Aktuelle Ausgabe
Nehmen Sie Kontakt zur nmz auf
Holen Sie sich die nmz ins Haus
Archiv und Sitemap der neuen musikzeitung
Links zum Musikleben
neue musikzeitung interaktiv
Taktlos - Das Musikmagazin des bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung
Fortbildung - Stellenmarkt der nmz
Die nmz als Werbeplattform
zurück zur vorherigen Seite
Startseite der neuen musikzeitung, nmz aktuell
Counter





Ausgabe 2005/04
Inhaltsverzeichnis
Archiv und Suche
[an error occurred while processing this directive]
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

nmz-archiv

nmz 2005/04 | Seite 39
54. Jahrgang | April
Oper & Konzert

Den Ball flach halten und den Adler steigen lassen

Ludwig II. wird durch Konstantin Wecker erneut Musical-Gestalt in Füssen

Vor fünf Jahren ging man mit dem König schon einmal baden. Da hatten Regisseur und Texter Barbarino und der Komponist Franz Hummel zum ersten Mal ein Ludwig-Musical ins neu errichtete Füssener Festspielhaus am See mit Blick auf das Schloss Neuschwanstein gestemmt. Mit viel „Sehnsucht nach dem Paradies“ (so der Untertitel) in der Ausstattung, mit kritisch kommentierenden Zwischentönen in der Musik – und am Schluss tauchte der König ins 28 Grad laue Wasser des Starnberger Bühnensees.

Nun ist Neuschwanstein heute ein Ort, wo der Japaner mit Gamsbart einer Brasilianerin im Dirndl verstohlen in die Bluse linst und dabei eine Weißwurst mit Ketchup verdrückt. Und überhaupt ist das Schloss so, wie sich ein Kind ein Schloss wünscht: nicht eines der vielen öden Flachbauten, sondern eins mit Zinnen und Türmen, vom festen Fels aufragend hin in die Regionen, wo der Adler seine Kreise zieht. Auf dieses Publikum zielte man. Doch aus dem Adler wurde ein Pleitegeier, selbst wenn damals der menetekelnde Chor „Geld hamma koans“ in Bierzelte und bayernregionale Charts vordrang.

Kriegsszene aus dem neuen Ludwig2-Musical in Füssen. Foto: Archiv

Kriegsszene aus dem neuen Ludwig2-Musical in Füssen. Foto: Archiv

Das wollte nun der Texter Rolf Rettberg im Verbund mit den Komponisten Konstantin Wecker (der auch beim ersten Versuch schon im Gespräch war, aber im Verdrängungswettbewerb den Platz räumen musste) und Christopher Franke sowie dem Arrangeur Nic Raine besser machen. Das Rezept hieß: den Ball flach halten. Das heißt auf der Bühne den großen Gefühlen, mit denen jeder Arztroman und jedes Bastei-Heftchen hausieren geht, jeden Raum zu öffnen. Und alles ist ja schon in natura da: Sentiment und Liebe, vor allem in ihrer unmöglichen Form, Einsamkeit in Hermelin-Pracht, die Grausamkeit des Krieges, Intrige und Mord, Volkes Liebe und vor allem die hehren Ideale eines Königs, der wie Lohengrin nicht von dieser Welt ist. Eingebracht hat Wecker die schräg zum Himmel aufblickenden, falsettverliebten Schmalznudeln der melodischen Führung, das Eingängige an ihnen. Kaum ist da etwas in den musikalischen Nummern, das nicht noch den großen Verklärungsaufschwung nimmt. Eine Verweigerung hätte ohnehin die konditionierten Erwartungshaltungen des Publikums betrogen.

