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nmz-archiv
nmz 2005/04 | Seite 8
54. Jahrgang | April
Magazin
Musik verbindet – Partner Musikschule
Gerd Eicker, VdM-Vorsitzender, zum Musikschulkongress ’05
vom 29. April bis 1. Mai
nmz: Der Musikschulkongress ’05 steht vor
der Tür. Heißt es wie in den vergangenen Jahren schneller,
weiter, größer? Gerd Eicker: Die sprichwörtlichen Attribute
des Leistungssportes kennzeichneten eigentlich nie das Musikschulwesen.
Sicherlich haben wir in Deutschland in den vergangenen 50 Jahren
ein permanentes Wachstum an den Musikschulen zu verzeichnen gehabt.
Im europäischen Vergleich jedoch sind wir nicht unbedingt Rekordverdächtig,
vielmehr hat die Pisa-Studie gezeigt, dass in Bezug auf die Jugendbildung
erheblicher Nachholbedarf besteht und – wenn wir denn in der
Sportterminologie bleiben – die gesamtdeutsche Bildungspolitik
sich tatsächlich schneller, weiter und größer bewegen
muss. Auch der Deutsche Musikschultag, zu dem zum vierten Male die
knapp 1.000 öffentlichen Musikschulen von ihrem Verband, dem
VdM, aufgerufen worden sind, dient nicht einem institutionsbezogenen
Selbstzweck, sondern vielmehr einer Bewusstmachung der Notwendigkeit
musikalischer Bildung.
Haben im Jahr 2002 rund 70 Prozent der Musikschulen diesen Tag genutzt,
um in der Verbundenheit mit anderen Schulen eine größere
Öffentlichkeit ansprechen zu können, so hoffen wir, dass
in diesem Jahr die Beteiligung noch deutlich größer ausfallen
wird. Manche öffentlichen Musikschulen sind heute in der Tat
vom harten Verteilungskampf um öffentliche Mittel betroffen,
wenn Kommunen keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorlegen können.
Es besteht die Gefahr, dass durch kurzsichtige Spar- oder gar Schließungsbeschlüsse
(derzeit im Promille-Bereich), Kindern und Jugendlichen der Zugang
zum Kultur- und Bildungsgut Musik versperrt wird. Das höchste
Gut einer Nation ist die optimale Förderung der Jugend, da
in ihr die Zukunft begründet ist. Diese wird zur Zeit an einigen
wenigen Orten leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Der vierte Deutsche
Musikschultag soll durch die Präsenz in der Öffentlichkeit
mit einer Fülle von musikalischen Beiträgen, Veranstaltungen,
Auftritten, größeren und kleineren Kooperationsprojekten
auch die nicht unmittelbar beteiligten Bürger auf das Kulturgut
Musik aufmerksam machen. Musikalische Bildung ist keine „sättigende
Beilage“ für finanziell bessere Zeiten, sondern die Sicherung
der Zukunftsfähigkeit eines Kulturraumes wie der Bundesrepublik
Deutschland. Sie setzt im frühen Kindesalter an und ist, falls
dieser Zeitraum versäumt wird, nicht mehr einholbar.
Gerd Eicker
nmz: „Partner Musikschule“ heißt
ein Slogan des VdM im Jahr 2005. Was ist darunter zu verstehen? Eicker: Der Slogan „Partner Musikschule“
ist der zweite Teil des Themas unseres diesjährigen Musikschulkongresses,
der lautet: „Musik verbindet – Partner Musikschule“.
Unter dem ersten Teil dieses Themas steht auch der Deutsche Musikschultag,
um deutlich zu machen, dass Musik über ihren eigenen Wert als
Kulturgut, der nicht hoch genug einzuschätzen ist, hinaus weitere
„Sekundärfunktionen“ einschließt. Wir sprechen
so oft von der sozialen Kompetenz, mit der Menschen im Bildungsprozess
ausgestattet werden müssen. Diese Kompetenz ist mittlerweile
in vielen Bildungsplänen verankert. Leider wird sehr oft übersehen,
dass das Medium Musik hervorrragend dazu geeignet ist, soziale Kompetenz
auszuformen, da eben die Musik in einem hohen Maße einen Menschen-verbindenden
Charakter trägt. Die Musikvermittlung ist das zentrale Anliegen
der Musikschulen. Deshalb bieten sie sich als ideale Partner für
alle Institutionen, Gruppen und Organisationen an, die sich in irgendeinem
Zusammenhang mit Musik beschäftigen oder auch nur von ihr tangiert
sind. Seien es Kindergärten und –tagesstätten, Jugendhäuser,
die allgemein bildenden Schulen oder aber das Kulturamt der Stadt,
das Opernhaus, das Sinfonieorchester, die Musikvereine, die Kirchen,
die Einrichtungen für Erwachsenenbildung…, die Liste
kann nicht vollständig sein.
Mehrere tausend Kommunen unterhalten Musikschulen. Nur die wenigsten
davon verfügen über professionelle Theater und Orchester.
