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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 25/32
54. Jahrgang | Februar
Verbandspolitik
Der Deutsche Musikrat ist ein Lebensmittel-Produzent
Martin Maria Krüger im Gespräch mit der neuen musikzeitung
Am Rande der außerordentlichen Mitgliederversammlung des
Deutschen Musikrates in Mannheim traf sich Musikratspräsident
(e.V.) und Aufsichtsratsvorsitzender (gGmbH) Martin Maria Krüger
mit nmz-Herausgeber Theo Geißler zum Gespräch. Die Themen:
Satzungsänderungen, Verhältnis zwischen Vereinsteil und
gGmbH und die wichtigsten Vorhaben des Musikrates.
Theo Geißler: Der Vereinsteil des Deutschen Musikrates
hat soeben eine neue Satzung verabschiedet. Es gab intensive Diskussionen... Martin Maria Krüger: ...gemessen an den Schwierigkeiten
einer durchgreifenden Satzungsänderung hatten wir ein hervorragendes
Diskussionsklima. Wir sind zu einem einstimmig angenommenen Ergebnis
gekommen, obwohl deutliche Änderungen beschlossen wurden. Zum
Beispiel wird das Geschäftsführende Präsidium abgeschafft
werden. Die Mitgliederstruktur als solche wurde verändert,
was die nicht Ordentlichen, also Fördernden Mitglieder angeht.
Neu ist der Status Beratendes Mitglied, den auch die bisherigen
Einzelmitglieder erhalten werden. Im Übrigen wurde das Verfahren
für die Aufnahme von Mitgliedern gestrafft.
Doppelspitze: Musikratspräsident
(e.V.) und Aufsichtsratsvorsitzender (gGmbH) Martin Maria
Krüger. Foto: DMR
Geißler: Konnte mit der neuen Satzung eine Regelung
gefunden werden, die das Verhältnis zwischen dem Vereinsteil
des Deutschen Musikrates und der Projekt-gGmbH ordnet? Krüger: Die Mitgliederversammlung hat festgelegt, dass
als Gesellschafterversammlung für die gemeinnützige GmbH
und mögliche weitere Tochtergesellschaften grundsätzlich
das Gesamtpräsidium fungieren wird.
Geißler: Es wird ein großes Präsidium mit
15 bis 19 Persönlichkeiten bleiben? Krüger: Ja. Der geschäftsführende Vorstand
innerhalb des Präsidiums verkleinert sich jedoch künftig
von fünf auf drei Personen. Gedacht ist an eine flachere Struktur
mit konkreten Verantwortlichkeiten für jeden einzelnen. Jeder
und jede, der oder die sich im Herbst wählen lässt, muss
in persönliche Verantwortung gehen. Geißler: Das Präsidium des Musikrates als Kabinett
mit Fachressorts? Krüger: Könnte man sagen.
Geißler: Die Beziehungen zwischen dem Vereinsteil
des Musikrates und der gGmbH haben in letzter Zeit ein bisschen
gehakt… Krüger: …ich gestehe zunächst einmal ein,
dass bei den Mitgliedern immer wieder große Besorgnis herrscht,
die gGmbH könne sich so weit verselbstständigen, dass
keine Reaktion in den Projekten mehr auf grundsatzpolitische Wünsche
oder Erkenntnisse erfolgen könnte. Ich erlebe das persönlich
genau andersherum. So eine schnelle Reaktion im Projektbereich auf
politische Erkenntnisse im Bereich des e.V. hat es seit vielen Jahren
nicht mehr gegeben. Zum Beispiel ein Projekt wie das PopCamp wurde
im Grunde genommen mit einer einzigen Präsidiumssitzung und
einer einzigen Aufsichtsratssitzung aus der Taufe gehoben. Viel
effektiver kann man nicht mehr arbeiten. Wir sind zurzeit dabei,
– einvernehmlich mit dem Haus der Bundesbeauftragten für
Kultur und Medien, Staatsministerin Dr. Christina Weiss –
zu überprüfen, ob eine gemeinsame Kongress-Durchführung
durch e.V. und gGmbH möglich ist, und die Aussichten stehen
sehr gut. Wir müssen im Projektbereich insgesamt noch beweglicher
werden.
Geißler: Die gGmbh hat mit Norbert Pietrangeli einen
Kaufmännischen, und mit dem soeben bestellten Torsten Mosgraber
einen Künstlerischen Geschäftsführer. Der Verein
hat mit Christian Höppner einen Generalsekretär. Wie verläuft
da die Hierarchie? Krüger: Es gibt keine Hierarchie. Auch der Generalsekretär
ist rechtlich gesehen Geschäftsführer des Verbandes gemäß
§ 30 BGB, und letztlich ist das insgesamt die Geschäftsführerebene
des Deutschen Musikrates. Diese drei bilden ein Team und keine Hierarchien.
