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nmz-archiv
nmz 2005/04 | Seite 45
54. Jahrgang | April
Bücher
Mit dem Schleier des Saloppen bemäntelt
Thomas Quasthoff durchstreift sein Leben, bezeugt vom Bruder
Thomas Quasthoff: Die Stimme. Autobiografie,
aufgezeichnet von Michael Quasthoff, Ullstein Verlag, Berlin 2004,
337 S., € 24,00, ISBN: 3-550-07590-1
Lieber Tommi, wir dürfen dich doch so nennen, oder? Immerhin
gibst du dir selbst gern diesen Namen. Allerhand, was du so hinter
dir hast. Auftritt bei Kerner, Auftritt in der NDR-Talkshow. War’s
nicht auch bei Beckmann? Nichts Ungewöhnliches, schließlich
hast du eine Autobiografie geschrieben – oder vielmehr schreiben
lassen. Doch du bist gottlob keines dieser TV-Sternchen oder ein
Ballermann-erprobter Schnulzen-Barde, sondern unangezweifelt einer
der Protagonisten des klassischen Faches. „Thomas Quasthoff.
Die Stimme“ lesen wir auf deinem gedruckten Leben. Dabei geholfen
hat Michael, dein Bruder. Dass alles in einer Kneipe anfing, glauben
wir Euch gerne: zwei Geschwister beim Bier, die plötzlich entdecken,
dass die Vita des einen eigentlich auch als Drehbuch für eine
Soap Opera herhalten könnte. „Conterganopfer, dem die
Musikhochschule das Studium verwehrt, singt sich aus dem Streckverband
zum Grammy hoch. […] schwere Kindheit, Kampf gegen die Krake
Bürokratie, Drama, Liebe, Wahnsinn. Am Ende Triumph in Amerika.“
Daraus ist eben der Stoff für die bunten Seiten. Nur gut, dass
dein Bruder Michael als Journalist all jene Qualitäten mitbringt,
derer es bedarf, um solch eine Geschichte anschaulich zu machen.
Natürlich ist es mehr als eine „Bruder-erzählt-dem-Bruder-sein-Leben-Konstellation“,
was euch verbindet. Wie sagtest du kürzlich dem Kollegen von
der „Welt“? „Michael ist für mich ein Freund,
Kritiker, Bruder, Vorbild, Reibungsfläche.“
In deinem Buch spiegelt sich das Leben, allumfassend und prall,
einschließlich aller Gefahren, Abgründe und Triumphe.
Aber mal ehrlich! Wessen Idee war es eigentlich, das Ganze teilweise
mit diesem Schleier von Saloppheit zu bemänteln? Sagen wir
ruhig: Flapsigkeiten. Keine Frage, wir glauben dir, dass du nach
Preisen und Auszeichnungen schon mal drei Bierchen und einen Schnaps
getrunken – und davon einen dicken Kopf bekommen hast. Aber
warum zum Teufel hast du dich so oft aufs Schmierenparkett onomatopoetischen
Leichtsinns begeben? „Brrroigh“, „zapp“
– wozu denn diese Jugendsprache?
Auf jeden Fall aber hast du uns eine Menge zu erzählen –
über Simon, über die Zigarren vom Hellmuth, über
Claudio und all die anderen. Das ist stellenweise packend. An diesen
Stellen hab’ ich dein Buch nicht aus der Hand gegeben. Auch
der Klatsch und Tratsch von euren Proben ist willkommen. So was
interessiert uns wirklich, zumal wir ja doch nie Mäuschen spielen
dürfen. Aber mal Hand aufs Herz: diese Ausflüge ins Banale
– wozu? Manchmal glaube ich, du versuchst uns doch was zu
verheimlichen. Dienen einige deiner geschilderten Episoden nicht
dazu, die Suche nach einer Form von Normalität zu kaschieren?
Soll das Saloppe, die Unverblümtheit, die freche Koketterie
nicht manchmal sensiblere Themen verschleiern? Im Booklet zu deiner
Bach-Kantaten-CD hast du über den Tod in wenigen Zeilen mehr
gesagt als hier auf 320 Seiten. Sei’s drum. Kannst ja immer
noch Band zwei nachlegen. Nun fällt mir auf, dass wir noch
gar nicht über deine Stimme gesprochen haben. Davon musst du
dann auch noch schreiben, versprochen? Als Sänger hast du ja
ohnehin jede Menge zu sagen. Neugierig auf alles, was deine Stimmbänder
noch bereithalten, grüßt Dich