Daher sind die Musikschulen nahezu zwingend die zentralen Partner
für die Musikkultur im öffentlichen Raum. Dieser besonderen
Rolle müssen sich die Musikschulen aber auch bewusst sein,
sich selbst als Partner definieren und auf potentielle Partner zugehen.
Die „offene“ Musikschule, wie sie der VdM formuliert,
beinhaltet eben die Offenheit nicht nur nach innen bezüglich
der Unterrichtsgegenstände und -verfahren, sondern auch in
der Außenwirkung nach dem Motto „Offen für alle“!
Hier sei allerdings kritisch angemerkt, dass diese Offenheit und
Kooperationsfähigkeit einer gewissen finanziellen Basis bedarf.
nmz: Eine Phase konstruktiver Zusammenarbeit
zwischen VdM und der Regelschule hat begonnen. Wo sehen Sie Chancen
für die Musikschulen? Eicker: Es ist sicher richtig, dass die Aufgeregtheit
über bevorstehende Ganztagsschulen sich weitgehend gelegt hat
und konstruktiven Konzepten, die die neuen Möglichkeiten zum
Inhalt haben, Platz gemacht hat. Eine konstruktive Zusammenarbeit
zwischen den VdM-Musikschulen und den Regelschulen hat allerdings
nicht erst jetzt begonnen, sondern ist vielerorts schon seit vielen
Jahren Normalität. Bei der in vielen Kommunen errichteten offenen
Ganztagsschule ergeben sich für die Musikschulen neue Aufgabenfelder.
Durch neue Bildungsangebote, die nicht den unmittelbaren Kernbereich
der Musikschularbeit darstellen, können weitere Kinder und
Jugendliche mit musikalischer Bildung erreicht werden. Ich sehe
diese neuen Bildungsangebote nicht als Werbeveranstaltungen für
die Musikschule, sondern als neuen integrativen Faktor gemeinsamer
Bildungsverantwortung von Schulmusik und Musikschule. Hierzu bedarf
es auch der Weiterqualifikation der Musikschullehrer/-innen beziehungsweise
der Vorausqualifikation in den Musikhochschulen.
nmz: Was sind die Schwerpunkte/Highlights des
Musikschultages 2005? Eicker: Den konkreten Schwerpunkt des Musikschultages
’05 setzt letztendlich jede Musikschule selbst. Unter dem
Gesamtthema „Musik verbindet“ soll die besondere gesellschaftlich
verbindende Wirkung der Musik durch das gemeinsame Musizieren eindrücklich
in der Öffentlichkeit dargestellt werden. Darüber hinaus
sollen Partnerschaften und Freundschaften deutlich gemacht werden.
Sie finden sich in Kleingruppen bis zu den großen Formationen,
sie finden interkulturell statt oder auch integrativ gemeinsam mit
Menschen mit Behinderungen. Schließlich soll für den
gesellschaftlichen Wert des gemeinsamen Musizierens und seine weitreichenden
politischen Konsequenzen geworben werden. Diese Betätigung
ist nicht nur lebensbereichernd und sinnstiftend, sondern beinhaltet
eine Fülle von Schlüsselqualifikationen. Schließlich
soll deutlich gemacht werden, dass bei alledem die öffentliche
Musikschule eine zentrale Bedeutung innehat.
nmz: Was wünschen Sie sich für die
Zukunft dieser zentralen und bewährten Veranstaltung des VdM? Eicker: Ich wünsche mir, dass alle für
Musikschulen Verantwortliche die Chance des Deutschen Musikschultages
erkennen und sie ausgiebig sowie erfolgreich nutzen. Die Aktion
ist dann erfolgreich, wenn dadurch in den Köpfen der politisch
Verantwortlichen die Erkenntnis reift, dass eine Nation wie eine
Familie bei den Schwächsten, nämlich den Kindern, zuallerletzt
den Rotstift ansetzen darf. Was die Gestaltung im Einzelnen betrifft,
so ist sicherlich der Satz auch hier anzuwenden, dass nichts so
gut ist, als dass man es nicht verbessern könnte. Die Verbesserungen
werden sich sicherlich nach der Situation der einzelnen Schule zu
richten haben. Um zu eruieren, was sich Besucher wie auch die Nutzer
wünschen, hat der VdM zwei Qualitätsmanagementsysteme
eingeführt: E-DuR und QsM. Beide Systeme, die von unterschiedlichen
Ansätzen ausgehen, ermöglichen es einer Schule, sehr genau
ihre eigene Qualität in Stärken und Schwächen zu
analysieren und sich weiter zu entwickeln. Die Systeme entsprechen
europäischen Maßstäben und sind neben den Strukturen
und Inhalten, zu denen sich eine VdM-Musikschule verpflichtet, weitere
Qualitätskriterien, die in Zukunft für den Nutzer von
noch größerer Bedeutung sein werden. Musikalische Bildung
wie überhaupt jegliche Jugendbildung muss nach meiner Überzeugung
in der Verantwortung der Gesellschaft und damit der für die
Bildungspolitik Verantwortlichen bleiben. Sie darf nicht der Beliebigkeit
und Unwägbarkeit eines nach kommerziellen Aspekten agierenden
freien Marktes überlassen werden.