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nmz-archiv
nmz 2005/04 | Seite 11
54. Jahrgang | April
Forum
Nachdenken über alternative Trägerschaften
Offener Brief an den Intendanten des Südwestrundfunks, Peter
Voß
Mit Interesse, aber auch mit Sorge, hat der Landesmusikrat Baden-Württemberg
von den Diskussionen um den Fortbestand der SWR-Ensembles Kennt-nis
genommen. Wir bedauern zunächst, dass es in diesem Zusammenhang
zu Vorwürfen gegen Ihre Person gekommen ist, die weder der
Komplexität der Vorgänge gerecht geworden sind, geschweige
denn im Ton immer angemessen waren. Um so mehr sieht sich der Landesmusikrat
Baden-Württemberg in der Verantwortung, sich um einen differenzierten
und konstruktiven Beitrag zu bemühen.
Sie haben angelegentlich geäußert, ohne die Senderfusion
wäre es nie zur Existenz zweier Rundfunkorchester gekommen.
Zweifellos trifft das zu. Es wäre indes verhängnisvoll,
den kulturellen Reichtum unseres Bundeslandes durch eine eventuelle
Reduktion eines seiner Radio-Sinfonieorchester beschneiden zu
wollen. Beide Orchester haben ihre eigene Tradition, ihre ureigene
gewachsene Spielkultur. Möglich, dass – international
gesehen – das Renommé des Stuttgarter Orchesters
derzeit ein wenig überwiegt. Aber das war nicht immer so,
und das muss auch so nicht bleiben – man denke nur an die
Ära Hans Rosbaud, die dem Baden-Badener Orchester Weltgeltung
verschaffte. Grundsätzlich gilt: Wir haben in Baden-Württemberg
acht Musikakademien (andere Bundesländer wären froh,
sie hätten wenigstens eine!), eine singuläre Laienmusikkultur,
den Spitzenrang bei Preisträgern „Jugend musiziert“.
Kurzum – die Existenz zweier Spitzenorchester stellt keinen
Sonderfall dar, sondern spiegelt exakt den musikalischen Reichtum,
mit dem dieses Bundesland im Südwesten der Republik gesegnet
ist.
Ähnlich verhält es sich mit dem SWR-Vokalensemble.
Kein anderes Chorensemble weltweit, das auf eine derartige Vielzahl
an Uraufführungen der Musica nova verweisen könnte.
Wer diese, zumindest in Teilen, selbst miterlebt hat, weiß,
dass eine Verminderung von 36 auf 24 in den wenigsten Fällen
möglich ist. Es gehört überhaupt zu den unumstößlichen
Realitäten von Spitzenkunst, dass sie Kompromisse kategorisch
ausschließt.
Das heißt jedoch nicht, dass ihre ökonomischen Voraussetzungen
nicht hinterfragt werden müssten. Im Gegenteil – vieles
in den genannten Ensembles vollzieht sich noch unter Rahmenbedingungen,
die vielleicht in den 70er-Jahren angemessen waren. Es liegt in
der Natur der Betroffenen, sich gegen den Verlust einmal erreichter
Standards massiv zur Wehr zu setzen. Wäre nicht die Einsetzung
einer Strukturkommission nahe liegend, welche all jene Privilegien
vergangener Zeiten beseitigte, die heute das Fortbestehen des
Gesamten gefährden? Der Landesmusikrat wäre bereit,
sich personell zu beteiligen.
Es geht also dem Landesmusikrat in erster Linie um die Bewahrung
dessen, was das unverwechselbare musikalische Profil dieses Bundeslandes
prägt. Es kostet nur einen Federstrich, ein hochqualifiziertes
Ensemble aufzulösen – hingegen sind oft Jahrzehnte
nötig, damit man jene Klangkultur wieder erreicht, um die
man national und international – mit Recht – bewundert
wird. Allein deshalb setzt der Landesmusikrat auf durchgreifende
Strukturreformen. Erst die folgenden Jahre können nicht nur
zeigen, ob selbige tragen, sie bieten auch hinreichend Zeit, über
eventuelle alternative Trägerschaften nachzudenken. Wirft
man nunmehr den Blick auf all das, was nicht die oben genannten
Qualitätskategorien erfüllt, so wäre es nachgerade
verheerend, nach dem Proporz der Bundesländer verfahren zu
wollen. Dies mag ein bewährtes Mittel bei der Besetzung von
Politikern der Bundesministerien sein. Letztere aber sind auswechselbar,
Spitzenensembles sind es nicht. So möchten wir Ihnen abschließend
alle Kraft für die Erhaltung dessen wünschen, was das
kulturelle Gedächtnis Baden-Württembergs ausmacht.
Hermann Wilske, Präsidiumsmitglied, Landesmusikrat
Baden-Württemberg