[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 8
54. Jahrgang | Februar
Portrait
Marke Flexibilität und Vielfalt
Das Bayerische Kammerorchester unter der Leitung von Ulf Klausenitzer
Selbst für ein Ensemble, das sich wie das Bayerische Kammerorchester
programmatische Vielfalt auf die Fahnen geschrieben hat, war dieser
Konzertabend eher außergewöhnlich. Aus Anlass des 100.
Geburtstages von Peter Kreuder widmete das Orchester seine Neujahrsgala
im König-Ludwig I.-Saal Bad Brückenau dem in den 20er-
bis 40er-Jahren so beliebten Unterhaltungs-Komponisten. Programmatisch
der Titel des Konzerts, entliehen einer der bekanntesten Melodien
Kreuders: „Musik, Musik, Musik“. Weniger programmatisch
begreift das Orchester allerdings die berühmte Textzeile des
Songs: „Ich brauche keine Millionen…“. Alleine
mit Musik, die alle Beteiligten verbindet, lässt sich ein solcher
Apparat eben nicht zusammenhalten – aber um eine halbwegs
gesicherte Finanzierung musste das Ensemble in den letzten Jahren
verstärkt kämpfen und bangen. Das berichtet der Mitbegründer,
Dirigent und Intendant des Bayerischen Kammerorchesters (ehemals
„Kammerorchester Schloß Werneck“), Ulf Klausenitzer.
Das Bayerische Kammerorchester
mit Ulf Klausenitzer. Foto: nmz
Am liebsten will sich der querköpfige Geiger, Dirigent und
Pädagoge – seit einigen Jahren ist er auch Professor
an der Musikhochschule Nürnberg – nur um Programmplanung
und musikalische Qualität kümmern. Um das Orchester aber
halten zu können und voranzubringen bleibt ihm nichts anderes
übrig, als sich auch kulturpolitisch und organisatorisch für
sein Orchester einzusetzen, das er vor 25 Jahren gemeinsam mit einer
Handvoll junger engagierter Musiker in Werneck (bei Schweinfurt)
gründete. Ziel war und ist es, ein hochkarätiges Ensemble
aus Profimusikern vorzuhalten, das sich den unterschiedlichsten
musikalischen Herausforderungen stellt: Werke mit historischen Instrumenten
stehen dabei ebenso auf dem Programm wie Neue Musik, Jazz mit Partnern
wie Dave Brubeck oder Jacques Loussier gehört zu den Schwerpunkten.
Aber auch das Klassik Open Air „zum Träumen und Picknicken
im Kurpark“, die „Last Night of the Proms“ oder
kabarettistische Abende mit Gerhard Polt oder Frank Markus Barwasser
alias Erwin Pelzig finden sich wie selbstverständlich im Jahresprogramm.
Hintergrund für die Vielfalt ist ein besonderes Verständnis
von Musik und Musikerpersönlichkeiten – stark geprägt
und transportiert vom Kopf des Ganzen, von Ulf Klausenitzer. „Die
Idee war es immer, den Musiker in seiner pädagogischen, seiner
spielerischen, seiner programmplanerischen Fähigkeit zu nutzen.“
Die Mitglieder des Ensembles, die von dem, was sie bei Arbeits-
und Konzertphasen des Orchesters verdienen, nicht leben können,
sondern anderweitig – sei es durch Unterrichten, sei es durch
feste oder freie Stellen in anderen Orchestern – ihre Brötchen
verdienen müssen, werden durch diesen Gedanken gefordert, aber
auch gefördert. So gehörte das Ensemble zu den Ersten,
die sich des Themas „Musikvermittlung für Kinder“
systematisch annahmen und es mit ihrem Konzept „Musik zum
Anfassen“ in Kindergärten und Schulen auch realisierten.
Klausenitzer träumt von einer noch engeren Kooperation mit
Ganztags- und Musikschulen, die immerhin bereits auf den Weg gebracht
wurde.
Und er spricht immer wieder von der zukunftsweisenden Struktur
des Orchesters, die sich nicht nur in der Programm-, sondern auch
in der Besetzungsflexibilität beweist. „Das ist der Traum
von Herrn Eötvös, der sagt: Wir brauchen einen Orchesterpool,“
so Klausenitzer. Die circa 70 Mitglieder teilen sich regelmäßig
in Projektgruppen, so dass eben nicht jeder alles bedient und kleinere
wie größere Programme und Besetzungen möglich sind.
