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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 40
54. Jahrgang | Februar
Bücher
Einfachheit statt „Vereinfachung“ in der Klaviertechnik
Elgin Roth erweckt in ihrem zweiten Buch ein verloren geglaubtes
Kunstideal zu neuem Leben
Elgin Roth: Die Wiederentdeckung der Einfachheit – Frédéric
Chopins und Ludwig Deppes pianistisches Ideal und seine Bedeutung
für den heutigen Klavierunterricht, Forum Musikpädagogik/Band
61, Wißner Verlag, Augsburg 2004, 176 S., ISBN 3-89639-434-7,
€ 18,50
Die Wiederentdeckung der Einfachheit“ – schlichtweg
eine Sensation, ein sagenhaftes Buch, in dem Elgin Roth, wie der
Untertitel schon besagt, die bisherige „große Unbekannte“,
nämlich die klavierspieltechnisch revolutionäre Konzeption
eines Chopin und eines Deppe für Pianisten, Klavierpädagogen
und Studenten fachmethodisch erläutert und damit deren beider
inhaltlich konzeptionelle Verwandtschaft in einen höchst interessanten
Fokus stellt. Die Briefwechsel und Aussagen aus ihren beiden Schülerkreisen,
welche teilweise im deutschsprachigen Raum bisher als unbekannt
gelten dürften, übersetzte Elgin Roth dabei erstmals umfassend
ins Deutsche.
Dieses neue Buch dieser außergewöhnlichen Klavierprofessorin,
die im nicht minderen Alter von 77 Jahren ihr erst zweites Buchwerk
herausgibt, schließt damit nicht allein für die gegenwärtige
Klaviermethodik-Forschung eine bedeutungsvolle Lücke auf einem
Gebiet, das bis heute noch nicht einmal unter den Fachleuten ausreichend
Beachtung erfahren hat. Elgin Roth geht überdies das Wagnis
ein, einen Bezug zu heutigen, längst erfolgreich angewandten
Körperbewusstseinspraktiken wie der Feldenkraismethode, der
F.M. Alexander-Technik oder der Eutonie herzustellen. Das Buch plädiert
für eine notwendig anstehende, ernste und offene Überprüfung,
ja Neubewertung klavierspieltechnischer Parameter, welche einst
Chopin und Deppe – außerordentlich überzeugend
belegt nun in diesem Buch – im Unterricht mit ihren Schülern
aufgrund ihrer pianistischen wie klavierpädagogischen Prämissen
konsequent vertraten.
Deckungsgleiche Parameter
Ludwig Deppes reformistische, klavierkünstlerisch konzeptionelle
Thesen und Ideale, ebenso wie die eines Frédéric Chopins,
verhielten sich den Notaten ihrer aussagestarken Schüler nach
zueinander als klaviertechnisch nahezu deckungsgleich. Doch scheinen
diese unter den gegenwärtigen Pädagogen und Virtuosen
längst in Vergessenheit geraten zu sein. Nun erst können
diese Parameter endlich eine anstehende Neubewertung erfahren. All
dies in einem handlichen, geistreichen Buch, welches sicherlich
als ein „historisches Dokument der Klavierspielkunst“
angesehen werden kann. Ohne Frage: hier wird klaviermethodisch Geschichte
geschrieben und gemacht. „Nicht der Teufel steckt im Detail,
sondern der liebe Gott“, meinte die Autorin unlängst.
Das kann ihr so leicht keiner nachmachen – das Buch muss her,
für jeden Klavierbegeisterten.
Es ist bares, bisher noch unbeachtetes Wissen, das sich dem Leser
da auftut. Frédéric Chopins und Ludwig Deppes „Kunstideal“
orientierte sich damals schon an ganzheitlichen Prinzipien. Es waren
und sind dieselben Prinzipien, mit denen wir uns heute noch nicht
einmal zur Genüge befasst haben, schon gar nicht in einem Studium
an der Hochschule. All die derzeit aufkommenden Fragen von Spieltechnik
am Klavier bestätigen die heute so notwendigen Fragen zu diesem
Bereich des Klavierspielens und bestärken damit auch jene gegenwärtig
stark ausgeprägte Suche zahlreicher Pianistinnen und Pianisten
nach wissenschaftlicher Aufarbeitung und Neubewertung ganzheitlich
subtilster, gleichzeitig aber einfachster Prinzipien.
Zeugnis universaler Geister
Chopins wie Deppes Antworten darauf sind Zeugnis – Zeugnis
universaler Geister des Klavierspiels. Man gerät ins Staunen,
wie wahrhaft und gleichermaßen präzise die Dinge des
pianistischen Handwerks damals schon beim Namen genannt wurden.
Schließlich bewirkte ein allgemeines Vergessen jene wissentliche
Verarmung, welche heute allerorts am Klavier sein Unwesen treibt.
Wie könnte es auch anders angesichts der Ausbildungsdefizite
sein, die mitunter in Kauf genommenen werden.
Das nun vorliegende Buch ist endlich einmal ein Werk, welches das
Schlichte, die Einfachheit der Spieltechnik nicht wie allerorts
üblich simplifizierend verherrlicht, sondern uns Lesern diese
Einfachheit als das einzig Pragmatische und künstlerisch Wahre
der Klavierspielkunst offenbart.