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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 3
54. Jahrgang | Februar
Magazin
Wahrhaftigkeit in den Wechselfällen der Zeit
Das Karl-Amadeus-Hartmann-Jahr als Chance für überfällige
Anerkennung · Von Hans Jörg Jans
Karl Amadeus Hartmann wurde am 2. August 1905 geboren. Sein Geburtstag
fällt kalendarisch zwischen die Saisonprogramme. Das hatte
zur Folge, dass in der Konzertreihe der Musica Viva des Bayerischen
Rundfunks das Jubiläumsjahr ihres Gründers musikalisch
bereits im Oktober 2004 mit der Aufführung seiner ersten Symphonie,
„Versuch eines Requiems“ (1935/1950) eröffnet wurde.
Gleich im Januar 2005 standen dann bei den Münchner Philharmonikern
unter Ingo Metzmacher die 2. und 6. Symphonie auf dem Programm,
das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Mariss Jansons
am Pult brachte die „Gesangsszene zu Worten aus ‚Sodom
und Gomorrha‘ von Jean Giraudoux“ zur Aufführung.
Es ist Hartmanns letztes Werk, das gleichsam den Platz seiner 9.
Symphonie einnimmt und bis auf wenige Schlusstakte unmittelbar vor
seinem Tod am 5. Dezember 1963 vollendet wurde.
Der Komponist im Gespräch
(1961), Abb. aus dem besprochenen Band „Karl Amadeus
Hartmann, Komponist im Widerstreit“ (Bärenreiter).
Foto: Walter Kneist
Damit war zu Beginn des Gedenkjahrs das symphonische Schaffen des
Komponisten rich- tungsweisend in den Mittelpunkt gestellt. „Die
Projektionsebene des Symphonischen ist das eigentliche Medium von
Hartmanns Komponieren“, hält Ulrich Dibelius in dem Programm-Buch
fest, das die Veranstaltungen zum Hartmann-Jahr in Bayern begleitet
und zusammenfasst. Einzelne Symphonien – die erste, die zweite
oder die vierte Symphonie für Streichorchester – kommen
mehrfach zur Aufführung, doch leider vermisst man die Achte,
deren Uraufführung unter Rafael Kubelik der Komponist im Januar
1963 noch erleben durfte.
Programmakzente
Von den Möglichkeiten des Musiktheaters – seines zweiten
Schaffensschwerpunkts – war Hartmann sein Leben lang fasziniert.
Zu den Arbeitsplänen seiner letzten Jahre gehörte auch
die Suche nach einem Libretto für eine neue Oper. Sein erster
jugendlicher Geniestreich für die Bühne aus den Jahren
1929/30, das „Wachsfigurenkabinett“ hat bereits in den
ersten Februartagen des Hartmann-Jahres Premiere (Hochschule für
Musik und Theater München, Reaktorhalle). Von seinem szenischen
Hauptwerk „Simplicius Simplicissimus“ liegen zwei Versionen
vor, die ursprüngliche Fassung als Kammeroper von 1934/35 und
die Umarbeitung aus dem Jahr 1956. Die Bayerische Staatsoper eröffnet
die Münchner Opernfestspiele 2005 mit einem einmaligen Gastspiel
der gefeierten Stuttgarter Inszenierung des Werkes. Dem Münchner
Rundfunkorchester ist es zu danken, dass man sich zum Beschluss
des Hartmann-Jahres in einer konzertanten Aufführung dann ein
weiteres Mal mit der Partitur in ihrer Originalgestalt auseinandersetzen
kann. Bedauerlich ist, dass die Staatsoper sich nicht dazu entschließen
konnte, die spätere, größer besetzte Fassung als
Neuinszenierung in ihren regulären Spielplan einzubeziehen.
