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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 38
54. Jahrgang | Februar
Rezensionen-DVD
Die Entführung aus dem Harem
Mozarts Singspiel im Topkapi-Palast Istanbuls
Ein hübsches Foto schmückte die schon 2000 erschienene
Telarc-Gesamtaufnahme von Mozarts „Entführung“
mit Charles Mackerras: der von mehreren uniformierten arabischen
Kriegern mit Metallhelmen begleitete Bassa Selim reitet als weiß
verhüllter Reiter einen Schimmel, hinter ihm tragen gleichermaßen
weißgekleidete Männer Constanze auf einer Sänfte
– der türkische Hintergrund des Mozart-Singspiels wurde
augenfällig und die Fantasie schweifte beim Zuhören der
mit vielem echt türkischen Tschindarassabum angereicherten
Musik und mit temperamentvoll singenden Protagonisten nach Osten
an den Bosporus…
Nun erschien eine DVD-Aufzeichnung, die im Istanbuler Topkapi-Palast
entstand und sowohl in der faszinierenden Architektur des herrlichen
Bauwerks und vor allem seines Harems und auch in den bildstarken
Kostümen einer längst vergangenen Zeit schwelgt. Nicht
ganz klar wird allerdings, in welchem Zusammenhang Musikaufzeichnung
und Filmaufnahme zueinander stehen: Nach dem CD-Booklet wurde die
Musik im Sommer 1999 in Dundee in Schottland aufgenommen. Der Film
entstand wohl später in Istanbul, so dass sich die Protagonisten
eigentlich einem Playback angepasst haben müssten. Der Film
versteht sich aber ausdrücklich als Dokumentation über
die Opern-Aufnahme im Topkapi-Palast und so wird die von Mozart
so genial vertonte Geschichte immer wieder von – nicht unbedingt
stets erhellenden – Kommentaren und Bildern der Inszenierungsvorgänge
unterbrochen.
Gibt man sich dann aber der Bilderfolge hin und lässt sich
weder vom gelegentlich bemühten Deutsch der Sängerschar
irritieren – der englische Film- und Theaterschauspieler Oliver
Tobias allerdings spricht Bassa Selims Worte akzentfrei und wohlklingend
sonor – noch von einigen Problemen der Sänger bei Koloraturen
und Spitzentönen ablenken, dann wird man mehr und mehr gefesselt
von einer pompösen, farbenprächtigen Inszenierung, die
auch den tieferen Sinn des mit – vielleicht allzu edler –
edler Menschlichkeit gekrönten Geschehens nahezubringen versteht
und mit köstlich-originellen Szeneneinfällen aufwartet:
Belmonte singt seine Auftrittsarie auf dem Weg zum Palast durch
eine bunte Menschenmenge in alten türkischen Gewändern;
er erblickt Constanze auf einem hübschen Balkon des Harems;
Osmin schimpft seinen letzten Hassausbruch vom Dach des Palasts
hinunter in den Innenhof.
Hat man diese in Farben, Bauten und Tönen schwelgerische
Singspiel-Opern-Dokumentation als Bildfolge genossen (Format 16/9,
Untertitel in fünf Sprachen), kann man sich dem „Soundtrack“,
wie die Musikspur tatsächlich bezeichnet wird, auf der Doppel-CD
um so intensiver widmen und dabei – etwa in der Pedrillo-Arie
„Frisch zum Kampfe“ – genießen, wie neben
Naturtrompeten und Waldhörnern die türkischen Trommeln
klingen, wenn sie mit hölzernen Schlegeln in der einen und
einer Rute in der anderen Hand gespielt werden, dazu kleine Becken,
Triangel mit am Rand befestigten Metallringen und schließlich
noch ein türkischer Schellenbaum – alles eigens erworbene
türkische Originale, wie Mackerras im CD-Beiheft berichtet.
Insgesamt ein Erlebnis für Auge und Ohr.
Diether Steppuhn
• Mozart: Die Entführung aus dem Serail KV 384 (als
Soundtrack des Films „Mozart in der Türkei“);
Paul Groves (Belmonte), Yelda Kondalli (Constanze), Désirée
Rancatore (Blondchen), Lynton Atkinson (Pedrillo), Peter Rose
(Osmin), Oliver Tobias (Bassa Selim); The Scottish Chamber Orchestra
& Choir, Leitung: Sir Charles Mackerras
Gesamtaufnahme: Telarc / in akustik 2CD 80544 (2000)
• Film „Mozart in der Türkei“:
BBC Opus
Arte/Naxos OA 0891 D (2004)