Ein Muss, findet Ulf Klausenitzer, für ein Orchester, das sich
sehr bewusst für einen Standort in der bayerischen Provinz,
dazu noch in Randlage zum Hessischen, entschieden hat. Aber das
Bekenntnis zur Regionalität, sonntags von Politikern gerne
beschworen, findet montags keine Geldgeber. Von der Politik fühlen
sich Klausenitzer und sein Team allein gelassen. Finanziert wird
das Ensemble zu 50 Prozent aus öffentlichen Mitteln, das Land
Bayern, der Bezirk Unterfranken, der Landkreis Bad Kissingen und
die Stadt Bad Brückenau sind an diesem „Topf“ beteiligt.
Die andere Hälfte der Finanzierung wird durch Sponsoren und
Konzerteinnahmen eingebracht. Diese Quote aber, so der Intendant,
hängt nicht mit der umwerfenden Höhe der Eigenmittel zusammen,
sondern eher mit der bescheidenen Ausstattung durch öffentliche
Geldgeber.
Flexibilität und Vielfalt sind Glaubenssatz und Markenzeichen
des Ensembles. Wer jedoch die Vielfalt als Marke wählt, sieht
sich in dem Dilemma, dass er gerade kein leicht erkennbares Spezifikum
anzubieten hat. Nicht zuletzt dieses Dilemma führt womöglich
dazu, dass der erwünschte Bekannheitsgrad auch über regionale
Grenzen hinaus trotz Engagement und Qualität noch nicht erreicht
ist. Dabei gibt es durchaus weitere Aspekte der Markenbildung, die
Klausenitzer mit dem Kammerorchester verfolgt. „Orchester
machen sich dann unentbehrlich, wenn sie eine spezifische Klangkultur
haben. In allen Orchestern multikulturelle Klangkultur zu befördern,
so dass alle gleich klingen, das finde ich sehr problematisch.“
Eine klare Wiedererkennbarkeit wünscht er sich, „sozusagen
eine klingende Marke des Orchesters“, und die versucht er
mit seinen Musikern zu realisieren.
Markenbildung ist immer auch eine Frage der Namensgebung. Die Umbenennung
des vormaligen „Kammerorchester Schloss Werneck“ in
„Bayerisches Kammerorchester“, verbunden mit dem Standortwechsel
nach Bad Brückenau, sollte als Profilierungschance nicht ungenutzt
bleiben; bietet der neue Name doch über bayerische und nationale
Grenzen hinaus Unverwechselbarkeit und Identifikationsmöglichkeit,
die der alte nicht hatte.
Dabei hat der Namenswechsel eine unschöne Vorgeschichte. Denn
eigentlich wären Geschäftsstelle und Musiker gerne im
viele Jahre zur „Heimat“ erklärten Werneck geblieben,
wo sie alljährlich auch die Wernecker Schlosskonzerte gestalteten.
Um hier jedoch eine – bei Open Air-Konzerten so wichtige –
wetterresistente Lösung zu finden, plante das Orchester den
Bau eines „teatro“ (die Pläne hierzu sind auf der
Webseite des Orchesters noch einsehbar). Der Gemeinderat sagte Nein
– und die Finanzierung nicht nur des Theaters, sondern auch
der Schlosskonzerte war geplatzt. Ohne sachliche Auseinandersetzung,
so Klausenitzer und der sehr sparsamen Bauplanung zum Trotz. „Dann
hat schließlich die Fußball- und Blasmusikfraktion gegen
die Hochkultur gewonnen. Ein soziologisch hochproblematischer Aspekt.“
Ein neuer Standort musste also her; den haben die Musiker nun
in Bad Brückenau gefunden. Ob das Orchester hier wirklich andocken
kann, muss sich erst noch zeigen. Erste örtliche Sponsoren
wie das dem Konzertsaal direkt gegenüberliegende Dorint Hotel
haben sich bereits gefunden. Das Jubiläumskonzert mit einer
Uraufführung von Karlheinz Stockhausen hat das Publikum zunächst
einmal nicht abgeschreckt. Und die Neujahrsgala mit Peter Kreuder
versammelte die Brückenauer Prominenz, die die eingängigen
Melodien offensichtlich genossen. Bleibt zu hoffen, dass man die
bereits zitierte Zeile dort nicht wörtlich genommen hat. Denn
um zu überleben, braucht das Orchester eben doch „die
Millionen“.