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Ausgabe 2005/04
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nmz 2005/04 | Seite 17
54. Jahrgang | April
Hochschule

Die Suche nach der Qualität der Ausbildung

Vergleichende Studie in Frankfurt und Offenbach · Von Tilman und Christa Allert

Im Zuge des Strukturwandels der akademischen Bildung geraten auch Musik- und Kunsthochschulen in den Blick. Mittelverknappung und Modularisierungsverpflichtungen setzen insbesondere Kunst- und Musikhochschulen unter den Druck, ihre Ausbildungsbedingungen zu überdenken und ihre Qualitätskriterien zu definieren. An der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt und der Hochschule für Gestaltung Offenbach wird in Kooperation mit einer soziologischen Forschergruppe (Prof. Dr. Tilman Allert, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt) dem Kern der künstlerischen Ausbildung auf den Grund gegangen.

In der gegenwärtigen Diskussion um die Schwerpunkte zukünftiger Ausbildung an deutschen Musikhochschulen wird die Frage aufgeworfen, wie die Studierenden frühzeitig auf den schwierigen Übergang in die berufliche Praxis vorbereitet werden können. Die Ausgangssituation hat sich dramatisch verändert und zwar aus einer Reihe von Gründen. Sie reichen von dem gestiegenen Kostendruck beziehungsweise erhöhten Kostenbewusstsein, über die Forderung nach Homogenisierung der Bildungsabschlüsse auf europäischer Ebene bis hin zu Vorgängen im Kulturbetrieb selbst. Dazu zählen der veränderte Publikumsgeschmack, die Differenzierung der Sparten sowie Verschiebungen in den Darstellungsformen. Die solistische Karriere, im biografischen Exposé vieler Studierender nach wie vor Orientierungsmaßstab, bildet im Spektrum der Musikertätigkeiten eine Ausnahmeerscheinung. Da die angedeuteten Entwicklungen ein naives Fortschreiben bisheriger Ausbildungspraktiken in Frage stellen, sind die Hochschulen aufgerufen, zu einem realitätsgerechten Berufsbild, einer qualitätsvollen und zugleich Flexibilität ermöglichenden Vorbereitung angehender Musiker beizutragen.

Qualitätskriterien entwerfen

Aus der hochschulpolitischen Debatte pragmatisch handhabbare Schlussfolgerungen zu ziehen, ist allerdings nicht so einfach. Die Frage, ob der eng gewordene Arbeitsmarkt und eine restriktive Kulturpolitik eine Intensivierung der Exzellenzkriterien bei gleichzeitiger Schwerpunktsetzung erzwingt oder ob umgekehrt der Vielseitigkeit und Flexibilitätszumutung curricular Rechnung zu tragen ist, bezeichnet nur eines der Entscheidungsprobleme, vor das die Hochschulleitungen derzeit gestellt sind. Ganz gleich, ob jemand neu berufen wird, ob neue Studiengänge entworfen werden oder Schwerpunkte gesetzt werden sollen, gerät das Leitbild des Hauses in den Blick und das Verhältnis von „greifbaren und nicht-greifbaren Elementen des Kunstschaffens“ oder von „explizitem und stillschweigendem Wissen“ wird zum Problem (Samuel Hope und Peter Renshaw auf dem Jubiläumskongress der AEC, 2003).

Im Interesse der Hochschulen ist es von daher, dieses stillschweigende Wissen und damit die Leistungsfähigkeit der künstlerischen Ausbildung zu explizieren jenseits einer ausschließlich betriebswirtschaftlich ausgerichteten Kapazitätsberechnung. Von außen sichtbare Nachweise der Leistungsfähigkeit in Form von Wettbewerbsteilnahme, Preisen, Aufführungen et cetera spiegeln zwar die Ausbildungserfolge wider, vom alltäglichen Ausbildungsgeschehen liefern sie allerdings nur ein unzureichendes Bild. Qualitätskriterien zu entwerfen, die dem alltäglichen Unterrichtsgeschehen entnommen sind und die pädagogische Beziehung zwischen Lehrendem und Lernenden mit ihren Möglichkeiten und Schwierigkeiten zu betrachten, hat sich eine soziologische Forschergruppe der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt zur Aufgabe gemacht. Im Rückgriff auf eine soziologische Theorie der Professionen wurde in einer vergleichenden Studie an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt und der Hochschule für Gestaltung Offenbach der Versuch unternommen, strukturelle Merkmale des pädagogischen Arbeitsbündnisses an Kunst- und Musikhochschulen herauszuarbeiten. Dieser Ansatz, der „Kunst als Beruf“ zum Thema macht, fragt zunächst nach dem Handlungsproblem der künstlerischen Ausbildung, das heißt danach, was idealtypisch zu erwerben ist, um Kunst als eine Form der sinnlichen Erkenntnisgewinnung auszuüben und nach den habituellen Voraussetzungen, die dazu in der Ausbildung grundgelegt werden.

