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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 39
54. Jahrgang | Februar
Bücher
Breites Spektrum der Handlungsorientierung
Publikation zu einem Symposion des Arbeitskreises Elementare
Musikpädagogik
Juliane Ribke/Michael Dartsch (Hrsg.): Gestaltungsprozesse
erfahren – lernen – lehren. Texte und Materialien
zur elementaren Musikpädagogik. Symposion des Arbeitskreises
Elementare Musikpädagogik Stuttgart, 18./19. Oktober 2003,
ConBrio, Regensburg
2004, 200 S., Abb., Notenbsp., € 18,90, ISBN 3-932581-60-1
Es
ist nicht einfach, diesen reichhaltigen Band knapp zu rezensieren.
Am leichtesten gelingt der Einstieg wohl über den Handlungsaspekt.
Wer auf dem anregenden Symposion in Stuttgart die Werkstattarbeit
erlebt hat, wird bei der Lektüre sofort das Bedürfnis
spüren, die Texte in Körperperkussion, Sprache, Singen
und Bewegung umzusetzen – mit Groove oder ohne. Sicher wird
die von A. Richthofen („Elementare Musikpädagogik –
ein Angebot auch für Jugendliche?“) angemahnte Ausweitung
der Elementaren Musikpädagogik (EMP) auf die Jugendarbeit nur
erfolgreich sein, wenn der Musikbegriff der EMP grundsätzlich
die populäre Musik einschließt. Der Weg dorthin ist in
den Werkstattbeispielen von I. Lee („Spiele und Improvisationsanregungen
für die musikalische Erwachsenenarbeit“) oder B. Metzger
(„Flöten queren die die EMP – Gestaltungsprozesse
im Instrumentalunterricht am Beispiel Querflöte“), M.
Steffen-Wittek (Computerspiel – Populäre Musik mit Kindern
im rhythmik-orientierten Unterricht“), M. Hall/M. Siegwolf
(„Move to the groove – Ein Praxisbeispiel mit Musik
und Bewegung“) und A. Friedhofen („kleine Gesten für
Große Gestalten – Bodypercussion in der musikalischen
Erwachsenenbildung“) bereits gebahnt. Das breite Spektrum
der Handlungsorientierung macht Freude beim Lesen. Auch die Aufsätze
des 2. Teils („Grundlegende Gedanken zu speziellen Arbeitsbereichen“)
sind bei genauerem Hinsehen aus Werkstattberichten hervorgegangen.
Das betrifft den die psychologische Dimension berücksichtigenden
Aufsatz „Empfinden und entwerfen. Überlegungen zur gestalterischen
Arbeit mit Klang und Bewegung“ von J. Ribke ebenso wie den,
die gesellschaftliche Dimension einbeziehenden Entwurf „Vorführen
– Aufführen? Ein Beispiel Elementarer Musikpraxis mit
Jugendlichen“ von Cl. Meyer. Meyers hochinteressantes Projekt
zur interkulturellen Orientierung hätte einen präziseren
Titel verdient. Auch F. Pfaffs „Von der Schwierigkeit den
eigenen Ohren zu trauen oder: Musikhören als Wahrnehmungstraining
mit Erwachsenen“ setzt intensive Werkstattarbeit voraus. Ihr
Ansatz zur Musikrezeption, der sich an Chr. Schwabes Regulativem
Musiktraining orientiert, bildet einen wichtigen Gegensatz zur vorherrschenden
Außenaktivität. Ebenso wird bei I. Engels „Spurensuche
in Fantasiewelten. Musik und Bildende Kunst in der Begegnung“
deutlich, dass ohne inneren Prozess kein künstlerischer Gestaltungsprozess
mö- lich ist.
Die vier am Anfang platzierten Beiträge zur Theoriebildung,
denen auch der von M. Dartsch am Schluss des Bandes zuzuordnen ist,
versuchen, Fundamente zur Bestimmung der EMP zu legen. Das erweist
sich als schwierig. Zu viele und zu heterogene Theoreme werden zur
Begründung und Legitimation herangezogen. Ch. Fröhlichs
„Präsent sein. Differenzierungs- und Gestaltungsprozesse
aus dem musikalischen Jetzt“ wirkt am geschlossensten. Der
Präsenzbegriff in Verbindung mit Jean Gebsers Stufentheorie
der Bewusstseinsstrukturen liefert einen festen Rahmen, sodass der
Leser eine Chance hat, seine kritischen Gedanken irgendwo fest zu
machen. Dagegen haben sich R. Pauls/J. Metz in ihrem Aufsatz mit
dem überladenen Titel „Elementare Musikpädagogik
im Spannungsfeld der polyästhetischen Erziehung und Bildung
– Theorie der polyästhetischen Bildung: Ein geeigneter
Zugang für die künstlerisch-praktische Tätigkeit
in der EMP“ inhaltlich zu viel vorgenommen, wenn sie den Bogen
vom „Künstlerischen“ (nach dem kaum tragfähigen
Definitionsversuch von Chr. Richter) bis zu einem alternativen Schulmodell
in Leipzig spannen. Cl. Meyer („Inszenierung musikalisch-ästhetischer
Erfahrungsräume in der Elementaren Musikpädagogik“)
fasst wichtige Aspekte ihrer Habilitationsschrift zusammen und bezieht
sie auf die EMP. Ihr eloquenter Beitrag enthält einigen Zündstoff,
wenn die subjektive Ebene allzu dominant wird und sich l’art
pour l’art auf bedenkliche Weise zurückmeldet: „Die
ästhetische Einstellung zeichnet sich dadurch aus, dass sie
primär keine praktischen und funktionellen Züge verfolgt,
die außerhalb der eigenen Ziele (wie etwa Genuss, Erkenntnis)
liegen“. Und weiter: Eignen sich W. Welschs ästhetische
Theorie und J. Cages kapriziöses „If you celebrate it,
it’s art“ wirklich als Bausteine zu einer Theorie der
EMP, wie J. Ribke („In Verbindung sein. Fokus und Vernetzung
Elementarer Musikpädagogik“) expliziert? Macht es wirklich
Sinn, zum Aspekt der sozialen Kommunikation „Mensch –
Mensch“ ausgerechnet D. Schnebel als Kronzeugen zu benennen,
dessen kompositorisches Œuvre nur in exklusiven Fanzirkeln
der Avantgarde rezipiert wird, während Musikkonzepte der World
Music und der Popularmusik in den Theorieansatz der EMP noch kaum
integriert sind. Das gilt auch für die von C. Orff und G. Keetman
geschaffenen Grundlagen. Jedenfalls ist deren musikpädagogische
Wiederentdeckung von Perkussion und Körperperkussion, von struktureller
Reduktion, Bewegungsprinzip und Improvisation auf der Handlungsebene
des vorliegenden Bandes allgegenwärtig. Lebendige Akzente setzten
auf dem Symposion W. Rizzis animierende Publikumsarbeit und das
Bühnen-Finale der Referenten, das mit dem Perkussionssolo von
I. Lee schloss. Es war eine gute Entscheidung, ein Foto dieses elementaren
Musikers auf das Umschlagbild des Bandes zu setzen.