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nmz-archiv
nmz 2006/03 | Seite 33
55. Jahrgang | März
Arbeitskreis
Musik in der Jugend
Die Stimme – von der Ruf-Terz zum Kongress
Singen und Singen lernen: Viele können es, viele wollen
es und einige lernen es auch
Wir wissen: Die Stimme als ureigenstes Instrument des Menschen
geht durch alle Kulturen, durch alle Lebensbereiche und letztlich
auch durch alle Kommunikationswege, trotz lautloser SMS und Internet.
Sie ist so uralt wie der Mensch selbst und begleitet uns ein Leben
lang. „Von der Wiege bis zur Bahre – CANTARE!“
so der Titel eines Kongresses der Gesangspädagogen.
Wiege: Mit dem Schreien und Lallen beginnt die Stimme. Mit der
Ruf-Terz : „Mama“, „huhuuu“, „Hallo“,
„Komm mal!“ geht es weiter. Wenn das Kind Glück
hat, wird es die ersten Lieder von Mutter, Vater, Oma oder Opa hören
– heute eher selten. Wenn es noch mehr Glück hat, einige
Lieder im Kindergarten und in den ersten Schuljahren – ebenso
selten. In der Pubertät und im Stimmwechsel sieht die Sache
schon anders aus: Discobesuche und Ähnliches verlegen sich
mehr auf bizarre Bewegungsabläufe als auf stimmliche Äußerung.
Wenn dann im jungen Erwachsenenalltag durch eine glückhafte
Begegnung ein Chor gefunden wird, steht der Möglichkeit, seine
Stimme wachsen zu lassen, wenig im Wege.
Dieser schönen und wichtigen Sache nimmt sich der AMJ in
seiner speziellen Art und Weise der Kursarbeit seit 1947 an: Damals,
als es noch Familien mit mehr als 0,7 Kindern gab, wurde sicherlich
mehr gesungen, obwohl der Zweite Weltkrieg uns – nicht nur
– eine gebrochene Sing-Tradition hinterlassen hat. Es gab
sie tatsächlich noch, die Familien, die unter dem Apfelbaum
saßen und einfach sangen – wie auf einem blau-gelben
bunten Sommerbild von Carl Larsson.
Was ist draus geworden?
Vom Apfelbaum zur Disco? Vom Familiensingen zum einzelnen Menschen
mit „ohrgestöpseltem“ MP3-Player? Von der Cantilene
zum Rap? Vom Volkslied „Kein Feuer, keine Kohle...“
zu „I will survive“? Ein weiter Bogen! Ein heute 60-Jähriger,
der „unter dem Apfelbaum“ begonnen hat, könnte
in jeder Altersstufe die Angebote des AMJ in seiner Vielfalt erleben,
ausprobieren und lernen.
Ich blättere heute den AMJ-Katalog für 2006 durch und
entdecke wirklich für jeden etwas, das sich lohnt: Da gibt
es für Menschen von 2 bis 88 Jahren Familienmusikwochen; da
können Kinder singen durch alle Jahreszeiten; Lieder, die bewegen
oder nicht sterben dürfen, werden angeboten; da wird die Frage
gestellt, warum Opa denn so tief singen kann; und singen wie die
Italiener wollten wir doch immer schon mal lernen. Beim Singen,
Spielen und Tanzen kommen alle Altersgruppen genauso zusammen wie
Jugendkammerchöre auf Usedom oder beim Eurotreff; Chorleiter,
die mal wieder was für die Stimme und das Dirigieren tun wollen
oder sich entweder für die Kodaly-Methode oder für die
Begegnung „classic meets jazz“ interessieren –
nur einige Beispiele aus der Fülle der Angebote. Nicht zu vergessen
schließlich die vielen Angebote an Erzieher/-innen und Lehrer/-innen,
die ja leider zum Großteil in ihrer Ausbildung nicht mehr
gelernt haben, wie man mit Kindern musiziert. Beim AMJ können
sie es erfahren von „Hilfe ich soll dirigieren“ bis
„Move and Groove im Schul- und Jugendchor“.
So könnte der 60-jährige Mensch erzählen, dass
der AMJ sein ganzes Leben hindurch seine Stimme begleitet, gefördert
– vielleicht auch geschult hat. Er würde erzählen,
dass all diese Kurse und Angebote im außerschulischen Bereich
stattgefunden haben („Klar, macht ja auch mehr Spaß,
wenn nicht Schule und Zensuren dahinterstecken!“), dass er
viele Freunde gefunden und dass Wochenenden mit dem Abschiedsgruß:
„Bis zum nächstes Mal!“ einen festen Bestandteil
im Leben eingenommen haben.
Und nun auch noch ein wissenschaftlicher Kongress in Leipzig,
der sich schon zum dritten Mal der Kinder- und Jugendstimme verschreibt
– dieses Jahr über die Stimme im Umfeld des Singenlernens.
Wird der 60-Jährige, der an das Singen unterm Apfelbaum denkt,
sich wundern, dass man so etwas richtig lernen und wissen muss?
Geht doch auch einfach so – das Singen! Natürlich tut
es das, schade wär’s, wenn diese Leichtigkeit verloren
ginge, ohne sie läuft ohnehin nichts in der Stimmgebung. Dass
aber gerade das Singen eine wissenschaftliche „Aufwertung“
erfährt, macht die Sache rund! Wenn der Apfelbaum-Sänger
weiß und nicht nur irgendwie fühlt, wie stimmliche Zusammenhänge
und Funktionen miteinander verbunden sind – im Kongress wird
es heißen: lernpsychologische und neurobiologische Aspekte
– kann die Sache des Singens und Singenlernens durch Tun und
Wissen eine der schönsten Nebensachen der Welt sein!