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nmz-archiv
nmz 2005/04 | Seite 46
54. Jahrgang | April
Noten
Urgewaltig, urtextlich, urtechnisch
Neuerscheinungen für Violine bei Tonger, Bärenreiter,
Bosworth und Kunzelmann
M.G. Scholl: Ciaconna per violino, Tonger 2003,
2837-1 P.J.T.
Urgewaltig, diese Ciaconna. Auf dem Laufsteg entfacht ihr Erscheinen
Atemlosigkeit, betäubte Leidenschaft. Sie wiegt ihre Hüften
nicht tänzelnd, sondern eher mit kräftig wippendem Bogengang,
die Polyphonie suchend, sich verlegen im Kreise drehend, eine
thematische Transformation durch die vielfältigen Möglichkeiten
eines Streichinstrumentes, und in dieser visionär spröden
Endlosigkeit schüchtern den Bachschen Mantel festhaltend.
Obwohl in der dreiteiligen Form, Tonart, Gestus und Aufbau dem
geistigen Übervater angenähert, entgleitet ihr der barocke
Mantel doch verführerisch, darunter erscheint ein faszinierend
schräges Lagerfeld-Outfit, sozusagen eine Akkordkombination
aus hellgrüner und rotweiß-gestreifter Pippi-Langstrumpf-Socke
zum schwarzen Abendkleid. Scholl wurde 1964 geboren und kann bereits
auf zahlreiche Aufführungen und Rundfunksendungen seiner
Werke zurückblicken. Auch diese Ciaconna wurde vom WDR aufgenommen.
Also, lieber Karl Lagerfeld, hier mein Spezialtipp für die
Bühnenmusik zur Vorstellung ihrer nächsten Frühjahrskollektion.
J.S. Bach: Konzert in d-Moll für 2 Violinen,
Klavierauszug, eingerichtet und mit aufführungspraktischen
Hinweisen versehen von Andrew Manze, Bärenreiter 2003, BA 5188a
Früher, in meinen Studentenjahren, war mal Henle der Mercedes
unter den Urtextausgaben. Inzwischen hat Bärenreiter in der
Produktentwicklung rasant aufgeholt und darf nun für sich
beanspruchen, der BMW (Bärenreiter Mach Weiter) zu sein.
Im Jahre 2001 verlegte Bärenreiter einen neu gestochenen
Klavierauszug sowie die Solo-Stimmen zu Bachs d-moll-Doppelkonzert
nach der „Neuen Bach-Ausgabe“.
Die nun erschienene erweiterte Ausgabe bietet nicht nur die beiden
Solo-Violinstimmen mit dem Urtext der Neuen Bach-Ausgabe an, sondern
darüber hinaus zwei zusätzliche Stimmen, die von dem
herausragenden Geiger und renommierten Barockspezialisten Andrew
Manze mit Fingersätzen und Strichbezeichnungen eingerichtet
wurden.
Als BMW-Sonderlackierung enthält diese Ausgabe Hinweise
Manzes zur historischen Aufführungspraxis, die Fragen wie
Instrumenten-, Bogenhaltung und andere behandeln. Analystenbewertung:
Value-Investment, buy and hold, und am besten niemals wieder hergeben.
O. Sevcik: Violin Studies op.1/4, Bosworth 2000,
BOE 005049
Urtechnisch, ein Klassiker, sozusagen der Dinosaurier unter
den Technik-Studien. Die Originalausgabe erschien Anfang der 20er-Jahre,
trägt deutlich sichtbare Altersfalten im Gesicht, sowohl
im äußeren Erscheinungsbild des Notenstichs und Seitenlayouts
als auch in der Wortwahl.
Da half nur noch ein komplettes Lifting mit Macheten und Brandrodung:
hokus, pokus… wow, heraus kam eine attraktive Ausgabe mit
modernisierter Notenschrift, zeitgemäßem Layout, Fehlerbeseitigung
und sprachlich aktualisierten Übe-Anweisungen. Dino, Dein
Überleben ist gesichert!
T. Albinoni: Concerto II op. 2/4, Klavierauszug H. Bergmann, Edition
Kunzelmann 2002, GM 306a
Und welches Vivaldi-gesättigte Lehrerohr mal Hörabwechslung
braucht, der liegt bei Albinonis e-Moll-Violinkonzert genau richtig.
Das op. II trägt die Bezeichnung „sinfonie e concerti
a cinque“, damit hat man seit Vivaldi Konzerte für
Violine mit vierstimmigem Streichorchester (+ Bc.) bezeichnet.