und Lehrer, der initiativ, kreativ, flexibel,
kooperativ sei, der organisieren und führen kann.
Der AEC, diesem Netzwerk europäischer Musikhochschulen, dem
nur wenige Institute abwartend und vielleicht zu konservativ und
sich so selbst blockierend gegenüber stehen, mag man gerne
bescheinigen, dass sie mit Fantasie, Initiative und Kooperationsbereitschaft
zum Handeln antreibt.
Was zu diesen Themen an Fachwissen, an Ergebnissen, an Erwartungen
initiierter Forschungen und durchgeführter Pilotprojekte, meist
im Rahmen EU-geförderter Programme, unterwegs ist, erfüllte
diesen streng geführten Simultankongress von mehr als 200 Hochschulexperten
trotz November-grauer Biskaya-Stimmung mit Leben und kreativen Gesprächen.
Respekt verdient auch eine weitere, kulturpolitisch hoffentlich
folgenreiche Initiative der AEC, gemeinsam im European Forum of
Music Education and Training erarbeitet: das an die Europäische
Kommission gerichtete Memorandum als wohl begründete –
inzwischen übergebene – Empfehlung „zur Rolle von
Musikerziehung und Ausbildung im neuen EU-Programm für Kultur“
für mögliche und wünschenswerte Förderungsprojekte.
Sie legt mit ihren ganz konkreten Vorschlägen überzeugend
und detailliert dar, wie bestehende beziehungsweise ab 2007 geplante
und veränderte EU-Bildungs- und Kulturprogramme sinnvoll musikalischer
Erziehung und Ausbildung in Europa zugute kommen könnten. Eine
bessere Argumentations- und Entscheidungshilfe können die EU-Beamten
eigentlich nicht erwarten.