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nmz-archiv
nmz 2005/04 | Seite 41
54. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Brauner Bomber gegen weißes Kalkül
Alexander Strauchs Boxoper „Joe + Max“ in München
uraufgeführt
Nachdem sich immer mehr Komponisten vom Typus der Literaturoper
verabschieden und in ihren Stoffen direkteren Zeitbezug suchen,
hat heute die musikalisch dramatische Auseinandersetzung mit markanten
Personen der Geschichte Konjunktur. Jetzt hat sich der Münchner
Komponist Alexander Strauch des Boxerpaars Max Schmeling und Joe
Louis angenommen. Eine ebenso erhellende wie vergnügliche Auseinandersetzung.
Ein Mythos braucht seine Rahmenbedingungen. In den Boxpaarungen
zwischen Max Schmeling und Joe Louis kamen sie gleich gebündelt
zusammen. Hier der schwarze Außenseiter von bulliger Kraft,
vom weißen Amerika misstrauisch beäugt, in den Schwarzenvierteln
als Idol gefeiert, dort der Deutsche, der mit seinen Erfolgen in
den Nationalsozialismus hineinwuchs und weder Widerstandskämpfer
noch blinder Parteigänger war und damit den deutschen Durchschnittsbürger
repräsentierte, der freilich durch seine boxerischen Leistungen,
durch die Heirat mit dem Idol Anny Ondra auf der Überholspur
des Erfolgs segelte. Der Kampf zwischen Weißen und Schwarzen,
der zukünftige zwischen u u USA und Hitler-Deutschland, das
Eindringen Europas in die amerikanische Boxphalanx, ja sogar der
Kampf von Kraft (Brauner Bomber) gegen den Geist (der berechnende
Schmeling) flossen hier in einem Punkt zusammen.
Beim Boxen wie in der Musik kommt es immer auf das richtige Timing
an. Die Geschichte hatte dieses Timing fast ideal vorgezeichnet.
Nun war es nur noch auf die Bühne des Münchner „i-camp“
zu bringen.
Der Texter Marcus Hank und der Komponist Alexander Strauch hatten
sich zum Boxopernprojekt „Joe + Max“ zusammengetan und
konnten schon vorab mit einem Selbstläufer rechnen. Denn jeder
Mythos ist Bühnengestalt per se.
Max Schmeling und Joe Louis wurden in je zwei Darsteller (die „echten“
Boxer und unter anderem Bayerischen Meister Max Wallner und Yalla
Krüger) und zwei Sänger (Werner Rau und Kimako Xavier
Trotman) zerlegt, weitere gut fünfzehn Rollen zwischen Adolf
Hitler und der Mutter von Joe Louis wurden von der grandios agierenden
Ursula Berlinghof gestemmt.
Und dann wurde die Geschichte der zwei Kämpfe, Schmelings
Sensationssieg 1936, seine fürchterliche Niederlage 1938, gleichsam
in Runden aufgeschnitten: mit Bildprojektionen und Zeitdokumenten,
mit Echtzeit- oder Zeitlupennachstellungen im Ring. Es wurde ein
zweistündiges Bilderbuch, das die Spannung über weite
Strecken hielt und sich zum Ende hin eine reflektierend ausgedehnte
Fläche gönnte.
Vier Musiker der harten Außenseite des Klangs (E-Piano, E-Cello,
Saxophon, Vibraphon) sorgten für riffartige Einwürfe mit
zeichensetzendem, immer wieder mit Zitaten spielendem Charakter.
Das war nicht nur musikalisch prägnant und stimmig zum Sensationsgeschehen
mit all seinen menschlichen Weichstellen passend komponiert, es
setzte auch die Kontur des ganzen Ablaufs. Was etwas stören
mochte, war die Behandlung der zwei männlichen Singstimmen,
deren expressive Parlandogestik in dieser Umgebung eher befremdlich
wirkte. Sonst aber konnte man ein weiteres erfolgreiches Glied in
der neuen Form der Sportoper (Fußball und Eishockey, auch
eine Annäherung ans Boxen hatten wir schon) verbuchen: mit
Reflexen, Kontern, politischen Rechts-Links-Kombinationen, Tiefschlag
und Tiefgang.