Geißler: Trotzdem, ein erster Reibungsverlust lässt
sich bei der Internet-Darstellung des Deutschen Musikrates feststellen.
Da findet sich in verantwortlicher Funktion die gGmbH, die Inhalte
des Vereins tauchen im Moment überhaupt nicht auf. Krüger: Diese Internetseite wurde zunächst von
der gGmbH gestaltet, mit der Möglichkeit für den e.V.,
sich entsprechend einzubringen. Da der e.V. finanziell von Natur
aus deutlich klammer ist, haben wir nur zwei Möglichkeiten:
entweder zu schauen, dass im e.V.-Bereich an anderer Stelle Geld
frei wird, mit dem wir unseren Teil dieser Homepage des Musikrates
pflegen, oder aber einen Partner zu finden, mit dem wir durch eine
völlig unmerkliche Verlinkung praktisch an anderer Stelle diese
Homepage kostenlos errichten. Im Augenblick sieht es so aus, als
hätten wir im Schott Verlag einen Partner gefunden.
Geißler: Wäre es nicht ein Riesenerfolg, wenn
es gelänge, die Kooperation zwischen e.V. und gGmbH gerade
mal an einer konkreten kleinen Fläche wie der Internet-Präsenz
auszuprobieren? Krüger: Kooperation ja, aber eine undifferenzierte Mischfinanzierung
ist nach meiner Überzeugung nicht zulässig.
Geißler: Die gGmbH hat einen Aufsichtsrat. Dieser
Aufsichtsrat war bisher besetzt durch das Geschäftsführende
Präsidium des Deutschen Musikrates. Dieses Geschäftsführende
Präsidium gibt es ja nicht mehr. Wie wird der Deutsche Musikrat
künftig den Aufsichtsrat der gGmbH bestellen? Krüger: Durch Wahl aus dem Präsidium heraus. Denn
das Präsidium fungiert wie gesagt insgesamt als Gesellschafterversammlung.
Es hat das Recht, nach der jetzigen Verfassung des Aufsichtsrates
sechs Personen in den 12-köpfigen Aufsichtsrat zu bestellen,
beziehungsweise sogar sieben, denn die siebte Person ist dann der
Vertreter der Landesmusikräte. Das Präsidium wirkt zudem
gemeinsam mit den öffentlichen Händen bei der Besetzung
zweier weiterer Posten mit.
Geißler: Bisher war Burkart Beilfuß von der
BKM Aufsichtsratsvorsitzender. Jetzt sind Sie selbst auf dieser
Position. War das ein arger Kampf? Krüger: Das Ministerium hat selbst vorgeschlagen, dass
ich den Aufsichtsratsvorsitz übernehme. Das ist ein wichtiges
Zeichen der Solidarität mit dem Deutschen Musikrat. Uns als
Musikrat war es sehr wichtig, dass der Präsident auch diese
Position inne hat, weil dort ganz sichtbar ein Scharnier besteht
zwischen gGmbH und e.V..
Geißler: Der Präsident des Deutschen Musikrates,
Martin Maria Krüger, trägt doch aber trotzdem mit Sicherheit
einen Hut aus anderem Material als der Aufsichtsratsvorsitzende.
Wie bekommen Sie das zusammen? Krüger: Mir fällt das deshalb nicht so schwer,
weil mein bereits nach meiner Wahl ausgegebenes Motto lautet: Brücken
schlagen. Ich sehe uns ohnehin vorrangig als kritischer, aber wo
es richtig ist auch Beifall spendender Partner der Politik.
Geißler: Wir haben auf der einen Seite eine starke
Projekt-gGmbH, auf der anderen Seite eine finanziell deutlich schwächer
ausgestattete Vereinigung bürgerschaftlichen Engagements. Ist
das ein befriedigender Zustand?
Krüger: Natürlich wäre ein wesentlich größerer
Eigenbeitrag hinsichtlich
der Finanzausstattung des e.V. wünschenswert. Derzeit beträgt
er ungefähr ein Sechstel. Man kann also durchaus daraus ableiten,
nachdem wir zu 80 Prozent über das Haus von Frau Dr. Weiss
finanziert werden: Wir befinden uns dort in einer erheblichen Abhängigkeit.
Bisher hat es aber noch nie ein Problem gegeben, wenn wir uns kritisch
geäußert haben. Selbstverständlich ist es aus unserer
Sicht wünschenswert, den Eigenanteil zukünftig zu erhöhen.
