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nmz-archiv
nmz 2005/04 | Seite 28
54. Jahrgang | April
Jeunesses Musicales Deutschland
Neue Alchemie auf Schloss Weikersheim
Jeunesses Musicales startete ihre eCommunity
Es war ein wunderliches Treffen Ende Februar im verschneiten Schloss
zu Weikersheim: Es kamen sechs junge Komponisten und Komponistinnen
aus Frankfurt – mit Musik im Kopf, im Computer und auf dem
Papier und ihrem Hochschulprofessor Gerhard Müller-Hornbach
im Gefolge. Aus den Musikhochschulen in Würzburg, Frankfurt,
Augsburg und Stuttgart reisten tatendurstig junge Musikerinnen und
Musiker mit ihren Flöten, Oboen, Fagotten an – gespannt
auf ihre Begegnung mit den weltweit für die Interpretation
zeitgenössischer Musik nachgefragten Profis des Aeolian Trio:
Die Flötistin Carin Levine (USA), der Oboist Peter Veale (Neuseeland)
und der Fagottist Pascal Gallois (Frankreich). Auch fand sich eine
junge Musikjournalistin vom Bayerischen Rundfunk ein – und
ein Computerspezialist für internetgestütztes Lernen.
Eingeladen hatte die Jeunesses Musicales Deutschland (JMD).
Dass das Gemisch der rund 25 Teilnehmenden aus dem ganzen süddeutschen
Umfeld rührte und dabei zehn verschiedene Nationalitäten
ihre Ingredienzien einwürzten, ist für den bundesweit
und international rührigen Verband junger Musiker eher normal.
„Ähnlich wie Graf Wolfgang dazumal in seiner Alchemistenküche
auf Schloss Weikersheim laborierte, macht auch die JMD hier immer
wieder Experimente“, sagt ihr Generalsekretär Ulrich
Wüster, „und es ist fantastisch, dass sich Musiker hier
in Weikersheim zusammenfinden mit dem Mut, Neues zu wagen, sich
ins Ungewisse zu begeben, aber auch natürlich mit dem Selbstvertrauen
in die Kraft ihrer eigenen Kreativität“. Ein Experiment
ist schon die ungewohnte Ensemblebesetzung aus Flöte, Oboe
und Fagott, für die es fast keine Originalstücke gibt.
Für Carin Levine und ihre Kollegen vom Aeolian Trio kein Hindernis
und eher ein Grund, für diese „ohrenkitzelnde Klangkombination“
komponieren zu lassen. Bereits im vergangenen Jahr hatten sie gemeinsam
mit der JMD einen internationalen Kompositionswettbewerb ausgeschrieben,
dessen Uraufführungen im Weikersheimer Gärtnerhaus stattfanden.
„Jetzt möchten wir, dass junge neugierige Komponisten
mit experimentierfreudigen jungen Musikern im direkten Dialog miteinander
Musik entstehen lassen“, erläutert Carin Levine –
und darin steckt dann das zweite Experiment: Denn welcher Tonsetzer
lässt sich schon gern über die Schulter schauen, geschweige
denn in sein Werk hineinreden, noch dazu, bevor es fertig und damit
vorzeigbar ist?
Weitgehend vermeidbar war dies Risiko für die 28-jährige
Komponistin Elvira Garifzyanova, die bereits gut vorgearbeitete
13 Seiten Partitur präsentierte. Dennoch – gespannt lauschte
sie den Klängen, für die sie selbst verantwortlich zeichnet,
und ein wenig ängstlich, wie die Reaktionen ausfallen könnten.
Aber diese Unmittelbarkeit schuf eine Nähe, die sich in rückhaltloser
menschlicher und künstlerischer Intensität äußerte.
So konnte auch Saskia Bladt, die erst am zweiten Tag eine originelle
Fuge vorzeitig aus ihrem Computer-Notensatz entließ, die Gunst
der vertrauensvollen Stunde nutzen. Vom Notengestrüpp einer
Fuge von heute ließ man sich in diesem konspirativen Kreise
nicht schrecken. Ihre deklamatorische Ader – welche die 23-jährige
schon als Regieassistentin bei der Weikersheimer „Carmen“-Inszenierung
der JMD ausleben konnte – brachte Oboe, Flöte und Fagott
auf die richtige Fährte. So ins ganz überraschend Menschliche
gewendet, „lohnt sich direkt die Überei an den schwierigen
Stellen“ dieser Musik, die im Zusammenwirken mit dem Bläsertrio
aus Würzburg vollendet wird. Jedes der vier Hochschultrios
übernimmt nämlich die Verantwortung für eines oder
auch zwei Werke der Komponistenkollegen, die Uraufführungen
sind am 13. April.
Wegen der Kürze der Zeit, die bis dahin noch bleibt, und
wegen der Entfernung muss die Zusammenarbeit über das Internet
erfolgen – und das ist das dritte Experiment: „ein unglaublicher,
noch nie gemachter Versuch, auf dessen Verlauf und Ergebnis wir
alle riesig gespannt sind“, begründet Kompositionsprofessor
Müller-Hornbach sein Interesse an dem Projekt. Die JMD hat
für diesen Zweck einen geschützten Bereich auf ihrer Internetseite
geschaffen, eine Art virtuellen Klassenraum, in dem die Teilnehmer
regelmäßig Dateien hochladen und sich über diese
praktisch auf Zuruf austauschen können. Notenbilder werden
gescannt oder gleich aus dem Computer geladen, Aufnahmen der gespielten
Musikstücke werden als Soundfiles geliefert. „Später
kann man ganz schön nachvollziehen, wie sich eine Komposition
entwickelt hat und wie die Interpreten damit immer besser zurecht
kommen“, lobt Müller-Hornbach das Konzept. Er selbst
wie auch die drei Instrumentaldozenten stehen den Teilnehmern in
vereinbarten online-Sprechstunden zur Verfügung oder melden
sich zu eingesandten Fragen und Problemstellungen. Alle können
diese Wechselwirkungen mitverfolgen und sich einschalten.
Dass sie dies tun werden, daran lässt der online-Tutor und
Programmierer dieser Plattform, der Weikersheimer Musiker und Verleger
Dirk Hangstein, keinen Zweifel: „Junge Leute von heute“,
weiß er, der im Auftrag der Bundesregierung eine ausgewachsene
Kommunikationsplattform für Trinkwasserexperten im nördlichen
Afrika aufgebaut hat, „und auch junge Musiker gehen mit dem
Computer und dem Internet locker um, aber auch kritisch: Sie mögen
keinen Schnickschnack und merken auch schnell, was ihren Interessen
dient.“ Für JMD-Generalsekretär Wüster ist
klar, dass online-Learning allein gerade für Musiker nicht
ausreicht: „Die persönliche Begegnung, von der Wahrhaftigkeit
und Intensität ausgeht, muss einfach sein, dafür steht
die Jeunesses Musicales“. Wenn diese Chemie stimmt, dann dürfte
sie auch die Internet-Lernzeit bis zum nächsten Treffen tüchtig
gären lassen. Das Labor dafür steht in Weikersheim, und
ab jetzt hat es mit der JMD-eCommunity einen neuen Inkubator.