Die Erzählung ist als Erinnerung konzipiert, die der König kurz vor der Kugel im Angesicht eines Schwans zusammen mit seinem Arzt Bernhard von Gudden anstellt. Und so verfolgte man in traumversunkenen, dabei geradlinig drastischen Bildern das Leben Ludwigs. Dem schnoddrig gestrengen Max II, der dem Kind die Regeln des Daseins einbläut („Schon wieder gibt’s Familienkrach daheim im Hause Wittelsbach“), möchte man angesichts der Kleinkariertheit wohl kein Denkmal mehr setzen. Und eine im Rosenmeer und im kaiserlichen Schicksal versunkene Sisi stach jedes Poster einer internationalen Gartenschau aus. Der Krieg gegen Frankreich ließ zu martialischen Klängen doppelmannshohe Gerippe winken und krachledernen Depperlbayern mit Schnadahüpferl und Schuhplattler, die den König wegen seines technischen Fortschrittglaubens (Standort Bayern) feiern, hätte man gewiss gern die Lederhosen ausgezogen. Wunderbar der Bau von Neuschwanstein: Eine Mischung aus Heinzelmännchen und fröhlichen Kellergeistern werkelt frischforsch mit einem Lied auf den Lippen in den Krangestängen. Spätestens hier konnte man der Versuchung nicht mehr widerstehen, das Ganze als Farce zu hören. Es klappt wirklich und macht zudem Spaß. Man kann also in den Gefühlen von Biedermanns Größe schwelgen, aber man kann sich auch daran belustigen. Wenn sich das Brüderpaar Ludwig und Otto in „So kalt mein Herz, kalt die Hände“ ewige Zuneigung verspricht, wenn in „Freundschaft ist der Freiheit höchstes Gut“ die Männertreue unverbrüchlich und in jede Bush-Rede trefflich einbaubar aufs Tablett kommt, dann bleibt kein Auge trocken. Warum, das steht auf einem anderen Blatt.

Man muss sich nichts vormachen. „Hier gilt’s der Kunst“ hat sich das Füssener Festspielhaus nie über die Türen geschrieben. Andere Strategien sind gefragt, Strategien, die sich einem strengeren ästhetischen Urteil entziehen. Was kümmert es ein Naabtal-Duo oder die Wildecker Herzbuben, wenn ihnen die Kritik Flachsinn an den Kopf wirft? Und ganz so bieder sind die Musical-Macher auch wieder nicht, selbst wenn sie sich im Klaren sind, dass die Zielpublika große Überschneidungszonen aufweisen. Die arg gezimmerten Songtexte von Rolf Rettberg sind auf gnädige Art gut zu überhören, Wecker und Franke setzen auf melodische Aufschwünge mit garantiertem Wiedererkennungswert. Im Gegensatz zum Vorgänger Franz Hummel setzen sie nicht auf geistige Ironie, die dort zumindest manchmal auszumachen war. Sie vertrauen auf die trägere Gefühlsmassierung des Bauches. Stylzitate vom Walzer über Zwiefachen bis zum finstren Marsch, ein Gang durch die Musik- und Volksliedgeschichte und ein Liebäugeln mit den musikalischen Schwellflüssen eines Lloyd Webber oder einem Titanic-Pathos tun dem keinen Abbruch, denn Hintergründigkeit ist hierbei nicht im Visier.
Zudem hat man sich mit dem Londoner Nic Raine einen Arrangeur ins Boot geholt, der wirklich professionell arbeitete. Man möchte gar nicht fragen, wie oft er über die Schlichtheit der Vorgaben geseufzt haben mag. Aber dann machte er sich ans Werk und gab den Stücken prägnante Passgenauigkeit. Ihm ging es nicht um Kunst der eigenen Individualität, aber ein gewisses Ethos des sauberen Tuns muss ihn gepackt haben. Nach Theatermacher-Art zog er an den Schnüren.

Es waren die richtigen und manch-mal spielte er sogar ein bisschen mit ihnen. Da entstand sogar manchmal so etwas wie Leichtigkeit, die in der dümpelnden Gefühlsschwere der Nummern wohl tat. Dass insgesamt das Timing stimmte, ist wohl auch ihm anzurechnen.

Es darf auf dieser Basis vermutet werden, dass „Ludwig 2“, was sich auf dem Plakat wie Ludwig zum Quadrat liest, eine größere Breitenwirkung erlangt, als dies beim ersten Versuch der Fall war. Und dann ist Ludwig (Jan Ammann) wirklich ein schöner Mann mit einigem darstellerischen und gesanglichen Vermögen. Vielleicht blicken sogar der Japaner mit Gamsbart oder zumindest die Brasilianerin im Dirndl einmal dorthin.

Reinhard Schulz

Social Bookmarking
Bookmark bei: Mr. Wong Bookmark bei: Webnews Bookmark bei: Linkarena Bookmark bei: Newskick Bookmark bei: Newsider Bookmark bei: Folkd Bookmark bei: Yigg Bookmark bei: Digg Bookmark bei: Del.icio.us Bookmark bei: Reddit Bookmark bei: Slashdot Bookmark bei: Netscape Bookmark bei: Yahoo Bookmark bei: Google Bookmark bei: Technorati Bookmark bei: Newsvine Bookmark bei: Ma.Gnolia Information

| top | nmz-start | kontakt |
| aktuelle ausgabe | kulturinformationszentrum | archiv/suche | abonnement | leserbrief |
| © 1997-2008 by neue musikzeitung und autoren | Impressum | Alle Rechte vorbehalten |