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nmz-archiv
nmz 2005/04 | Seite 30
54. Jahrgang | April
DTKV Bayern
Über die Welt hinausweisen
Unser Komponistenporträt: Dorothee Eberhardt – eine
Komponistin der mittleren Generation
Dr. Dorothee Eberhardt ist eine Komponistin der mittleren Generation,
die sich nicht nur im Raum München mit ihrem Schaffen einen
bedeutenden Namen gemacht hat. Ihr rund 35 Werke umfassendes Opus,
überwiegend Klavier-, Klarinetten- und Kammermusik, aber auch
vier Orchesterwerke und ein Melodram, gelangt häufig zur Aufführung.
Insbesondere das 2001 erschienene „Salamanca“ für
Klarinette solo verbreitet sich rasch: Sieben Klarinettisten aus
vier verschiedenen Ländern haben es in ihrem Repertoire, im
Sommer wird es bereits zum zweiten Mal auf CD eingespielt werden.
Dabei schien Dorothee Eberhardts beruflicher Werdegang zunächst
gar nicht auf ein Musikstudium hinzudeuten. Gebürtig im schwäbischen
Memmingen, studierte sie zunächst an den Universitäten
Würzburg und Tübingen Orientalistik, Philosophie und Griechisch.
1979 wurde sie mit nur 27 Jahren mit einer Arbeit über „Frühislamische
Philosophie“ promoviert. Erst danach besann sie sich auf ihr
jugendliches Engagement in den Instrumenten Klavier, Akkordeon,
Saxophon und Klarinette samt Big Band-Erfahrungen und ging, inspiriert
von der englischen Saxophonistin Barbara Thompsons, nach London.
Sie studierte Klarinette am Trinity College und Komposition und
Musikwissenschaft am nicht minder angesehenen Goldsmith College.
Mit Georg Friedrich Händel teilt sie sich seither die Ehre,
von Angelsachsen als englische Komponistin betrachtet zu werden
auf diese Weise gelangte auch ihr „Pas de Deux“ für
Klarinette und Klavier als einzige nicht-insulare Komposition in
das „Spectrum for Clarinet“, ein international vertriebenenes
Kompendium von zeitgenössischen Stücken für die zentral
angelegten britischen Musikprüfungen, das demnächst erscheinen
wird.
Während ihre Zeit in England so in das Schaffen einfließt,
ist ein Bezug zum Hauptfach im Studium nicht zu erkennen. Dies,
so die Komponistin, liege auch an der letztlich geringen Bedeutung,
die Musik in der islamischen Philosophie einnehme. Allerdings habe
sie sich durch ihr Beifach Griechisch beeinflussen lassen. Insbesondere
die Klarheit des griechischen Denkens sowie der griechische Rhythmus,
der von der Grundvorstellung der unteilbaren kleinsten Einheit ausgeht
und diese Einheiten dann zu Kürzen und Längen gruppiert,
habe ihr imponiert. Ein Werk, das allein diese Art von Rhythmus
verwendet sind ihre Time Changes I-III für Klavier solo. Aber
auch rhythmische Permutationen wie Diminutionen oder Augmentationen
wie im jüngst fertig gestellten Orchesterwerk „Kinemata“
(für das Münchener Kammerorchester) finden Verwendung.
Einen Bezug zu Carl Orff, den die melodische Rhythmik der griechischen
Sprache fasziniert hatte, sieht sie dennoch nicht, dafür einen
Bezug zur additiven, von Indien beeinflussten Rhythmik Messiaens.
Bei der Organisation der Tonhöhen fühlt sich Dorothee
Eberhardt nicht zwangsweise an eine Technik oder ein System gebunden.
