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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 41
54. Jahrgang | Februar
Noten
Die Geschichten hinter den Noten
Neue Urtext-Ausgaben von Henle für Klavier
Georg Friedrich Händel: Acht Fugen, HWV 605-610, HWV
611, 612, G. Henle Verlag (HN 749) Ludwig van Beethoven: Sonate, op. 31,1 (HN 754) Robert Schumann: Abegg-Variationen, op. 1 (HN 87) Robert Schumann: Faschingsschwank aus Wien, op. 26 (HN 186)
Antonín Dvorák: Slawische Tänze, op. 46, für
Klavier zu vier Händen (HN 757)
Historisch-kritisch, in klar gesetztem Notenbild, mit gekonnt gewählten
Fingersätzen, sehr gut spielbar – all diese Kriterien
werden, man könnte beinahe schon sagen „in traditioneller
Manier“ auch von den neu erschienenen Urtext-Ausgaben Henles
erfüllt. Darüber hinaus lässt sich den Editionen
der ausgewählten Klavier-Kompositionen aus dem 18. und 19.
Jahrhundert noch einiges mehr entnehmen, zeigen sie doch auch, welche
Geschichte(n) mit Werk, Komponist, Verleger und ihrer jeweiligen
Zeit in Verbindung stehen.
So erzählen sie von Händels „Wiederverwertung“
der edierten Fugen in Oratorium (HWV 605, 609 in „Israel in
Egypt“) oder in Concerti grossi (HWV 606 in Concerto grosso
op. 3 Nr. 3, HWV 607 in Concerto grosso op. 3 Nr. 2) sowie von der
Vielzahl an Abschriften dieser. Sie beschreiben Beethovens Wutausbruch
über die vermeintlichen Fehler seines Verlegers Nägeli
in der Erstausgabe seiner Sonate op. 31,1 (die möglicherweise
auf Beethovens eilige, teils unleserliche Notation zurückzuführen
waren). Oder sie zeigen einen Dvorák, der sich – damals
im Umgang mit dem Verlag Simrock noch recht unerfahren – mehr
oder weniger dazu gezwungen sah, weitreichenden Eingriffen des Lektors
in sein Werk zuzustimmen. In der später entstandenen Orchesterfassung
der Slawischen Tänze konnte Dvorák seiner eigentlichen
Komposition entsprechend korrigieren und ihre Ausgewogenheit und
Form wiederherstellen. Mit den „Abegg-Variationen“ richtet
sich der Blick auf den damals 21-jährigen Jura-Studenten Schumann,
der sich nach der Komposition etlicher Werke dazu durchrang, den
Schritt an die Öffentlichkeit und in eine Zukunft als Musiker
zu wagen: Die „Abegg-Variationen“ wurden als erstes
Werk Schumanns gedruckt (Verlag Kistner, Leipzig), mit der Bezeichnung
„Opus 1“. Die auf dem Titelblatt der Erstausgabe genannte
„Pauline Comtesse d’Abegg“, die Schumann zum Thema
über die Tonfolge A-B-E-G-G inspiriert haben soll, nennt der
Komponist selbst „eine Mystification“. Da es sich jedoch
„nach allgemeiner Überzeugung“, so der Herausgeber
Ernst Herttrich, um die verheiratete junge Mannheimerin Meta Abegg
(verheiratete Heygendorff) gehandelt habe, liegt nahe, dass Schumann
hier absichtlich etwas „verdunkelte“. Sieben Jahre (Ende
September 1838) nach Erscheinen des „Opus 1“ reiste
Schumann nach Wien, der damaligen „Musikstadt“ schlechthin,
in der Absicht, sich dort mit Clara ganz niederzulassen. Der Aufenthalt
schien jedoch unter keinem guten Stern zu stehen und die Pläne,
nach Wien zu „übersiedeln“ zerschlugen sich. Dennoch
entstanden während seines Aufenthalts eine Reihe von Kompositionen,
darunter auch der „Faschingsschwank aus Wien“ op. 26
(später in Leipzig vollendet), der in der Kritik äußerst
positiv aufgenommen wurde – als „an allen Enden humoristisches
Wetterleuchten“ (Allgemeine Musikalische Zeitung vom 17.1.1842).
Anhand Henles Urtexten spielt es sich daher angenehm und mitreißend
durch die Epochen, und im Nachvollziehen der editorischen Arbeit
der jeweiligen Herausgeber treten nicht nur die Werke entstaubt
ans Tageslicht, sondern auch ihre lebendigen Hintergründe.