Die attraktiv gestaltete Programm-Publikation, die im Auftrag
des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung
und Kunst von Franzpeter Messmer herausgegeben wurde, evoziert mit
sprechendem Bildmaterial die Lebenswelt des Komponisten. Über
den Nachweis der Veranstaltungen hinaus werden in knappen Beiträgen
kompetenter Autoren die Schwerpunkte des Werks, die Grundzüge
der menschlichen und künstlerischen Persönlichkeit Hartmanns
und ihrer Verankerung im politischen und ästhetischen Umfeld
seiner Zeit dargestellt. Dank eines Werk- und Personen-Registers
sind die gewünschten Auskünfte leicht aufzufinden. (Der
Nachweis der Veranstaltungen gibt den Stand vom 1. September 2004
wieder, Ergänzungen werden unter www.karlamadeushartmann.com
nachgetragen.)
Im zurückliegenden Jahrzehnt kam es in Bayern zu einer Abfolge
großer Gedenktage von sehr unterschiedlichen Komponisten-Persönlichkeiten.
Mit Carl Orff wurde 1995 der Reigen begonnen, 1996 folgte der 50.
Todestag von Richard Strauss, 1997 war Werner Egk an der Reihe.
Das Ministerium gab jeweils Jahre zuvor den Anstoß zur Koordination
der geplanten Aktivitäten. Im Falle von Karl Amadeus Hartmann
ging die Initiative von einem Gedenkabend aus, der im Dezember 2001
vom Orff-Zentrum München für den Komponisten veranstaltet
wurde.
Publikationen
Zum Herbstbeginn 2004 lag auch der von Ulrich Dibelius angeregte
und herausgegebene Aufsatzband „Karl Amadeus Hartmann, Komponist
im Widerstreit“ vor. Mit dem zeitlichen Vorsprung wollte der
Herausgeber deutlich machen, dass diese Ehrengabe zum 100. Geburtstag
des Komponisten über den unmittelbaren Anlass hinausreichen
soll. Dibelius geht es darum, „das Missverhältnis zwischen
der relativ jungen allgemeinen Anerkennung des Komponisten und einer
fachlich schon länger erprobten Wertung endlich auszugleichen“.
Tatsächlich kann der Aufsatzband mit neuen Beiträgen von
fast all jenen Autoren und Autorinnen aufwarten, die sich in den
letzten Jahrzehnten im Diskurs um Hartmanns Persönlichkeit
und Werk profiliert haben: Andreas Jaschinski, Andrew McCredie und
Barbara Zuber zu den Symphonien Hartmanns, Hanns-Werner Heister
zu den konzertanten Werken, Rüdiger Behschnitt zum „Simplicius
Simplicissimus“, Christoph Lucas Brehler zum Frühwerk
und Egon Voss zu Hartmanns Kammermusik. In zwei Beiträgen stehen
zeitgeschichtliche Themen im Vordergrund. Hartmut Lück untersucht
„Politik als Hintergrund und Motiv“ in Hartmanns Komponieren,
Barbara Haas geht dem „nicht immer ganz unproblematischen
Verhältnis“ zwischen Orff, Egk und Hartmann nach. Im
letzten Aufsatz dieses auch typographisch vorzüglich angelegten
und zur Lektüre einladenden Bandes führt Ulrich Dibelius
seine in den frühen sechziger Jahren begonnene, grundlegende
Deutung des Werks seines Komponistenfreundes weiter: „Musik
als Selbstzeugnis, Hartmanns gelebte und komponierte Wirklichkeit.“
Diesen Aufsätzen sind unter dem Titel „Über mich
selbst und meine Arbeit“ Auszüge aus den autobiographischen
Texten Hartmanns vorangestellt. Sie sind den erst nach seinem Tod
veröffentlichten „Kleinen Schriften“ entnommen,
die seit langem vergriffen sind und offenbar nicht einmal in diesem
Jahr mit einer Neuausgabe rechnen dürfen. Zwei weitere Dokumente,
ein Interview mit Elisabeth Hartmann, seiner Gattin, aus dem Jahr
1994 und Erinnerungen seines Sohnes Richard Hartmann, „Mein
Vater und mein Onkel, der Maler“, ergänzen die Selbstdarstellung
des Komponisten.
Es ist kein Zufall, wenn die Hartmann-Monographie von Andrew McCredie
von 1980 auch in der erweiterten Neuauflage zum 100. Geburtstag
des Komponisten die zeitgeschichtliche Kapitel-Einteilung beibehält.