Sie legt Tonzentren fest und lässt von dort aus im Sinne einer
von ihr „kontrollierten Aleatorik“ Skalen, aber auch
Arpeggien oder Akkorde entwickeln. Dabei können die Tonzentren
durchaus einem Tonika-Dominant-Schema untergeordnet sein. Ihr besonderes
Augenmerk gilt dabei der horizontalen Entwicklung von Linien, weniger
der vertikalen. Dies schafft einerseits Präferenzen für
Melodieschönheit, andererseits eine sorgfältige Herausarbeitung
polyphoner Strukturen. Diese seien für sie ein sehr wichtiges
Element der Musik, so die Komponistin. Programmatische Inhalte lehne
sie ab, sie wolle Musik um ihrer selbst Willen leben lassen.
Der deduktive Ansatz einer Entwicklung der Detailstruktur aus dem
„Gebilde“ sei bei ihr neu. Früher habe sie induktiv
gearbeitet, sich aber dann gefragt, ob die Begründung der Wichtigkeit
einer Einzelnote gegenüber einem größeren Ganzen
tatsächlich von Wichtigkeit sei. Sie wolle sich damit auch
„vom Klein-Klein der Strukturalisten absetzen.“ Die
von Hegel bis Adorno entwickelte Linie, Kunst müsse zur Wahrheit
hinführen, wertet sie als ihre Kompositionen überfordernd.
Musik müsse etwas „Überirdisches, Magisches atmen
und über die Welt hinausweisen“ und weniger erdverbunden
sein, allerdings könne dieses im Zusammenhang mit der griechischen
Sphärenharmonik vor Jahrtausenden entwickelte Postulat immer
nur für kurze Momente aufblitzen und nichts Dauerhaftes sein,
vergleichbar etwa physikalischen Experimenten im Bereich der Antimaterie
oder der Transurane. Bezüge zur griechischen Philosophie öffnen
sich dennoch, wenn die Komponistin ein „Staunen“ im
Sinne der antiken Philosophie fordert. Dieses müsse sich immer
wieder beim Betrachten oder Hören der Werke einstellen.
Trotz des transzendenten Moments sieht sie sich weder in der Tradition
Bruckners, der in jeder Note quasi ein Glaubensbekenntnis sah, oder
Messiaens, dessen streng katholische Mystik alle Bereiche der Natur
wie Berge oder Vögel umfasste.
Ihre nächsten Pläne sind ein intensiverer Umgang mit
dem Schlagzeug. Sie schätze an dieser Instrumentengruppe die
faszinierende Kombination aus rhythmischer Stringenz und der Faszination
von Klangelementen. Gerne würde sie nochmal ein Orchesterwerk
wie jüngst für das Münchener Kammerorchester oder
ein Melodram wie die „Bremer Stadtmusikanten“ schreiben.
Unzufrieden ist sie mit ihrem Frühwerk. Nach 20 Jahren fange
sie nun langsam an, „was Gutes zu komponieren.“ Fehler
von Frühwerken seien da wolle sie bei sich keine Ausnahme machen
eine zu „offensichtliche, plum-pe Formgestaltung“, der
die notwendige Subtilität fehle. Den Unterschied dokumentiere
das Schaffens Mozarts und Carl Maria von Webers: Während ersterer
oft überraschend, aber stets stimmig geschrieben habe, kündigten
sich überraschende Wendungen bei zweiterem quasi per Lautsprecher
an, Ideen würden zerstückelt, und es mangele an Eleganz.
Dorothee Eberhardt ist mit einem Wissenschaftler verheiratet, der
sich mit Satellitenkommunikation befasst. Eine direkte Beeinflussung
ihres Schaffens durch Synergieeffekte verneint sie. Allerdings führe
die naturwissenschaftliche, in Formeln orientierte Vorgehensweise
mit ihrer Klarheit des abstrakten Denkens wieder zurück zur
Philosophie der griechischen Antike, in der ebenfalls eine Abwendung
vom rein Stofflichen prägend war. Es mag beinahe frivol erscheinen,
eine Komponistin nach ihren Vorstellungen für einen idealen
Nachruf zu fragen. Und es erweist sich als fruchtlos. Darüber,
so Dorothee Eberhardt, habe sie noch nie nachgedacht. Und, so ergänzt
sie bescheiden, niemand wisse, ob „meine Musik dann noch gespielt
wird.“