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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 7
54. Jahrgang | Februar
Magazin
Angekündigte Abschaffung
Das Musikschulsterben erreicht Baden-Württemberg
Von den bundesweit 985 öffentlichen Musikschulen sind in
2002 zwei, in 2003 und 2004 jeweils vier der Sparwut der Kommunen
zum Opfer gefallen. Tendenz steigend. Das Sparmodell, welches eine
Ausgabenreduktion im öffentlichen Haushalt durch den Wegfall
der örtlichen Musikschule vorsieht, scheint sich bei den Verantwortlichen
in den Verwaltungen bereits zu etablieren.
Nun hat der Sensenmann das Musikschulmusterland Baden-Württemberg
erreicht. Rechtzeitig zur Adventszeit 2004, gingen dort die Lichter
aus. Im Dunkel verschwand musikalische Bildung. Verkündete
Ministerpräsident Erwin Teufel im Jahre 2000 noch voller Stolz,
die Musikschulentwicklung gehöre zum Allererfreulichsten, „was
wir im Lande haben“, so stehen vier Jahre später die
beiden kommunalen Musikschulen in Teufels Wahlkreis Villingen-Schwenningen
und der Musikhochschulstadt Trossingen vor dem Aus.
Schüler und Eltern
aus der „Musikstadt“ Villingen-Schwenningen
Foto: J. Hahne
Es ist Struktur-Horror pur, was die Stadt Villingen-Schwenningen
Anfang Dezember zum Auftakt der Spardebatte dem Gemeinderat nicht-öffentlich
auf den Tisch legte. Noch im Mai 2004 als Ausrichter des Bundeswettbewerbes
„Jugend musiziert“ von den Medien als vorbildliche Musik-
und Kulturstadt gepriesen, kommt urplötzlich die Schließung
der Jugendmusikschule als Vorschlag an die Stadträte auf den
Tisch. 750.000 Euro Zuschussbedarf ließen sich so einsparen,
wenn die Kinder der Doppelstadt mit Geigenkasten und Trompetenkoffer
auf der Straße stehen bleiben.
Kritisiert wurde vor allem die Eile, mit der Oberbürgermeister
Rupert Kubon den Punkt abhaken wollte, ohne dass ein schlüssiges
Konzept vorlag, wie es mit der musikalischen Ausbildung weitergehen
soll. Verständlich das Entsetzen bei den Eltern und Schülern
der Jugendmusikschule, als sie von den weit reichenden Sparplänen
der Stadt erfuhren. Während diese ihrem Unmut über das
bevorstehende Aus der Musikschule bei mehreren Protestkundgebungen
Luft machten, versuchte OB Kubon die geplante Schließung zu
rechtfertigen: „Die Frage ist augenblicklich nicht, welche
Einrichtungen wir schließen müssen, sondern welche wir
überhaupt noch aufrecht halten können. In der aktuellen
Situation hat man nur die Wahl zwischen Pest und Cholera“.
Ginge es nach dem OB, würde die Jugendmusikschule mit 55 Mitarbeitern
und 1.500 Schülern nicht zu jenen Institutionen gehören,
die man weiter aufrechterhalten kann. Daher wies er auch ausdrücklich
darauf hin, dass das Sparpotenzial, das für den kommunalen
Haushalt in der Jugendmusikschule steckt, beträchtlich sei.
