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nmz-archiv
nmz 2005/04 | Seite 33
54. Jahrgang | April
Hochschule
Prävention von Spielschäden bei Pianisten
Klavierpädagogisches Forum ’04 am Institut für
Musikpädagogik der M.-Luther-Universität Halle
Schon im 18. Jahrhundert wurde erkannt, dass die Musizierpraxis
zu Erkrankungen des Spielapparates führen kann. Die Frage,
wie diese entstehen und zu vermeiden beziehungsweise zu therapieren
seien, hatte jedoch erst um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert
Eingang in den klavierpädagogischen und methodischen Diskurs
gefunden. Seitdem sind gut einhundert Jahre vergangen. Doch trotz
diverser Forschungsarbeiten, Veröffentlichungen und der Erfahrung
mehrerer Generationen von Klavierpädagogen und Pianisten scheint
sich bis zum heutigen Tage keine einheitliche Methode gefunden oder
durchgesetzt zu haben, mit deren Hilfe das Auftreten von Spielschäden
bei Musizierenden aller Begabungsstufen grundsätzlich zu verhindern
beziehungsweise zu therapieren wäre. Da der Wissensbedarf gerade
im Sinne der Prävention nach wie vor groß ist, widmete
sich das Klavierpädagogische Forum 2004 in Halle dieser aktuellen
Thematik.
Prof. Elgin Roth, Prof. Dr. med. Eckart Altenmüller, Dr. med.
Hans-Christian Jabusch, Stefan Blido und Manfred Seewann waren gekommen,
um auf Einladung und unter der Moderation von Prof. Dr. Marco Antonio
de Almeida zu referieren. Bereits in den Themen der einzelnen Referate
zeichnete sich ein breites Spektrum an Präventionsmöglichkeiten
ab, von medizinischen Forschungsergebnissen bis hin zu anwendungsorientierten
Übungen am Klavier. Eine große Anzahl von Teilnehmern
aus dem In- und Ausland war nach Halle gereist, um sich diesen Themenkreis
nicht entgehen zu lassen.
In seinem Eingangsstatement formulierte de Almeida bereits das
Idealziel, das den Rahmen für das Forum geben sollte: „Prävention
im Unterrichtsraum statt Behandlung in der Arztpraxis“. Als
Hauptparameter seines Präventionskonzepts benannte er die notwendige
Sensibilisierung für den Zusammenhang zwischen körperlicher
Zentralkoordination einerseits, und Armgewichtskontrolle, Bewegungsschnelligkeit,
Kraftentfaltung sowie Ausdauer beim Spiel anderer- seits, um als
Interpret das vorgestellte Klangresultat im Einklang mit dem Körper
erzielen zu können.
An diese Bedingungen schloss Elgin Roths Präsentation ihres
neuen Buches „Die Wiederentdeckung der Einfachheit. Frédéric
Chopins und Ludwig Deppes pianistisches Ideal und seine Bedeutung
für den Klavierunterricht“ nahtlos an. Elgin Roth machte
in ihrem passionierten Vortrag deutlich, dass sowohl Chopin als
auch Deppe bereits vor mehr als 150 Jahren das physiologisch begründete
Spiel als Bedingung zur Verwirklichung ihres Kunstideals angesehen
hätten. Chopin und Deppe glichen sich in ihrer „Forderung
nach Aufrichtung, Bewegungsökonomie, ganzheitlich koordinierten
statt vereinzelten, isolierten Bewegungen“ zwecks Erzielung
eines „mühelosen, leichtgängigen Spiels“ sowie
eines „schönen, vollen, runden und edlen Klanges“.
Indem sie diese Elemente zum Hauptaugenmerk ihres Unterrichts machten,
haben Chopin und Deppe zum einen als Pädagogen in ihrer Zeit
viele Schüler von Schmerzen und Spielschäden bewahrt,
zum anderen über ihre Zeit hinaus Kriterien benannt, die auch
heute noch im Unterricht zur Prävention und Therapie von Spielschäden
zur Anwendung kommen müssten, so Elgin Roth.
Neurologie des Musizierens
Im Bemühen, all die möglichen Faktoren zu berücksichtigen,
die im konkreten Fall an einer Beeinträchtigung des Spiels
Anteil hatten, kommt es zwangsläufig zu einer Überschneidung
von physiologischen, psychologischen, neurologischen sowie psychosomatischen
und sozialen Aspekten. Grundlagenforschung in diesem Bereich führt
seit Jahren das Institut für Musikphysiologie und Musiker-Medizin
in Hannover durch. Eckart Altenmüller und Hans-Christian Jabusch
erklärten in ihren Referaten die grundlegenden neurologischen
Abläufe beim Musizieren und zeigten typische Verhaltensmuster
auf, die zu Überlastungsverletzungen führen. Auch aus
medizinischer Sicht sei die Prävention der Therapie vorzuziehen,
medikamentöse Behandlung nur das letzte Mittel in einem gescheiterten
Selbstheilungsprozess.
Ein direkter Zusammenhang zwischen Bewegungsablauf und dessen Auswirkung
auf den Körper bestehe zweifelsfrei, doch sei es im Moment
unmöglich, wissenschaftlich – im Sinne einer messbaren
Größe – festzustellen, was einen idealen Bewegungsablauf
ausmache. Das pädagogische System der Weitergabe von Erfahrung
und Wissen über Jahrhunderte sei wissenschaftlichen Messverfahren
noch weit überlegen.
Zwar konnten beide Mediziner den eingangs von de Almeida benannten
Bedingungen dem Grunde nach zustimmen, mussten jedoch bei der Frage,
wie genau im Sinne der Prävention zu verfahren sei, auf die
Fachmethodik verweisen. Die Fachmethodik indessen charakterisiert
in ihrer Diversität das Fehlen allgemein verbindlicher Aussagen.
Welchen Weg wählen?
Wie es schon bei Goethe heißt: Das Was musst Du bedenken,
wohl aber auch das Wie. Einen Weg, Spielstörungen zu begegnen,
stellten Stefan Blido und Manfred Seewann in ihrer Präsentation
von Peter Feuchtwangers „Klavierübungen zur Heilung physiologischer
Spielstörungen und zur Erlernung eines funktionell-natürlichen
Klavierspiels“ vor. Zur Heilung von Spielstörungen müssten
alte, falsche Bewegungsmuster verlernt und neue etabliert werden.
Der Grundgedanke der Übungen sei, bestehende Überspannung
der Muskulatur zu lösen und bewusst zu machen, wie viel beziehungsweise
wie wenig Spannung und Kraft tatsächlich das Spiel erfordere.
Die Reaktionen darauf waren durchaus verschieden. Zwar gab es Berichte
von guten Erfahrungen, jedoch stellte gerade die Frage nach dem
Wie, nach der Art der Ausführung, einen Punkt dar, der für
intensive Diskussion sorgte.
Es heißt, viele Wege führten nach Rom. Nur, welchen
Weg wählt man, wenn das eigene Spiel beeinträchtigt ist?
Das Klavierpädagogische Forum in Halle hat einige Wege aufgezeigt,
die beschritten werden können. Doch insbesondere im Sinne der
Prävention muss die klaviermethodische Diskussion weiter gehen.
Allein in Fragen der Terminologie wäre es dringend notwendig,
eine grundsätzliche Klärung herbeizuführen. Ohne
sie scheint es schwierig, sich darüber auszutauschen, wie ein
physiologisch begründetes Klavierspiel zu vermitteln sei, um
eben nicht erst aus dem Schaden klug zu werden, sondern den Schaden
gar nicht erst entstehen zu lassen.