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Ausgabe 2005/04
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nmz 2005/04 | Seite 25
54. Jahrgang | April
Verbandspolitik

Beständig nachwachsendes sachkundiges Stammpublikum

Ein Gespräch mit Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung (DOV)

Hauptaufgabe der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) ist es, vorrangig durch Abschluss von Tarifverträgen die wirtschaftlichen und sozialen Rahmen- und Arbeitsbedingungen für Musiker in Kulturorchestern und Rundfunkklangkörpern sowie für Rundfunkchorsänger zu sichern und zu verbessern. Die DOV versteht sich auch als Berufsverband, der sich um alle Belange des Berufsstandes kümmert. Ob es sich dabei um den Erhalt von Orchestern und Theatern in der Region, die Prävention spezifischer Berufserkrankungen oder um die Darstellung des Berufsstandes in der Öffentlichkeit handelt. nmz-Herausgeber Theo Geißler unterhielt sich mit Gerald Mertens, Geschäftsführer der DOV, über die heutigen Aufgaben des seit 1952 existierenden Berufsverbandes.

Gerald Mertens. Foto: Archiv

Gerald Mertens. Foto: Archiv

nmz: Außerordentlich kostengünstige und dabei bestens ausgebildete „Konkurrenz“ aus den EU-Beitrittsländern stellt gewachsene deutsche Tarifstrukturen im Orchesterbereich in Frage, schüttelt eine traditionsreiche Kulturlandschaft durch. Dazu kommt die bevorstehende Verabschiedung der EU-Dienstleistungsrichtlinie. Würde das Herkunftslandsprinzip das Territorialprinzip ersetzen, wäre doch auch der Tarifstandard der Orchestermusiker in Deutschland bedroht. Was wollen Sie tun?
Gerald Mertens: Der Tarifstandard in Deutschland ist zunächst wohl nicht unmittelbar bedroht, allerdings wären Wettbewerbsverzerrungen durch Lohndumping zu befürchten. Nach dem vorliegenden Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie könnte jemand auf die Idee kommen, zum Beispiel in Portugal ein „Unternehmen für Orchesterdienstleitungen“ zu errichten und dann nach portugiesischem Recht europaweit Musiker oder ganze Orchester zu geringen Löhnen und Sozialstandards zu engagieren und anzubieten. Das wäre das Aus für die gewachsene Musikkultur in Deutschland und anderswo. Erfreulich ist, dass inzwischen sowohl die Bundesregierung als auch Frankreich, durch Verbände und Gewerkschaften sensibilisiert, den Richtlinienentwurf eindeutig ablehnen.

nmz: Wie schätzen Sie den „Fall Volker Hartung und die französische Gewerkschaft“ ein? Ausnahme oder bald die Regel? Planen Sie ein ähnliches Vorgehen wie die französischen Gewerkschaftskollegen?
Mertens: Der Fall des Dirigenten Volker Hartung ist schon ein wenig außergewöhnlich. Als er zum ersten Mal im letzten Jahr in Nantes und Nizza Probleme mit den französischen Behörden wegen Verstoßes gegen die dortigen Gesetze bekam, dachte man noch, das wäre ein Einzelfall. Als er jetzt in Straßburg mit seiner „Jungen Philharmonie Köln“ auftrat und anschließend erneut in Polizeigewahrsam genommen wurde, stand fest, da steckt mehr dahinter. Die Vorschriften für Orchestertourneen mit ausländischen Musikern sind in Frankreich strenger als in Deutschland. Nach den letzten Aussagen von Herrn Hartung waren die Musiker seines zusammen- gewürfelten Orchesters diesmal überwiegend Studenten aus Deutschland, die auch mehr als 30 Euro pro Tag von ihm bekommen haben sollen. Das dürfte nun aber verschiedene Behörden auch in Deutschland interessieren, zum Beispiel die Künstlersozialkasse, die Bundesagentur für Arbeit, die Verwaltungsberufsgenossenschaft oder die Bundesversicherungsanstalt. Schließlich ermitteln Behörden in Deutschland auch von Amts wegen. Warten wir es ab.