Der Hintergrund der radikalen Schließung, die in Baden-Württemberg
mit Ausnahme Trossingens bislang beispiellos wäre, ist vor
allem arbeitsrechtlicher Natur. Insbesondere die bisher fest angestellten
und nach Angestelltentarif vergüteten Musiklehrer werden der
Kommune zu teuer. Eine Schließung würde betriebsbedingte
Kündigungen und damit einen personellen und organisatorischen
Neuanfang ermöglichen. Zu kurz gedacht? Es mag zwar richtig
sein, dass durch die Schließung auf den ersten Blick Gelder
eingespart werden können, jedoch sollte auch darüber nachgedacht
werden, was es für eine Stadt langfristig bedeutet, wenn es
immer weniger junge Menschen gibt, die selbst Musik machen, weil
an der Musikschule gespart wird. Leisten nicht gerade die Musikschulen
einen wesentlichen Beitrag zur Gewaltprävention, Sozialisation
und Persönlichkeitsentwicklung von jungen Menschen und bereichern
damit nachhaltig das Gemeinwesen? Entlasten die Musikschulen durch
die Wahrnehmung von bildungs-, kultur-, jugend- und sozialpolitischen
Aufgaben nicht den Haushalt einer Kommune an anderer Stelle in weit
aus höherem Maße? Nach heftiger Kritik an den Sparplänen,
einigten sich die Volksvertreter von Villingen-Schwenningen schlussendlich
am 15. Dezember 2004 auf die Reduzierung des Zuschusses auf 350.000
Euro. Bis März 2005 soll ein Konzept vorliegen, wie die Sparmaßnahmen
umgesetzt werden können. Nach Recherchen des Südkuriers
gibt es bereits konkrete Überlegungen, wie dieses Konzept aussehen
könnte. Im Rathaus wird daran gedacht, die Ausbildung des musikalischen
Nachwuchses ab Herbst 2005 in die Hände örtlicher Vereine
zu legen. Mit den Stadtmusikdirektoren in Villingen und Schwenningen
sollen bereits Gespräche geführt worden sein, ebenso mit
dem Sinfonieorchester Villingen-Schwenningen. Die bisherige Jugendmusikschule
wird ihren Betrieb zumindest bis zum Sommer 2005 fortführen.
Interessant ist, dass in den Sparplänen der Stadt bislang
über den größten zusätzlichen Ausgabeposten
der nächsten Jahre kein Wort zu lesen ist: die Landesgartenschau
2010. Heißt das etwa: „Finanzierung eines Prestigeprojektes
durch die Schließung kommunaler Einrichtungen“?
Wer nun dachte, mit den Sparplänen aus Villingen-Schwenningen
sei bereits das Ende des Zumutbaren erreicht, hat nicht mit der
Perfidie profilierungsbedürftiger Ökonomen der Stadt Trossingen
gerechnet. In der Musikstadt ist man drauf und dran, den guten Ruf,
den die Musikschule in der Region und darüber hinaus noch hat,
vollends zu verspielen. Mit einem neuen Unternehmenskonzept soll
die Musikschule Trossingen auf Wirtschaftlichkeit, Flexibilität
und Leistung ausgerichtet werden. Da die bisherige Dienstleitungsqualität
der Musikschule nach Ansicht der Stadtverwaltung nicht zukunftsfähig
sei, soll sie künftig als Musisches Bildungszentrum Trossingen
gGmbH fortgeführt werden. Bereits im Februar 2004 wurde den
44 Lehrern das Angebot unterbreitet, Verzicht auf rund 13 Prozent
des Gehalts zu leisten, dafür bleibt das Anstellungsverhältnis
gewahrt. Das wurde von den Lehrkräften mehrheitlich abgelehnt.
Ein anderes Konzept musste her: Honorarkräfte hieß die
Lösung. Um das neue Bildungszentrum profitabel zu führen,
wird den Lehrern zum 30. September 2005 gekündigt, gleichzeitig
können sie neue Verträge als freie Mitarbeiter unterzeichnen.
Von ihrer Fürsorgepflicht für die langjährigen und
verdienten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Musikschule getrieben,
versuchen der Bürgermeister der Stadt Trossingen Lothar Wölfle
und sein Musikschulleiter Achim Robold seit Ende November vorsorglich
die Lehrkräfte an die anderen Musikschulen des Landes zu verscherbeln.
In einem Schreiben vom 22. November 2004 beknien sie die Musikschulleiter
des Landes, „ob Sie sich eine Beschäftigung einer unserer
Lehrkräfte in einem Anstellungsverhältnis in Ihrem Haus
vorstellen könnten“. Mehr noch: „Wir als der bisherige
Arbeitgeber wären bereit, Umschulungsmaßnahmen bis zu
zwölf Monaten für gleichwertige Verwaltungstätigkeiten
(Verwaltungskraft in ihrer Verwaltung) zu finanzieren“. Eine
wirklich kluge Überlegung der beiden Verantwortlichen, wenn
man bedenkt, dass laut empirischer Studien viele Musiker gleichzeitig
auch als gute Mathematiker gelten. Qualifizieren sich Musikschullehrer
damit nicht als die Stadtkämmerer der Zukunft?