Geißler: Stünde es den im Musikrat vertretenen
Verbänden nicht gut an, ihre politische Vertretung materiell
so auszustatten, dass sie wirklich unabhängig ist? Krüger: Die einzelnen Mitglieder müssen verstärkt
erfahren, dass und warum der Deutsche Musikrat so wichtig für
sie ist. Dann werden sie vielleicht auch in den nächsten Jahren
bereit sein, gemeinsam zu besprechen, ob man an der Stelle etwas
ändern sollte. Auf der anderen Seite dürfte der Deutsche
Musikrat niemals in eine reine Lobbyisten-Rolle, zum Beispiel im
gewerkschaftlichen Sinne, kommen. Noch wird er als parteiübergreifender
Partner angesehen, und das scheint mir gerade im kulturellen Bereich
eine ganz wichtige Verbindung.
Geißler: Ist es schon gelungen, erste Ankerpunkte
im bundespolitischen Leben der Hauptstadt zu finden? Krüger: Unser Generalsekretär Christian Höppner
ist ja ein waschechter Berliner und in Berlin hervorragend vernetzt.
Wir haben überhaupt kein Problem, an die politischen Entscheidungsträger
heranzukommen. Wir haben auch regelmäßige Kontakte zum
Bundespräsidialamt.
Bundespräsident Horst Köhler ist unser Schirmherr. Im
Herbst steht ein gemeinsames, sehr schönes Konzertprojekt in
Bonn mit dem Bundespräsidialamt, sprich auch offiziell mit
Bundespräsident Horst Köhler, bevor. Dem Deutschen Musikrat
ist es wichtig, durch Beiträge zum Thema „Kreativität“
das Anliegen unseres Staatsoberhauptes , die Stärkung innovativer
Kräfte, zu unterstützen und zu verstärken. Im Übrigen
bietet sich hier wiederum eine hervorragende Möglichkeit, politische
Intention und Einbindung unserer Projekte zu verbinden.
Geißler: Ein alter Spruch heißt „Der
Kongress tanzt“. Nun wollen Sie ja Kongresse veranstalten,
die arbeiten. Wie kann es gelingen, Kongressergebnisse in die Kontinuität,
in praktische Arbeit zu überführen? Krüger: Wir werden beispielsweise in diesem Herbst in
Berlin einen Kongress veranstalten: „Kulturelle Identität“.
Ein Thema, das mit der bevorstehenden UNESCO-Konvention zur Wahrung
der kulturellen Vielfalt zu tun hat. Wir brechen das auf deutsche
Verhältnisse herunter, indem wir uns mit der Vielfalt der Kulturen
auf deutschem Boden befassen. Die Ergebnisse eines solchen Kongresses
müssen Auswirkungen haben auf Projekte, zum Beispiel auf ”Jugend
musiziert“, und vielleicht auch durch zusätzliche Projekte
im Bereich der Neuen Musik. – Übrigens: Dass der Kongress
tanzen wird, wage ich nicht vorherzusagen. Aber Musik könnte
und sollte er schon zu hören bekommen.
Geißler: Der Intendant des Südwestfunks, Peter
Voß, hat gerade den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von
seinem Kulturauftrag befreit und zu einem Kulturberichterstatter
degradiert. Wo ist da der Standpunkt des Deutschen Musikrates? Krüger: Wir betrachten es natürlich mit extremer
Sorge, dass beim Südwestfunk der Rundfunkchor zur Disposition
gestellt wird und dass im Bayerischen Rundfunk bereits das B-Orchester
der Abwicklung zugeführt wurde. Die Klangkörper der Rundfunkanstalten
sind von enormer Bedeutung für das kulturelle Leben in ihren
Sendegebieten, im Übrigen überhaupt lebensnotwendig für
die Pflege großer Teile des zeitgenössischen Repertoires.
Geißler: Deutschland Radio zieht sich aus dem RIAS-Jugendorchester
zurück. Krüger: Ja, eine verheerende Entwicklung. Wir haben
vor wenigen Tagen im ARD-Hauptstadtbüro in Berlin eine Podiumsdiskussion
zum Thema „Auslaufmodell Rundfunkklangkörper? Zukunft
des Musiklandes Deutschland“ durchgeführt, die großes
Interesse bei den Verantwortlichen und auch den Medien gefunden
hat. Fritz Pleitgen, Intendant des WDR, war beteiligt, Monika Griefahn,
Ausschussvorsitzende für Kultur und Medien im Bundestag, vertrat
die Bundespolitik. Gerade der Fall dieses Jugendorchesters in Berlin
ist von Frau Griefahn aufgegriffen worden, die völlig zurecht
sinngemäß sagte: Wenn wir schon selber an dem Stamm sägen,
an dem Kultur emporwächst, brauchen wir uns gar nicht zu wundern,
wenn hinterher die starken Äste der Kultur oben nicht vorhanden
sind beziehungsweise abbrechen.