Die Jahre 1933 und 1945 bezeichnen die entscheidenden Wendepunkte
sowohl für das Schaffen des Komponisten wie für das Leben
von Karl Amadeus Hartmann. „Der seltenen Übereinstimmung
von Denken und Handeln im Leben entspricht ein Werk von außerordentlicher
Geschlossenheit und Einheitlichkeit“ (Dibelius).
Verwirklichung des Humanen
Eine andere Eigenschaft, die damit in unmittelbarem inneren Zusammenhang
steht, heißt künstlerische Wahrhaftigkeit. „Privatim
wirkte Hartmann gemütvoll, behaglich, friedlich. Und keineswegs
aggressiv fundamentalistisch. Dafür jedoch schien Hartmanns
Kunst geprägt von hoher, ungefälliger, bei nichts und
niemandem sich anbiedernder Wahrhaftigkeit“, so Joachim Kaiser
in seinem Geleitwort zu einer weiteren neuen Publikation, die Barbara
Haas unter dem Titel „Zeitzeugen und Dokumente“ vorgelegt
hat.
Als menschliche und künstlerische Erscheinung geht von Karl
Amadeus Hartmann eine starke Anziehungskraft aus. Wobei es gleichgültig
ist, ob man ihn noch persönlich gekannt hat oder ihm erst jetzt
als einer historischen Größe, wenn auch aus kurzer zeitlicher
Distanz gegenübertritt. So hat der Komponist unsere ungeteilte
Sympathie als ein bewundernswerter Vertreter jener offenbar nicht
überwältigend zahlreichen Gruppe der „Früherkenner“,
die sich um 1933 nicht blind stellten und überdies bereit waren,
die entsprechenden Konsequenzen aus ihren Einsichten zu ziehen.
Wie nützlich wäre es, wenn jene Persönlichkeiten
insgesamt vermehrt in das Blickfeld der Zeithistoriker gerieten.
Wobei es weniger darum ginge, gleichsam in einem nachträglichen
Prozessverfahren zu untersuchen, wie lupenrein sie sich in ihrer
Haltung jederzeit bewährt haben, als vielmehr die persönlichen
und gesellschaftlichen Voraussetzungen nachzuvollziehen, die ihnen
den Durchblick ermöglicht haben. Damit könnte ein aufschlussreicher
Beitrag zur Erhellung der „condition humaine“ geleistet
werden. Denn schließlich geht es ja um die Geschichte von
Menschen. Die unumgänglichen Relativierungen, wie sie die Zeitgeschichte
zu Tage fördern muss, vermögen deshalb auch nicht die
Lebensleistung oder gar die künstlerische Größe
eines Karl Amadeus Hartmann zu beeinträchtigen.
Primat der Musik
„Größe eines Künstlers ist Aufbau einer
inneren Welt, und das Vermögen, diese innere Welt an die äußere
zu vermitteln. Beides gehört zusammen, keins ist denkbar ohne
das andere.“ Diese Sätze – sie könnten von
Karl Amadeus Hartmann stammen – legt Alfred Einstein (ein
Cousin des Physikers) in seinem immer wieder lesenswerten Essay
„Größe in der Musik“ den „inneren Bedingungen
der Größe“ zu Grunde. Tatsächlich gilt diese
Maxime für Hartmanns künstlerisches Schaffen insgesamt.
Am deutlichsten fassbar ist sie vielleicht gerade dann, wenn Hartmann
– höchst reflektiert und mit größter Folgerichtigkeit
– im Verlauf des ersten Jahrzehnts nach 1945 daran geht, viele
seiner Kompositionen aus der Zeit der äußeren Verweigerung
und inneren Emigration umzuarbeiten. „Wenn meine Musik in
letzter Zeit oft Bekenntnismusik genannt wurde, so sehe ich darin
nur eine Bestätigung meiner Absicht. Es kam mir darauf an,
meine auf Humanität hinzielende Lebensauffassung einem künstlerischen
Organismus mitzuteilen“ (1955, Autobiographische Skizze).