Vornehmliche Aufgabe von Kunst- und Musikhochschulen ist es, individuelle künstlerische Fähigkeiten in der Erarbeitung, Darstellung und Vermittlung von Musik, Malerei und Darstellender Kunst aufzugreifen, zu fördern, in eine berufliche Kompetenz und einen entsprechenden professionellen Habitus zu transformieren. Wie geschieht das?

Die Unterrichtsformen an den Musikhochschulen fallen durch eine Dominanz des Einzelunterrichts auf, das heißt durch die Beziehung zwischen Lehrendem und Lernendem. Die Erinnerung an eigene Lernerfahrungen von Musikern und die besondere Rolle, die bestimmte Lehrer oder Lehrkonstellationen dabei spielten, deutet darauf hin, dass in diesen Beziehungen in besonderer Weise und anders als an anderen Bildungseinrichtungen eine ästhetisch wie erzieherisch innovations- und leistungsfähige Kommunikation ermöglicht wird. Im interaktiven Prozess zwischen Lehrendem und Lernendem werden die zu erwerbenden Kompetenzen vermittelt, die neben der souveränen Beherrschung des Instruments und der kognitiven Seite des Musikverständnisses, vornehmlich die psychische Seite der Artikulation von Präsenz umfasst. Die akustische, auditive oder visuelle Wahrnehmung des Zuhörers in eine ästhetische Erfahrung zu transformieren, verlangt eine Suggestivität des künstlerischen Ausdrucks, die die Erfahrungsmodi von Künstler und Rezipient in eine Korrespondenz zueinander bringt. Indem der Künstler bislang unartikulierte Erfahrungsgehalte in eine sinnlich wahrnehmbare Ausdrucksgestalt übersetzt, werden sie dem Rezipienten gleichsam stellvertretend in der gekonnten musikalischen Gestaltung sinnlich erkennbar gemacht. Die eigene innere Realität wahrnehmen zu können, in eine künstlerische Ausdrucksintention zu übersetzen und in einer authentischen Präsentation darstellen zu können, zählen zu den vorrangigen künstlerischen Fähigkeiten. Pädagogischer Ort auf dem Weg dorthin ist eine äußerst sensible Kommunikationssituation.

Im Schutzraum des „Meister-Schüler-Verhältnisses“ erwirbt der Lernende eine künstlerische Sensibilität, mit der er einen historischen musikalischen Text mit einem gegenwärtigen Verstehen verbinden kann und auf diese Weise etwas Drittes und Neues schafft. Obwohl die Bezeichnung „Meister-Schüler-Verhältnis“ vielfältige und oftmals ablehnende Konnotationen hervorruft, interessiert es uns, die Chancen und Begrenzungen dieser Beziehung in den Blick zu nehmen. Ihre Elemente zu beleuchten, erscheint uns als ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Exploration immanenter Qualitätskriterien. Die Formulierung „Meister-Schüler-Verhältnis“ legt das Augenmerk auf die Beziehungsqualitäten der pädagogischen Interaktion und unterstreicht insbesondere deren charismatische Züge, die das Verhältnis – darauf ist besonders hinzuweisen – wechselseitig prägen. Dabei scheint der Umstand wichtig, dass die Beziehungsqualitäten keineswegs allein an den konkreten Einzelunterricht gebunden sind, vielmehr gelangen sie während der Ausbildung an unterschiedlichen Orten zur Geltung.
Das „Meister-Schüler-Verhältnis“ in seiner anschaulichen Konkretion im Einzelunterricht ist deshalb nicht etwa schon eine Gewähr für den erfolgreichen Erwerb von Fähigkeiten der Musikvermittlung, auch sollte es nicht als die normativ verpflichtende Idee jeder künstlerischen Ausbildung verklärt oder gar als einzig für die künstlerische Ausbildung reserviert betrachtet werden. Auch die diesem Verhältnis innewohnende Gefahr der Abweichung oder gar Verzerrung herauszuarbeiten, um sie dadurch kontrollierbar zu machen, ist Aufgabe einer theoretischen Bestimmung der professionellen Tätigkeit.

Meister-Schüler-Verhältnis

Das pädagogische Arbeitsbündnis zwischen Lehrendem und Lernendem ist durch ein hohes Maß an Nähe und Interaktionsdichte bestimmt und strukturell krisenhaft, weil gegenläufige Handlungsanforderungen gleichzeitig bewältigt werden. Die Beteiligten stehen in einer symmetrischen und zugleich asymmetrischen kommunikativen Beziehung. Sie ist offensichtlich asymmetrisch, weil Lernende als Novizen der leitenden Begleitung und Förderung bedürfen. Gleichzeitig sind sie potentielle Träger künstlerischer Kompetenz bezogen auf die Freisetzung eines ästhetischen Innovationspotentials. Darin ist das Verhältnis symmetrisch, weil der Studierende als antizipierter Berufskollege eine Quelle möglicher Inspiration bildet. Für das Ausbildungsverhältnis ergibt sich daraus die Erwartung, dass der Lernende Techniken der Ausdrucksrealisierung und -interpretation übernimmt, es aber nicht damit bewenden lässt, sondern zu riskanten Transformationen bereit ist und die vom Lehrenden angebotenen Interpretationstechniken mit einer eigenen gestalterischen Phantasie weiterführt.

