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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 40
54. Jahrgang | Februar
Noten
Von Easyrider bis Tzatziki
Chromblitzende und lila Neuerscheinungen für Violine
N. Paganini: Moto perpetuo op.11 f. Violine und Klavier,
rev. und herausg. von Tomislav Butorac, Edition Butorac 2003, EB
031R051-G
Moto perpetuo: chromblitzender Easyrider auf endlosem Notenhighway,
ins Fahrtenbuch sind circa 3.000 Sechzehntelnoten zu schreiben
nach sautillöser Bogen(hüpf)fahrt, uff, raus aus den
verkrampften Lederklamotten, wohl deshalb heute nur noch selten
im Konzert zu hören. Den Hilferuf der Geiger hat der Herausgeber
erhört und möchte durch geschickte Saitenwechsel dem
Bogenspasmus zuvorkommen. Seine Neurevision richtet sich in der
Regel ganz nach der Bogenhand. Unvermeidbare Saitenwechsel sollten
– wann immer möglich – zur nächsthöheren
Saite mit Aufstrich, zur nächsttieferen Saite mit Abstrich
durchgeführt werden. Die linke Hand sollte sich demnach im
Allgemeinen an der rechten orientieren und nicht umgekehrt. Die
Bearbeitung Fritz Kreislers, die sich vom Original, wie es in
dieser Ausgabe vorliegt, vor allem in der Klavierbegleitung unterscheidet
und nur an ganz wenigen Stellen im Solopart, blieb in der vorliegenden
Neurevision unberücksichtigt. Und wenn es trotzdem mal knattert
an einer unzugänglichen Stelle, dann wissen wir Geiger endlich,
dass der Bogenauspuff ein Loch hat, das sich mit zielsicherem,
Saitenwechsel peilenden Üben bestimmt flicken lässt,
ohne die Tachonadel im Geschwindigkeitsrausch kurzfristig hochzujagen,
um die Stelle möglichst schnell und unauffällig zu überspielen.
F. Wohlfahrt: 40 Elementar-Etüden op. 54 für Violine
solo, rev. und herausg. von Tomislav Butorac, Edition Butorac
2003, EB 031L053-S
Wohlfahrts Etüden sind bei Geigerkindern so bekannt wie
die lila Kuh-Schokolade, jedoch längst nicht so lecker und
beliebt. Auf der Bewertungsskala stehen sie meist eher zwischen
Zahnarzt und Durchfall. Wohl um dies zu ändern, wurden unter
Beibehaltung der originalen Striche sämtliche Fingersätze
auf den optimalen Bewegungsablauf der Finger und Bogenführung
hin abgestimmt sowie Symbole zur Verdeutlichung einer sinnvollen
Bogeneinteilung eingetragen. Über die Etüden verteilte
Strichsymbole sollen den Einstieg inmitten der Etüde erleichtern
und so das Üben in kleineren Abschnitten fördern. „Ta,
ta, ta taaa…“ Darauf einen Tusch! Die auf einem gesonderten
Blatt abgedruckten und beigefügten Strichvarianten dienen
dem fortführenden Studium der Etüden. Lieber Tomislav,
bitte nach jeder Strichart noch ein lila Belohnungs-Leckerli in
die Noten kleben, dann werden diese Etüden sicherlich reißenden
Absatz finden.
F. Mendelssohn Bartholdy: 4 Lieder ohne Worte für 3 Violinen,
bearbeitet von Hanno Haag, Tonger 2003, 3199-2 P.J.T.
Mendelssohns „Lieder ohne Worte“ in dieser Bearbeitung
für drei Violinen sind nichts für Testosteron-gestärkte,
durchsetzungserprobte Kammermusiker. Empfindsam, mit viel Innigkeit
vorzutragen, erwecken sie die Freude am gegenseitigen Zuhören
und Einfühlen. Dabei sind die drei instrumentalen Stimmen
immer in der gleichen Schwierigkeit gehalten. Weil nur vereinzelt
die dritte Lage auftaucht, die Vorzeichen über ein Kreuz
beziehungsweise zwei B im „Venezianischen Gondellied“
nicht hinausgehen, eröffnen sie auch dem Anfänger sensiblen
Musiziergenuss.
G. Kasassoglou: Sonate für Violine und Klavier, jmk-Verlag
2002, jmk 113
Der Grieche Kasassoglou glaubt an den Nationalismus in der Musik.
Das heißt eben nicht, wie wir Deutschen neidvoll meinen,
seine Kunst sei geprägt von der so genannten „mediterranen
Heiterkeit“. Die ist wohl von jenen erfunden worden, die
sich eine solche Illusion ersehnten. Die griechische Musik ist
schwerblütig. Hartes, karges Leben und sengende Sonnenhitze,
strenge patriarchalische Vorstellungen und ein Bild der Frau als
die gebärende, sorgende, dunkle – in dunkle Kleider
gehüllte – „Mama“ lassen eher Kräfte
in der Tiefe wachsen, denn fröhliche Leichtfüßigkeit.
Da aber immer erst zwei Pole einander ergänzen, das Ganze
bilden, entstand dieses Ideal von der mediterranen Heiterkeit.
Kasassoglou wurde 1908 in Athen geboren. Strawinski sagte: „In
Ihrer Musik höre ich Griechenland und in Ihrem Händedruck
spüre ich Griechenland.“ Dies gilt auch für Kasassoglous
Violinsonate. Schwermütig pathetische Rubati auf der G-Saite
mit dunklem, Retsina-getränkt herben Nachgeschmack wechseln
zu leichtfüßigen Siebenviertel-Takten im Intermezzo,
der tänzerische Charakter jedoch auch hier von Melancholie
durchwoben. Ausgesprochen benutzerfreundlich ist die einleitende
Form- und Themenanalyse. So lässt sich der Aufbau dieses
griechisch geprägten Werkes doch relativ zügig auch
von sonnenentwöhnten Bayern und Preußen durchschauen.
Liebe Verleger moderner Musik: Wäre doch toll, wenn wir User
solch eine fertige Kurzanalyse in jeder Ausgabe finden würden!
Schließlich wird ja auch die Gabel nur deshalb neben den
Teller gelegt, damit wir den Tzatziki leichter schlucken können,
ohne uns die Hände schmutzig zu machen.