Wenn sich der Komponist, wie sein Sohn berichtet, in den letzten
Lebensjahren entschieden dagegen verwahrt haben soll, sein Werk
auf den Begriff von „Bekenntnismusik“ festlegen zu lassen,
so wird man das wohl als eine Warnung zu verstehen haben, die Aussage
seiner Kompositionen vorschnell oder gar doktrinär auf bestimmte
Inhalte oder Ausdruckskategorien einzuengen. Hartmann setzte sich
gegen jede Form von „Vereinnahmung“ zur Wehr. Wie viel
an seinem Werk – bei aller Eindeutigkeit seiner Botschaft
– offen bleibt, ja Geheimnis sein darf, das belegt auf ihre
Weise auch die angestrebte und für sich einnehmende „Mehrstimmigkeit“
des genannten Aufsatzbandes, der auch darin seinem Untertitel „Ein
Komponist im Widerstreit“ gerecht wird. Letztlich kann es
ja bei allem begrifflichen Argumentieren nur darum gehen, das Hören
anzuregen und zu vertiefen. Der Komponist wollte, dass er in seinem
Eigentlichen wahrgenommen wird. Es ist die Partitur, die dem Hörer
und dem Interpreten unmittelbar Stand zu halten hat. Oder wie es
Ingeborg Bachmann in ihrem Gedicht „In memoriam Karl Amadeus
Hartmann“ ausgesprochen hat: „Zuviel übersehen
und überhört. Die Partitur allein kennt / die Fermate.“
Hans Jörg Jans
Literatur Karl-Amadeus-Hartmann-Jahr 2005 in Bayern. Hg. v. Franzpeter
Messmer. C. Hartmann Verlag, München 2004, € 4,95; zu
beziehen über den C. Hartmann Verlag unter Tel. 089 / 69
36 56-0; Fax: 69 36 56-56 Ulrich Dibelius (Hg.): Karl Amadeus Hartmann. Komponist im
Widerstreit, Bärenreiter, Kassel , gebunden, 347 S.,
ISBN 3-7618-1782-7, € 29,95 Andrew McCredie: Karl Amadeus Hartmann, Leben und Werk.
2., vollständig erweiterte und verbesserte Auflage, Florian
Noetzel, Wilhelmshaven, Paperback, 334 S., ISBN 3-7959-0297-5,
€ 25,- Barbara Haas: Karl Amadeus Hartmann (1905-1963). Zeitzeugen
und Dokumente. Zum 100. Geburtstag des Komponisten, Florian
Noetzel, Wilhelmshaven, Paperback, 334 S. mit 1 CD: Zeitzeugen
erinnern sich, ISBN 3-7959-0841-8, € 44,-,
Ein Hartmann-Kapitel enthält auch das erstmals 2000 auf englisch
erschienene Buch des Zeithistorikers Michael Kater: Komponisten
im Nationalsozialismus. 8 Porträts. Parthas, Berlin,
gebunden, 494 S., ISBN 3-936324-12-3, € 38,-
Ausstellungen
29.7.–30.11. Münchner Stadtmuseum: „Gegenaktion“
7.9.–28.10. Bayerische Staatsbibliothek: „Der Komponist
und sein Werk“
Hartmann-Gesellschaft
Im Vorfeld der Hartmann-Nacht wird auch die neu gegründete
Karl Amadeus Hartmann-Gesellschaft mit einer großen Veranstaltung
an die Öffentlichkeit treten (Musikhochschule München,
5. Februar, 16.00 Uhr). Eines ihrer ersten Projekte ist die im
Januar eröffnete Ausstellung im Goethe-Institut Rotterdam,
die dann nach Berlin und Dresden weiterziehen wird. Geplant sind
außerdem Publikationen und langfristig auch Forschung und
Dokumentation in eigenen Räumen. Neben Udo Zimmermann als
Präsident gehören der Gesellschaft unter anderem Wolfgang
Rihm und Hans Werner Henze an. Ansprechpartner ist Geschäftsführer
Christoph Lucas Brehler (Tel. 069/69 53 56 04, cbrehler@hotmail.com).
Sitz der Gesellschaft: Franz-Joseph-Str. 20, 80801 München.