Das künstlerische Handeln zeichnet sich durch eine hohe lebensweltliche Riskanz aus, weil es von unvermeidbaren Krisen begleitet wird, die damit zusammenhängen, immer wieder Vertrautes und Routinisiertes aufgeben zu müssen, um die individuellen Ausdrucksmöglichkeiten zu entwickeln, aber doch immer nur annäherungsweise vervollkommnen zu können. Das führt zu dynamischen Prozessen, die eine große Nähe, Vertrautheit und Intimität des Verhältnisses erzeugen. Um sie für den Studierenden künstlerisch kreativ und die Handlungskompetenz fördernd zu lösen, bedarf es eines sich in Muße vollziehenden, handlungsentlasteten Übens, das der Zukunftsoffenheit und Ungerichtetheit des künstlerischen Prozesses Rechnung trägt. Potentiale zu erkennen und zu entwickeln, lenkend aber nicht steuernd diesen Prozess zu begleiten, charakterisiert die mäeutische Haltung des Lehrenden, die getragen wird von seiner Bereitschaft, sich auf den Lernenden einzulassen und zu sehen, was dieser ihm entgegenbringt. Diese Haltung ist auch deswegen unverzichtbar, weil sich die sinnliche Erkenntnis vielfach in einem außersprachlichen Bereich bewegt, wo gleichwohl die künstlerische Ausdrucksintention im interaktiven Prozess zwischen Lehrendem und Studierendem präzisiert wird.

Ausbildungssituationen, die auf charismatisch gefärbte Kommunikation angewiesen sind, tragen zugleich ein strukturelles und damit nicht persönlich zurechenbares Potential zur Abweichung vom angestrebten Handlungsziel in sich. Die für das Erarbeiten einer künstlerischen Objektivation notwendige Vertrautheit und Interaktionsdichte birgt die Gefahr der Abweichung, indem der Studierende die angebotenen Interpretationstechniken nur übernimmt (zum Beispiel weil sie erfolgreich sind) statt sie zu prüfen und zu eigenen Ausdrucksmitteln umzuformen – empirische Beispiele für dergleichen gibt es in der Ausbildungsrealität der Hochschulen zu Genüge.

Nicht nur von innen kann das Verhältnis gestört werden, sondern auch von außen gerät es leicht in Bedrängnis, dann nämlich, wenn der für den Reifungsprozess unabdingbare Mikroraum einer Gemeinschaft Lernender einer falsch verstandenen Arbeitsmarktorientierung und frühen Selbstvermarktung geopfert wird. Desgleichen gibt es eine Schmerzgrenze für die Verknappung der Mittel, jenseits derer die Universitäten ihrer Funktion nicht mehr nachkommen können, die kunst- und musikpädagogischen Kompetenzen auszubilden, die langfristig unabdingbar sind, zukünftige Publika für Musik und Kunst auf Kriterien angemessenen Urteilens vorzubereiten und somit den Resonanzraum für die öffentliche Darbietung ästhetischer Innovationen zu sichern.

Die Lehrenden untereinander

Den Musik- und Kunsthochschulen ist es demnach anzuraten, das „Meister-Schüler-Verhältnis“ auf seine Anpassungsflexibilität gegenüber dem Wandel von künstlerischen Berufen zu überprüfen, indem sie den Legitimationsdruck, unter den sie zunehmend geraten offen aufgreifen. Ihr Kapital liegt in dem Bereitstellen von Ausbildungsgemeinschaften, die im Verlauf des Studiums vergleichsweise sanktionsfreie künstlerische Erfahrungen im Schonraum eines Noviziats ermöglichen, das innovationsverpflichtet die Bedingungen des künstlerischen Handelns historisch und gegenwartsbezogen reflektiert. Indem musikalische Erfahrung sich nur in Kommunikation mit dem Zuhörer realisiert, ist jeder Musiker zugleich Musikvermittler. Für den institutionellen Auftrag der Hochschule folgt daraus, dass die Studierenden nicht nur dazu befähigt werden, ein autonomes künstlerisches Profil zu entwickeln, mit dem sie über das nötige Rüstzeug verfügen, in unterschiedlichen Aufführungskontexten ein Werk authentisch darzubieten, sondern mit dem sie darüber hinaus als Musikvermittler künstlerische Gütekriterien weitergeben, damit es auch in Zukunft ein Publikum mit einer kompetenten und wahrnehmungsoffenen Musikrezeption gibt – ein Zusammenhang, an den schon in den zwanziger Jahren der Musikpädagoge und Kulturmanager Leo Kestenberg erinnert hat. Unter diesem Gesichtspunkt nimmt die Hochschule Kulturträgerfunktionen wahr, die die einzelnen Ausbildungsbereiche überspannt und in einer gemeinsamen Aufgabenstellung vereint. Für die Zukunft der Musik erscheint diese insofern wichtig genug, um das vielerorts überbewertete Trennende zwischen künstlerischer, instrumentalpädagogischer und schulpädagogischer Ausbildung unter einem anderen Blickwinkel zu sehen.

Tilman und Christa Allert

 

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