Geißler: Kann der Musikrat auf die ARD Einfluss nehmen?
Krüger: Durchaus. Die ARD ist Mitglied bei uns, sie
ist auch weiterhin intensiver Partner. Wenn Musikrat und Rundfunk,
das Medium des Hörens, nicht mehr partnerschaftlich zusammenarbeiten,
dann entsteht ein grundsätzliches Problem.
Geißler: Problemfeld Bildungspolitik. Was tut der
Musikrat, um die Bedeutung dieses Bereichs zu akzentuieren? Krüger: Wir arbeiten gemeinsam mit den Landesmusikräten
an einem ganz kurzen Grundsatzpapier zum Musikunterricht an allgemein
bildenden Schulen. Im Kern wird es darum gehen: Der Musikunterricht
muss dort ansetzen, wo Musik Freude macht, wo der junge Mensch für
Musik geöffnet wird oder wo er seine vielleicht bereits vorhandene
Affinität zur Musik ausleben kann. Genauso ist ein zentraler
Gesichtspunkt, dass, im Gegensatz zur bisherigen Überbetonung
des musikhistorischen Aspektes, die Musik unserer Zeit in den Mittelpunkt
kommen muss.
Die Neugier auf Vertiefung und Wissenserwerb, auch über den
schulischen Rahmen hinaus, muss durch das emotionale Erlebnis geweckt
werden. Da sehe ich im Grundsatz durchaus Parallelen zum Sport,
der ja auch nicht mit physiologischen Vorlesungen ansetzt.
Geißler: Was hat sich an der Beziehung zwischen Musikrat und
Musikwirtschaft verändert?
Krüger: Der so genannte neue Musikrat ist stärker mit
der Musikwirtschaft verbunden und in engerem Kontakt als der alte.
Ein wesentlicher Anstoß dazu ging von unserem Vize-Präsidenten
Jens Michow aus, der nicht mehr „an Bord“ ist, der aber
als Präsident des IDKV diesen Akzent stark betonte und wesentlich
dazu beitrug, dass der Deutsche Musikrat einer der am stärksten
beteiligten Gesellschafter von German Sounds, dem deutschen Musikexportbüro,
ist.
Der Deutsche Musikrat kann nicht un-mittelbar wirtschaftsfördernde
Maß-nahmen unternehmen, aber selbstverständlich schlagen
die Folgen musikpolitischer Forderungen durch auf die Musikwirtschaft.
Beispiel: Mehr Musizieren an Schulen wird mehr Instrumente und Noten
erfordern.
Geißler: Wie sehen Sie Ihre Funktion in den nächsten
fünf bis sechs Jahren in diesem deutschen Musikleben? Krüger: Wir haben im Herbst Wahlen, dann ist die Errichtungs-
und Übergangsphase des neuen Musikrates abgeschlossen, und
wenn ich vorher entsprechende Signale erhalten sollte, werde ich
mich sicher wieder zur Wahl stellen.
Geißler: Und Ihre Planung als Musikhochschul-Mensch? Krüger: Noch sind wir ein Konservatorium in München,
das allerdings bereits jetzt aufgrund von Kooperationsverträgen
ausschließlich Hochschulausbildung durchführt. Ich bin
angesichts der dynamischen Unterstützung unseres musikbegeisterten
Wissenschaftsministers Dr. Thomas Goppel und des Hochschulrektors
Prof. Siegfried Mauser zuversichtlich, dass wir in sehr überschaubarer
Zeit zu einer Integration des Richard-Strauss-Konservatoriums in
die Hochschule für Musik und Theater München kommen.
Geißler: Wenn Sie 2009 darüber nachdenken, für
eine dritte Legislaturperiode beim Musikrat zu kandidieren und Sie
blickten zurück, was hätten Sie gerne erreicht, was würde
Sie zufrieden machen? Krüger: Mich würde sehr zufrieden machen: Wenn
über den Deutschen Musikrat so etwas wie eine Corporate Identity
der Verbände und Institutionen des deutschen Musiklebens entstanden
wäre.
Wenn Politiker spürten, dass Eltern Musikunterricht für
ihre Kinder fordern, dass aber vor allen Dingen die Kinder selber
ihn wollen. Wenn wir Möglichkeiten gefunden hätten, für
alte Menschen Musik einzusetzen als ein Mittel zur Steigerung des
Lebenswertes. Wenn sich auch im interkulturellen Bereich Entwicklungen
ergeben hätten, bei denen die Musik zur gegenseitigen Verständigung
einen wesentlichen Beitrag leistet. In summa: Ein gesteigertes Bewusstsein
von Musik als „Lebens-Mittel“ im wahrsten Sinn des Wortes.