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nmz-archiv
nmz 2005/04 | Seite 41
54. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Dem Elementaren auf der Spur
Mu’zi:k – made in München: zu einem Konzert
in der Reihe „Lautwechsel“ im Gasteig
Der Münchner Gasteig begeht dieses Jahr sein zwanzigjähriges
Jubiläum. Die Trutzburg der Hochkultur – benannt nach
dem gleichnamigen Berghang, auf dem sie errichtet wurde –
beherbergt die Münchner Philharmoniker, Münchens Stadtbibliothek
samt exzellenter Musikabteilung, das Richard-Strauss-Konservatorium
und die Volkshochschule. In der Philharmonie und im Carl-Orff-Saal
ist in diesen zwanzig Jahren Musikgeschichte geschrieben worden.
Mit der Konzertreihe „Lautwechsel“ begehen Brigitte
von Welser, Gasteig GmbH Geschäftsführerin, und das Kulturreferat
München unspektakulär, aber qualitätsvoll dieses
Jubiläum. In die Jubiläumsreihe wurde Mu’zi:k –
made in München integriert, das jährliche Konzert der
freien Musikszene München.
Während beim ersten Made-in-München-Konzert 2004 –
damals noch in der Muffathalle – die klassische Konzertsituation
vorherrschte, hieß das Thema im Carl-Orff-Saal „Performance“.
Die Gruppe Asyl Art arbeitet mit geflohenen Künstlern zusammen
und entwickelt neue Musik- und Kunstprojekte. Mit fünf Tänzern,
Sängern und Trommlern aus dem Kongo kreierte Asyl Art eine
Musikperformance, die nicht erst auf der Bühne, sondern bereits
im Zuschauerraum ihren Anfang nahm – mit einfachsten Mitteln
szenischer Improvisation exponierten die Darsteller Themen wie Verfolgung,
Gewalt und Flucht; eine Bühnenshow mit Jazz, spoken poetry
und Tanz folgte. Die gut gemeinte, doch recht naive theatralische
Aktion, überdeckte etwas die Tatsache, dass hier gute Instrumentalisten
und Tänzer aus unterschiedlichen Kulturkreisen ohne lange kompositorische
Umwege zueinander fanden. Eine Musik-Performance, bei der die Musik
allein völlig ausreichend gewesen wäre.
Nicht so bei der Aufführung von Zoro Babels Dienstleistungsorchester.
Babel, bekannt für originelle Klangaktionen, gerierte sich
als Aktionskünstler, als ein besserer, ein bayerischer Schlingensief
– und als der musikalischere. Zoro Babel, Andreas Koll, Erwin
Rehling und Andrea Lesjak brachten gemeinsam mit der Grafikerin
Elke Lehmann eine bayerisch-avantgardistische Musik-Show auf die
Bühne des Orff-Saals, die nicht nur ein einzelner musikalischer
Spaß war, sondern gleich ein ganzes Feuerwerk voller hintersinniger
Klangaktionen, produziert mit moderner Technologie, aber auch virtuosem
Instrumentalspiel.
Keine Performance, doch ein Spiel mit dem (Klang-)Raum boten zwei
weitere Konzerte: In klassischer TrioFormation mit Gitarre, Schlagzeug
und Kontrabass erzeugten Carsten Radtke, Jürgen Schneider und
Peter Hops knappe, intensive Musik. Ohne Schnörkel und ohne
Längen begegneten sich hier überzeugend Neue Musik und
Jazz.
„Signs and Signals“ hieß das einzige „echte“
Stück Neuer Musik vor der Pause. Nikolaus Brass verteilte sieben
Instrumentalisten des Xsembles München im Raum um das Publikum.
Signalwirkungen und sich lange aufbauende Klangräume im Sekund-
und Quintbereich machten einen faszinierenden, hypnotischen Effekt.
Von neuen Klängen dieser Art hätte man sich mehr gewünscht.
Über das Musikvermittlungsprojekt „Musik zum Anfassen“
berichtete die nmz in der letzten Ausgabe an gleicher Stelle. Die
Musiker dieser Initiative boten eine Demonstration ihrer Arbeitsweise
im Schnelldurchgang. Es gab Rossinis Wilhelm Tell-Ouvertüre
in einer konzertanten Fassung für etwa 150 an fünf Stimmführer
gekoppelte Klangerzeuger aus Metall, Holz, Papier und Kunststoff
– eine Performance, die das Publikum aktiv mit einbezog. Ohne
dem Ganzen ein gewisses Vergnügen am dilettantischen Tun absprechen
zu wollen, das Resultat konnte allerdings niemanden so richtig zufrieden
stellen.
Natürlich will Made in München eine Leistungsshow der
freien Szene sein. Eine Werbeveranstaltung für „Musik
zum Anfassen“ gehört dennoch nicht in einen Konzertabend
für Neue Musik. Vor allem auch deshalb, weil das, was Musik
zum Anfassen an diesem Abend bot, nicht die gewohnte Qualität
hatte, die das Ensemble üblicherweise in seiner Arbeit mit
und an Schulen abliefert. Dann kam Limpe Fuchs mit „Reflektion
für Glasschale mit Mikrofonverstärkung, Violine, Stimme“
– und Bildhauer, müsste man ergänzen. Denn dieser
spielte eine nicht unwichtige Rolle in dieser Performace. Über
die Bühne gehend skizzierte Limpe Fuchs melodische Improvisationen
auf der Geige, mit dem Fuß stieß sie dazu hin und wieder
eine schwere Kugel an, die dann hörbar über den Boden
rollte. Mit unterschiedlichen Gerätschaften versetzte der Bildhauer
seine 2,60 auf 1,40 Meter große ovale Glasschale in Schwingung.
Es begann ein an- und abschwellendes Tönen, rollende Kugeln
folgten den Gesetzen der Schwerkraft und erzeugten einen sphärischen
Schalenklang. Dem Elementaren auf der Spur zu sein, das ist nach
wie vor die Kunst der Fuchs. Sich im Raum bewegen, improvisieren,
agieren und reagieren – ein spannendes Spiel mit den Grundelementen
von freier Musik, das allerdings nicht ins enge Zeitkorsett des
Abends passte.
Auch für das zweite Made in München musste man viel Zeit
mitbringen: Viertel vor elf kam Norbert R. Stammberger mit „re-blowing
no. 33“ und „re-blowing no. 11“ zum Zuge. Die
Musik – zum Teil auf einem speziell entwickelten Instrument
namens Tubax gespielt – weckte Erinnerungen an Jazzexperimente
eines Roland Kirk aus den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts.
Neue Musik im landläufigen Sinn bot ein Stück von Tom
Sora, einem Karkoschka-Schüler. Zwanzig Minuten dauerte „Gesetz
und Freiheit“, das die Gegenüberstellung zweier musikalischer
Welten zum Thema hatte. Ein mechanisches Player-Piano gab virtuose
Skalen und Läufe wieder, Instrumentalisten des Xsembles München
spielten gegen die so erzeugte Klangfläche an und dominierten
nach und nach das Geschehen. Ein Hauptwerk des zweiten Mu’zi:k
– made in München-Abends, das Aufmerksamkeit verdiente
und den Patchwork-Charakter des Programms, das das bunte Spiegelbild
der freien Münchner Szene wirklichkeitsgetreu wiedergab, vergessen
ließ.