[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 36
54. Jahrgang | Februar
Rezensionen
Maiglöckchen im Februar
Pop-Alben, die zum Winterschlussverkauf nicht raus durften
Nun halten sie die Jahreszeit für gekommen, die Firmen der
Platten. Jetzt muss raus, was über die Feststage von den „Greatest
Hits“ versklavt wurde, was die scharrenden Phono-Künstler
endlich beim Volk sehen und besser noch original gekauft hören
möchten. Eine Veröffentlichungsinflation steht die nächsten
Monate bevor, und da die Etablierten mit der Neuauflage von „Do
they know it’s Christmas“ ihr Quantum erfüllt haben,
ist es Zeit, sich dem Nachwuchs und vielleicht unverbrauchter Musik
zu öffnen.
Brendan Benson (Album: „The Alternative To Love“) wird
ein großer Songwriter sein. Bald. War er letztes Mal der verträumt
zupfende Songwriter, geht er diesmal als Rockbandartiger Musiker
ran und sticht mit seiner Mischung aus Rock, 60er-Feeling, Alternativ
und Abtanzbarkeit in klar besetzte Felder eines Ryan Adams. Sicher
ein Album des Jahres 2005. Klassisch bluesig mit Lederstimme und
scheinbar fest installierter Whiskeyflasche am Gitarrenhals schmerzt
sich Paul Camilleri durch sein Album „Another Sad Goodbye“.
Keine perforierten Blueswege, sondern Feeling, wo man in diesem
Genre fast keines mehr verorten mochte. Kontrast bietet John Frusciante
mit seinem siebten Streich „Curtains“ binnen zwölf
Monate. Wieder beim Songwriter angekommen. Eine kaum fassbare Welt,
aber unbeirrt zwischen Melodien aus Rock, Psycho, Folk und Schmerz
siechend. Eine Institution, der Frusciante. Downpilot aus Seattle
landeten mit „Leaving Not Arriving“ beim Hamburger Label
Tapete. Wer nun günstig erworbene Pearl-Jam-Schablonen erwartet,
muss sich belehren lassen. Fast eine Songwriterband mit breiter
Spürnase für weite, melancholische Tonfolgen, die man
im Alternativen aber Rock-Komponisten Geviert platzieren darf.
Aus Leeds (GB) ist Hood. „Outside Closer“ behaupten
sie mutig und bestätigen sich selbst mit einer ausführlichen
wenn nicht molligen Version von Popmusik. Zwar sind brizzelige und
elektronische Elemente reichlich anzutreffen, geschweißt wird
allerdings an der britischen Pop-Naht, die eben auch mal urban und
verhalten großkotzig klingt.
Ein schier unglaubliches Album stellen die momentan in Hamburg
weilenden Eaten by Sheiks mit „Our last first record“
zur Diskussion. Richtig wunderbare Rockmusik, der man Zeitlosigkeit,
Charmanz und Intellekt unterstellen muss. Kaum verwirrt aber verwunderlich
zielstrebig zementieren sie einen Stil der mit der Umschreibung
„Rocksongs, Rocksongs und Rocksongs“ am besten wirkt.
Völlig in schöngeistigen Pop vernarrte Menschen sind Rilo
Kiley aus Los Angeles („More Adventurous“) mit Sängerin
Jenny Lewis. Ihr drittes Album soll es in Europa richten und mit
ihrer Art Popmusik hörbar zu machen, liegen Rilo Kiley auf
bester Erfolgs-Schlagdistanz: Melodien eingängig aber unseicht.
Bläsersätze, die auffrischen. Streicher, die pompös
aber galant geleiten und ewig ein Schimmer Folk und Country. Anders
sind da die Hamburger Kettcar, zugleich Gründer des zuletzt
empfindlich hoch gejohlten Labels „Grand Hotel van Cleef“.
Mein Gott, wie aufgesetzt klingen Franz Ferdinand & Konsorten
im Gegensatz zu Kettcar. Wie peinlich mutet die Scharade englischer
Indiebands an, darf man „Von Spatzen und Tauben, Dächern
und Händen“ hören und dabei ungeschminkt und ungestraft
schmalzig, rührselig und weinerlich werden. Ein Album, das
mindestens fünf der besten deutschsprachigen Songs der letzten
zehn Jahre festhält, das keinen Pop braucht, weil es so ungehemmt
da steht und wartet. Liebens- und Schmusenswert. Befreiten Rock
und dabei wissenden lächelnd pumpen Joe Leila mit „Black
Dog White Dog“ ins Rockall. Wo sich andere ach so alternativ
klingende Bands aus falschem Ehrgeiz die Fingerchen quetschen und
zu vielen US-Vorbildern den Speichel lecken, geht Joe Leila aus
München mit dem Prinzip Umkehrung ans Werk. Schusters Leisten
werden nie überstrapaziert, die Einfachheit ist die Stärke
der Band.
Gegenpolig wirkt da der kubanische Spitzenmusikant Cesar Pedroso.
Die Stilvariationen Songo und Timba prägte er einst, mittlerweile
ist er aus der Latin Musik kaum mehr wegzudenken. Sein aktuelles
Album pendelt zwischen allen Arten: Vom fröhlichen Hüftenschwinger
mit Bläserfraktion Marke „Mexiko“ bis zum melancholischen
Midtemposong verwöhnt uns Pedroso mit launiger Musik, die nicht
zuletzt Wim Wenders Gunst fand. Zum 40. Todestag der Musikerlegende
Nat King Cole erscheint eine CD mit 28 restaurierten Klassikern
der Legende. Beeindruckende Songs, die immer bewegen werden, selbst
in aufgepäppelter Form. Optional ist sein Werk und Leben als
DVD-Doku erhältlich.
Ambulance LTD überraschen mit einem Debutalbum in voller Länge,
das 20 Jahre Rockmusik aufdröselt. Lakonische Rockgedanken
werden geschickt zwischen metaphorischen Riffs und enthusiastischen
Gitarrensounds geparkt. So scheppert Brooklyn in New York heute.
Fordernd steuern Ambulance LTD in jedem Song auf einen Höhepunkt
zu und kosten die üppigen präparierenden Vorspiele genüsslich
aus. Schon imposant. Endlich ein Livealbum (auch als DVD erhältlich)
von Amerikas sympathischster Band „Goo Goo Dolls“. Sie
zelebrierten in der Heimatstadt 20 Songs lang ihre Karriere, ließen
sich durch Eimerweise Regen nicht verjagen, und wer mit einer Stimme
wie John Rzeznik gesegnet ist, dem verzeiht man Schwächen im
Regen von Buffalo.
Sven Ferchow
Diskografie
Brendan Benson: The Alternative To Love (V2 Records)
Paul Camilleri: Another Sad Goodbye (Pepper Cake)
John Frusciante: Curtains (Warner)
Downpilot: Leaving Not Arriving
Hood: Outside Closer (Domino)
Eaten by Sheiks: Our last first record (Marvin Records)
Rilo Kiley: More Adventurous (Brute/Beaute Records)
Kettcar: Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen
(Grand Hotel Van Cleef)
Joe Leila: Black Dog White God (Sameway Music)
Cesar Pedroso y Los Que Son, Son: Pupy, el Buenagente (Timba
Records)
Nat King Cole: The World of Nat King Cole (Capitol)
Ambulance LTD: LP (TVT Records)
Goo Goo Dolls: Live in Buffalo/4th of July (Warner)