Kulturauftrag

nmz: EU-Themen sind nicht die einzige Malaise, mit der die deutschen Kulturorchester zu kämpfen haben. Die Orchesterlandschaft wird auch im eigenen Land zerstört. Beispiele: Münchner Rundfunkorchester oder die SWR Klangkörper. Verzichtet der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf seinen Kulturauftrag?
Mertens: In der Tat hat die gegenwärtige Infragestellung einzelner Rundfunkensembles bislang unvorstellbare und extrem populistische Züge angenommen. Nachdem die Ministerpräsidentenkonferenz den Vorschlag zur Erhöhung der monatlichen Rundfunkgebühren der KEF von 1,09 Euro auf 88 Cent reduziert hatte, war dies für einzelne ARD-Intendanten der Vorwand, jetzt deutliche Einschnitte bei den eigenen Klangkörpern vorzunehmen. Botschaft eins: Wer im Funk Ensembles abbaut, beweist nach außen hin einen eisernen Einsparwillen. Botschaft zwei: Schuld daran sind die Ministerpräsidenten, die den ARD-Anstalten zu wenig Geld gewähren. Selten habe ich bei einzelnen Intendanten und Hörfunkdirektoren so viele Krokodilstränen fließen sehen. Tatsache ist: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verfügen ab April 2005 über mehr als sieben Milliarden Euro Gebührenaufkommen im Jahr. Die Kosten für das künstlerische Personal der vierzehn Rundfunkorchester, vier Big Bands und sieben Chöre betragen etwa 155 Millionen Euro, das sind gerade einmal 2,2 Prozent. Meine Meinung: Wer die Rundfunkensembles kaputt spart, will damit nur von anderen Baustellen wie Verwaltungsapparat, Onlinediensten und Sportrechten ablenken.

nmz: Die Erhaltung einer lebendigen Orchesterlandschaft fängt bei der Jugend an. Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer Initiative „tutti pro“?
Mertens: „tutti pro“ ist eine gemeinsame Initiative der DOV und von Jeunesses Musicales Deutschland, die unglaublich eingeschlagen hat. Das Interesse von Profiorchestern und Jugendorchestern zur Begründung einer formellen Orchesterpatenschaft ist überwältigend. Für die Mitglieder von Jugendorchestern sind professionelle Orchestermusiker der Berufsorchester motivierende Vorbilder. Die Partnerschaft mit einem Profiorchester erhöht die Attraktivität des jeweiligen Jugendorchesters und kann dessen Leistungsfähigkeit deutlich steigern.
Die Berufsorchester finden in Jugendorchestern begeisterungsfähige „Fans“ und ein beständig nachwachsendes sachkundiges Stammpublikum mit Zukunft. Orchestermusiker können in Kontakten zu einem Jugendorchester selbst interessante Aufgaben finden. Das Spektrum reicht von der Leitung von Stimmproben durch einzelne Berufsmusiker bis hin zu gemeinsamen Auftritten beider Orchester. Die erste Patenschaftsurkunde haben wir am 23. Dezember 2004 in Berlin der Deutschen Streicherphilharmonie und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin verliehen. Zwischen beiden Orchestern gab es schon eine längere erfolgreiche und vorbildliche Zusammenarbeit. Weitere Urkundenverleihungen stehen für 2005 an.

nmz: Gibt es noch weitere Kooperationen kulturpolitischer und pädagogischer Art?
Mertens: Gemeinsam mit dem Verband deutscher Schulmusiker (vds) und dem Arbeitskreis für Schulmusik (AfS) haben wir das „Netzwerk Orchester & Schulen“ ins Leben gerufen. Hier stellen wir Kontakte zwischen Schulen, Musiklehrern und Orchestern her. Bundesweit sind im Netzwerk rund 250 Ansprechpartner der Lehrerverbände, der Schulen und aller Ensembles, also Konzert- und Theaterpädagogen, aber auch Orchestermusiker, eingebunden. Als besonders begehrt und erfolgreich erweisen sich dabei Fortbildungsseminare für Orchestermusiker, die in Schulklassen gehen. Für diese Weiterbildungsangebote – auch im Bereich Orchestermanagement und -marketing – kooperieren wir eng mit der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel. Allen sonstigen schlechten Nachrichten zum Trotz: Im Bereich von Education und Musikvermittlung erleben wir eine echte Aufbruchstimmung.