Weder in Trossingen noch in Villingen-Schwenningen konsultierten
die Verantwortlichen den Verband deutscher Musikschulen (VdM), bei
dem beide Schulen Mitglied sind. Nach der ersten Überraschung
machte der VdM, speziell der Landesverband Baden-Württemberg,
Beratungsangebote für beide Schulen, um deren Erhalt zu sichern.
„Die Reaktion war verhalten“, so der baden-württembergische
VdM Geschäftsführer Reiner Mussler. „Wir hoffen,
dass es bald zu einem Gespräch mit Oberbürgermeister Kubon
kommt.“
Kritik für die Entscheidung der Stadt Trossingen kommt von
der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Die Vertreter von der Bezirksgeschäftsstelle
in Schwenningen bewerten den „Trossinger Weg als eine Straße
in die falsche Richtung“. Fachbereichssekretär Markus
Klemmt ist sich sicher, dass mit der Umstellung auf Honorarkräfte
auch die Qualität der musikalischen Erziehung leiden werde.
Ab Oktober 2005 werden die als Honorarkräfte tätigen Lehrer
mit einem Abschlag auf ihre Bezüge in Höhe von 13 Prozent
rechnen müssen. Ab April 2006 wird eine leistungsorientierte
Bezahlung der Arbeit ins Auge gefasst. Leistungsorientiert heißt
auch, dass das neue Bildungszentrum nur solche Leistungen anbieten
wird, die auch vom „Markt“ nachgefragt werden und damit
Profit abwerfen. Mitarbeiter für nicht erbrachte Leistungen
zu bezahlen, könne sich das neue Bildungszentrum nicht mehr
leisten, heißt es im Trossinger Unternehmenskonzept, welches
der Redaktion vorliegt. Hinzu komme, dass auch die Wünsche
der Kinder und Jugendlichen bezüglich ihres zu erlernenden
Instrumentes Trends unterliegen. Solchen Entwicklungen könne
man mit fest angestellten Mitarbeitern kaum begegnen. Nicht nachgefragte
Leistungen sollen durch profitable Angebote ersetzt werden. Außer
Musik sollen auch sämtliche andere Künste angeboten werden.
Neben Yoga und Kurzurlauben für Senioren zählen dazu auch
thematische Bildungsreisen in Kooperation mit Unternehmen der Touristik-,
Werbe- und Reisebranche. Nur profitabel muss es eben sein. Musikschule
zweckentfremdet? Dabei eröffnen sich für die Lehrkräfte
durch das Konzept durchaus neue Tätigkeitsfelder. So können
diese künftig auch Leistungen anbieten, die über ihre
berufliche Ausbildung hinausgehen. Und so sieht der Musiklehrer
der Zukunft nach dem Konzept aus: ein musikunterrichtender yogalehrender
Reiseführer für Senioren. Durchaus ein innovatives Modell.
Ob die neuen Angebote auch zum erhofften Profit führen, darüber
weiß von den Verantwortlichen wohl keiner so wirklich Bescheid.
So lautet es im Konzept: „Viele dieser neuen Angebote sind
in unserer Region noch nicht erprobt und wir wissen nicht, wie lange
es dauert, diese Produkte am Markt stabil und verlässlich zu
platzieren, beziehungsweise die jeweilige Gewinnschwelle zu erreichen.“
Macht ja nichts, liebe Verantwortliche der Stadtverwaltung! Wie
an anderer Stelle des Konzeptes geschrieben steht, ist der Bestand
des Bildungszentrums ja auch dann gesichert, wenn der Ausbau der
Profitbereiche nur ungenügend gelingen sollte: durch die Reduzierung
der Personalausgaben bei den Lehrkräften. Angesichts solch
kreativer Köpfe in den Stadtverwaltungen muss es uns um die
Zukunft der musikalischen Erziehung nicht Angst sein. Vielleicht
schneiden wir ja anhand solcher Ideen das nächste Mal bei der
PISA-Studie etwas besser ab.