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nmz-archiv
nmz 2005/04 | Seite 15
54. Jahrgang | April
Musikwirtschaft
Beethoven ist der Mozart Bonns
Marke, Marketing und Musik: das Bonner Beethovenfest unter Ilona
Schmiel
Die Botschaft steckt schon im Logo: ein großes B für
Beethoven, den großen Sohn der Stadt, und wie ein Copyrightzeichen
rechts oben das kleine B für Bonn. Und darunter der Schriftzug
„Beethovenfest Bonn“. Das „International“
im Titel des Bonner Traditionsfestivals wurde gestrichen. „Weil
man längst international ist“, sagt Intendantin Ilona
Schmiel, die unter dem Stichwort „Liberté – Beethoven
und der französische Kulturraum“ die zweite Saison des
generalüberholten Festivals unter ihrer Leitung in Angriff
nimmt. „Da es in Deutschland kein zweites Beethovenfest Bonn
gibt, bringt das ‚international‘ weder unter inhaltlichem
Gesichtspunkt, noch unter Vermarktungsgesichtspunkt einen Vorteil.
Wir brauchen dieses Attribut nicht mehr, wir sind es.“
Beethoven ist in dieser Stadt geboren – diesen Kontext kann
man der ehemaligen Hauptstadt und heutigen Bundesstadt Bonn nicht
wegnehmen. „Beethoven und Bonn gleichzusetzen“ sagt
Schmiel, „das ist der Ausbau unserer Marke national und international.
Daran richtet sich unsere Strategie aus.“
Aus Bonn ein Salzburg am Rhein zu machen und den internationalen
JetSet in die Stadt zu holen, zieht die Bonner Intendantin jedoch
nicht ernsthaft in Betrachtung. „Wir werden nie ein Opernfestival
sein. Was wir wollen, ist eine gute Mischung aus gebildeten, neugierigen
überregionalen internationalen Festivaltouristen, zusätzlich
zum fachkundigen lokalen und regionalen Publikum.“
Die Besucherumfrage 2004 lag beim Gespräch mit Ilona Schmiel
noch nicht vor, doch sie geht von etwa 90 Prozent regionalem (bis
250 km Umkreis) und 10 Prozent überregionalem Publikum aus.
„Diese Quote müssen wir steigern, um unsere Rechtfertigung
gegenüber Zuschussgebern zu haben.“ Mittel und Ideen
dazu sind vorhanden: zunächst das attraktive Programm, dann
auch Ideen wie die Zusammenarbeit mit Freundeskreisen von Orchestern,
mit Reisebüros, die Konzertreisen und Leserreisen organisieren.
Große Hoffnung setzt man auch auf den stark wachsenden Kulturtourismus
aus China.
Nach der Einstellung 1994 hatte Franz Willnauer nach fünfjahriger
Festivalpause 1998 die Aufgabe angenommen, das Festival neu zu strukturieren.
Mit neuen inhaltlichen Schwerpunkten setzt Ilona Schmiel an den
von ihm geschaffenen Strukturen an. Bevor jedoch das Programm 2005
vorgestellt wird, ein paar Zahlen zur Illustration des Beethovenfestes
2005. Es ist eine gGmbh, eine gemeinnützige Gmbh. Gesellschafter
sind zu zwei Dritteln die Bundesstadt Bonn und zu einem Drittel
die Deutsche Welle. Der Gesamtetat für die 64 Veranstaltungen
an 25 Spielstätten sind 3,45 Millionen Euro. Etwa 37 Prozent
davon sind Erträge aus öffentlichen Zuwendungen (Stadt
Bonn, Rhein-Sieg-Kreis, Land Nordrhein-Westfalen). Die restlichen
Mittel werden durch die Gesellschaft eingeworben (Stiftungen, Sponsoren,
Eintrittskarten, Medienverwertung).
Die öffentlichen Gelder der Stadt Bonn sind gesichert, von
Einsparungen ist derzeit keine Rede, die Eintrittspreise mussten
nicht erhöht werden und die Sponsorengelder sind 2005 sogar
leicht gestiegen. Die Gagen steigen zwar nicht unbedingt, dennoch:
„Wir leiden nicht an der Krankheit, an der viele leiden“,
kann Ilona Schmiel mit Zufriedenheit konstatieren.
Beethoven und seine internationalen Beziehungen – das ist
die dramaturgische Klammer, die Ilona Schmiel seit der Übernahme
des Festivals von Willnauer 2004 gebraucht. Nach dem böhmisch-mährischen
Kulturraum („Bohemia“) folgt dieses Jahr der französische.
Schmiel stellte das diesjährige Programm unter das Motto „Liberté“,
den Schlachtruf der französischen Revolution. Die Konzertprogramme
vom 8. September bis 2. Oktober fokussieren besonders die Musik
aus der Zeit der Französischen Revolution, der Gegenwart Ludwig
van Beethovens. Heute teils vergessene, zur damaligen Zeit aber
hochgeachtete Komponisten wie François-Joseph Gossec oder
Etienne-Nicolas Méhul werden wiederentdeckt. Méhuls
Opéra comique „L’Irato oder der Hitzkopf“
wird zum ersten Mal seit 1804 wiederaufgeführt.
Das diesjährige Festival räumt auch der zeitgenössischen
französischen Musik einen wichtigen Platz ein. Für die
„Lange Quartettnacht“ wurden fünf Auftragswerke
an die Komponisten Christophe Bertrand, Joël-François
Durand, Thierry Escaich, Philippe Fénelon und Alexandros
Markeas vergeben. Uraufgeführt werden sie von überwiegend
französischen Streichquartetten, die im Bonner Kunstmuseum
in verschiedenen Ausstellungsräumen parallel konzertieren und
neben den Auftragswerken auch Quartettwerke Ludwig van Beethovens
sowie französischer Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts
spielen. Zum zur Tradition gewordenen Orchestercampus des Beethovenfestes
und der Deutschen Welle reist im Deutsch-Polnischen Jahr 05/06 das
Orchester der Musikakademie Krakow unter Wojciech Czepiel nach Bonn.
Der junge venezolanische Dirigent Gustavo Dudamel kehrt in diesem
Jahr mit der Jungen Philharmonie Venezuela nach Bonn zurück
und beginnt hier seine Deutschland-Tournee (23.9.). Das Orchester
ist die Spitze einer inzwischen ganz Südamerika überziehenden
Initiative, Kindern und Jugendlichen aus oft schwierigen Verhältnissen
durch gemeinsames Musizieren tradierte Werte neu zu vermitteln und
konkrete berufliche Perspektiven zu zeigen.