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nmz-archiv
nmz 2005/04 | Seite 34
54. Jahrgang | April
ver.die
Fachgruppe Musik
Arbeitsrecht aktuell
Seminar in Stuttgart völlig ausgebucht
Mehr als 50 Musikschulehrerinnen und Musikschullehrer aus ganz
Baden-Württemberg drängten sich ratsuchend am Montag im
Landesbezirk der ver.di in einem Seminar zum Thema „Musikschulen
– vom BAT zur freien Mitarbeit?“. Gleich drei Juristen
der Gewerkschaft antworteten auf Fallkonstellationen, zu Fragen
des individuellen Arbeitsrechts und zu Strategien der betrieblichen
Interessenvertretung: Hermann Burr von der Landesrechtsstelle, Helmut
Platow, Bereichsleiter Recht beim ver.di Bundesvorstand und Wolfgang
Schimmel, ebenfalls Spezialist für Arbeits- und Urheberrecht.
Alarmiert wurden die Teilnehmer durch die Pläne, fest an gestellte
Musikschulkräfte im Süden des Bundeslandes zu kündigen,
um sie – nach der Umwandlung von Trägerschaften –
zu wesentlich schlechteren Bedingungen wieder einzustellen, meist
also Honorarkräfte mit Zeitverträgen. Die Kommunen wollen
auf diesem juristisch zweifelhaften Weg Kosten sparen: In Trossingen
verloren so gut 40 Festangestellte ihren sicheren Status, in Villingen-Schwenningen
sind 56 Lehrerinnen und Lehrer sowie 1.500 Schüler von der
Schließung der Musikschule bedroht, während beispielsweise
in Freiburg nach drastischen Etatkürzungen die Unterrichtsgebühren
so erhöht wurden, dass die Schüler ausbleiben. Helmut
Platow und Wolfgang Schimmel erkennen in diesen Verfahren arbeitsrechtliche
Tricks, die an einem Chemnitzer Urteil geschult sind: Mit diesem
Urteil hatten Musikschulkräfte, unterstützt durch Platow,
ein Abdrängen in die Scheinselbstständigkeit verhindern
können. Schimmel, der in Trossingen und Villingen-Schwenningen
den Musikschullehrern zur Seite steht, meint: „Inzwischen
ziehen die Arbeitgeber jeden für sie verlorenen Prozess als
Checkliste heran.“
Neben den vielen einzelnen Fragen zu ihren individuellen Rechten
und zum Schutz ihrer Arbeitsverhältnisse ging es den Seminarteilnehmer
denn auch um den generellen Stellenwert musisch-kultureller Bildung,
die sie ausgerechnet in dem ehemaligen „Musterland“
von „Jugend musiziert“ preisgegeben sehen. „Diese
Fragen müssen uns und die Eltern mobil machen“, forderte
ein Teilnehmer in der Diskussion. Schimmel sekundierte: „Wir
können nicht als Gewerkschaft durchs Land laufen und den kulturpolitischen
Kahlschlag bekämpfen, wenn die Betroffenen den Sparmaßnahmen
zustimmen.“ Der Appell blieb nicht ungehört.
Erörtert und intensiv diskutiert wurde Fragen der betrieblichen
Interessenvertretung, des Kündigungsschutzrechts und –
falls es dazu kommt – der oft problematischen rechtlichen
und sozialen Absicherung „freier Mitarbeiter“. Das grundsätzliche
Problem für alle beteiligten Personalräte ist, wie Burr
erklärte, dass politische Entscheidungen des demokratisch legitimierten
Gremiums – etwa des Gemeinderats, eine kommunale Musikschule
zu schließen – nicht angreifbar sind. Lediglich die
Folgen für die Betroffenen lassen sich durch Interessenausgleich
und Sozialpläne abfedern. Allerdings sollte man nicht unbedingt
abwarten, bis solche Entscheidungen fallen. Es ist den Beschäftigten
eine Musikschule nicht verboten, auf die Gremienmitglieder zuzugehen
oder die Öffentlichkeit zu informieren.
Außerdem kann sich ein öffentlicher Arbeitgeber nicht
einfach durch Gremienbeschluss seiner vertraglichen Pflichten aus
den Arbeitsverhältnissen entheben. Deshalb wird zumeist versucht,
eine Aufhebung oder Umwandlung der Verträge per „Änderungsvertrag“
durchzusetzen – manchmal mit dem Hinweis, dass eben fliegt,
wer nicht unterschreibt. Ein Hinweis von Platow dürfte den
Teilnehmerinnen und Teilnehmern wohl in Erinnerung bleiben: „Wenn
der Änderungs- oder Aufhebungsvertrag erst unterschrieben ist,
lässt sich auf dem Rechtsweg meistens nichts mehr machen.“
Dagegen bleibt im Falle einer Kündigung, auch einer Änderungskündigung
immer noch der Weg zum u u Arbeitsgericht. Mit unterschiedlichen
Chancen zwar, weil es – so Platow – immer auf den Einzelfall
ankommt, aber immerhin mit Chancen. Sicher werden die Tricks, mit
denen angestellte Musiklehrer zu angeblich „freien“
Mitarbeitern umgespritzt werden sollen, immer raffinierter, weil
man eben aus verlorenen Prozessen lernt. Perfekt kann ein solcher
„Etikettenschwindel“, wie Schimmel das nannte, aber
nie werden: Letztlich wird man Lehrer brauchen, die nach Stundenplan
arbeiten, an Konferenzen teilnehmen und sich obendrein um Schulorchester
und -konzerte kümmern. Und deshalb wird es sich zumeist um
Arbeitsverhältnisse handeln und nicht um selbstständige
Arbeit wie bei einem Handwerker, der pünktlich – oder
auch nicht – kommt, um ein verstopftes Rohr zu reinigen und
anschließend dafür eine Rechnung nebst Anfahrt und Kleinmaterial
schreibt.