nmz: Was ist unter dem Hermann-Voss-Kulturpreis und dem geplanten „Junge Ohren Preis“ zu verstehen?
Mertens: Der renommierte Hermann-Voss-Kulturpreis wird von der DOV alle drei Jahre verliehen und ist mit 5.000 Euro dotiert. Bisherige Preisträger waren beispielsweise der seinerzeitige Gewandhauskapellmeister Kurt Masur oder WDR-Intendant Fritz Pleitgen. Die DOV würdigt mit der Preisverleihung Persönlichkeiten, die sich mit ihrem Handeln um den Erhalt und die Entwicklung der deutschen Orchester- und Rundfunkchorkultur verdient gemacht haben. Die nächste Preisverleihung steht im Rahmen der Deutschen Orchesterkonferenz am 16. Mai 2006 in Bochum an. Mit dem neuen „Junge Ohren Preis“ wollen DOV und Jeunesses Musicales ab der kommenden Spielzeit bundesweit innovative und vorbildliche Kinder- und Jugendkonzertprojekte prämieren. Wir hoffen, dass dies der Musikvermittlungsbewegung in Deutschland noch weiteren Schwung verleiht und dass der Preis bald so begehrt sein wird, wie der des Deutschen Musikverlegerverbandes zum besten Konzertprogramm.

Netzwerk junge Ohren

nmz: Die Jeunesses Musicales hat in Kooperation mit der Deutschen Orchestervereinigung und dem Deutschen Musikrat eine Bedarfsanalyse „Netzwerk Junge Ohren“ erstellt. Welche Konsequenzen könnte/sollte diese Untersuchung haben?
Mertens: Die Untersuchung dokumentiert sehr detailliert, dass es in Deutschland noch einen erheblichen Nachholbedarf im Bereich der Kinder-, Jugend- und Schularbeit der Musiktheater und Orchester gibt. Sie belegt auch, wo konkret angesetzt werden muss, um Information und Kommunikation für Musikvermittlung und Education zu verdichten und zu verbessern. Ich gehe davon aus, dass es uns gelingen wird, mit weiteren Partnern die Netzwerkstelle noch im Jahr 2005 zu errichten.

nmz: Thema Hochschulausbildung der Orchestermusiker: Wird nicht am Markt vorbei ausgebildet? Versagt die Hochschule? Und wenn ja, warum? Welche Wünsche haben Sie an die deutschen Hochschulen? Wird mit Bologna alles anders?
Mertens: Durch den Bologna-Prozess, also die Einführung europaweit kompatibler Bachelor- und Masterstudiengänge und -abschlüsse, dürfte sich auch in den deutschen Musikhochschulen einiges ändern. Was sich nicht ändert, ist die Berufungspraxis der Hochschulen: Viele verpflichten immer noch große Instrumentalsolisten mit wohlklingenden und schmückenden Namen – gerade im Bereich der hohen Streicher. Das ist gut für das Renommee der Hochschule. Diese Lehrer, oft ohne eigene Orchestererfahrung, bilden wiederum ihre Studenten überwiegend als Solisten, aber nicht für das Orchesterspiel aus. Auch findet eine echte Evaluation, das heißt eine Überprüfung, wie viele Musikstudenten eines Lehrers anschließend auch wirklich einen Job finden, für den sie studiert haben, nicht statt. Es ist aber auch vieles in Bewegung geraten: Einige Hochschulen, längst noch nicht alle, kooperieren mit örtlichen Berufsorchestern; das neue „Orchesterzentrum Nordrhein-Westfalen“ in Dortmund bildet als Gemeinschaftseinrichtung der NRW-Musikhochschulen zukünftig ganz gezielt für das Orchester aus.

nmz: Die DOV hat für die ausübenden Künstler Leistungsschutzrechte erkämpft. Damit werden den Interpreten ähnliche Rechte zuerkannt wie den Urhebern. Für die Nutzung dieser Rechte hat die DOV zusammen mit dem Verband der Schallplattenindustrie im Jahr 1959 die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) gegründet. Was sind die aktuellen Aufgaben – oder auch Bedrohungen – für die GVL?
Mertens: Die GVL beteiligt sich entschieden an Maßnahmen gegen Tonträgerpiraterie und illegale Online-Nutzungen. Sie versucht unter anderem die berechtigten Ansprüche von ausübenden Künstlern, die durch Nutzung ihrer Aufnahmen entstehen, effizient geltend zu machen, zum Beispiel auch im Bereich der Internetradios. Aufmerksam verfolgen wir die Pläne der EU, die in ihrer Harmonisierungswut auch die Arbeit der nationalen Verwertungsgesellschaften beeinträchtigen könnte.

nmz: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der DOV?
Mertens: Ich wünsche mir eine noch stärkere Vernetzung mit anderen Kulturpartnern und dadurch auch eine größere öffentliche Wahrnehmung unserer Anstrengungen für den Erhalt der deutschen Orchester- und Musikkultur.

 

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