nmz 2006/03 | Seite 2
55. Jahrgang | März
Personalia
Personalia
Die neue musikzeitung hat ihre interaktiven Tätigkeiten ausgeweitet.
Mit dem Kulturinformationszentrum
stellen wir die engagierte Diskussion in das Zentrum der Aktivitäten
im Netz. An dieser Stelle können Fragen gestellt, Informationen
verbreitet und die Arbeiten anderer kultureller Initiativen zur
Darstellung gebracht werden.
Aktiver Botschafter
Unter den Praetorius-Preisträgern, als „aktive Botschafter
des Musiklandes Niedersachsen“ vom Niedersächsischen
Ministerpräsidenten kürzlich ausgezeichnet, befindet sich,
tituliert als „Ehrenamtlich Engagierter“, auch Eberhard
Schmidt, Ehrenpräsident des Landesmusikrates. Neben fast 30
Jahren Schulmusikerdienst in Iburg und Hannover, galt sein Einsatz
der Förderung junger Musiktalente. So setzte er sich bei der
Jeunesses Musicales Deutschland und durch seine Mitgestaltung der
Wettbewerbe „Jugend musiziert“ vor allem für das
kammermusikalische Ensemblespiel junger Instrumentalisten ein. Viele
Jahre war er Leiter des Hannover-Chores.
Foto:
Hildegard Ginzler
Sozialistischer Realismus und Jenaer Romantik
Zum Tode des Komponisten Tilo Medek · Von Volker Tarnow Er besaß die seltene Gabe, Menschen für sich
zu gewinnen – durch seinen Charme und seinen Witz, vor allem
aber durch seine Musik. Doch während ihn Ausübende wie
Zuhörer liebten, verhielt sich die Kritik meistens reserviert.
Der 1940 in Jena geborene und im Zuge der Biermann-Ausbürgerung
1977 in den Westen übergesiedelte Komponist folgte einer ästhetischen
Tradition, die ihn gleich zweifach verdächtig machte: Er schrieb
in einem harmonisch-melodischen Stil, und er bekannte sich zu jenen
Einflüssen, die ihn in der DDR geprägt hatten, in erster
Linie also zu Hanns Eisler, aber auch zu Dmitri Schostakowitsch,
dem er noch 1975 in Moskau seine Verehrung persönlich bekunden
konnte – 14 Tage vor Schostakowitschs Tod. Obwohl Medek gelegentlich
große Erfolge feierte, Werke wie „Die betrunkene Sonne“
oder die Rilke-Kantate „Gethsemane“ fast Klassiker sind,
errang er im Musikleben nicht die ihm gebührende Stellung.
Die Verleger behandelten ihn schofelig, so dass er 1982 seinen eigenen
Hausverlag „Edition Tilo Medek“ gründete. Nur mutige
Solisten – Saschko Gawrilow etwa, Gerhard Oppitz, Siegfried
Palm – bekannten sich zu ihm; in der Regel zog man es vor,
sich nicht mit dem westdeutschen Establishment anzulegen.
Tilo Medek verkörperte auch biografisch einen deutschen Sonderfall.
Als Außenseiter schien er dazu geboren, überall anzuecken.
Er begegnete 1962 Hanns Eisler, konnte aber nicht mehr Schüler
des kaltgestellten, innerlich mit dem SED-Regime überworfenen
Altmeisters werden (1998 erwies er ihm eine späte Referenz,
indem er Eislers 3. Symphonie vollendete und vom Gewandhausorchester
Leipzig aufführen ließ). Medek wurde Mitte der 60er-Jahre
Meisterschüler von Rudolf Wagner-Régeny, machte durch
Werke und Preise auf sich aufmerksam, geriet aber schon bald mit
der Staatsmacht in Konflikt. Seine Vertonung von Celans „Todesfuge“
galt als unschicklich, noch weniger verzieh man ihm, dass er ausgerechnet
zum Prager Frühling 1968 mit Lenins „Dekret über
den Frieden“ hervorgetreten war. Dennoch schmückte sich
die DDR mit ihm und ließ ihn sogar an den West-Berliner Festwochen
teilnehmen.
Nach der Übersiedlung zog es Tilo Medek und seine Frau Dorothea,
die ihm viele Libretti lieferte, an den Rhein. Zuletzt bewohnte
er eine Villa bei Remagen mit stolzem Blick über den Strom.
Dieses Schwärmertum kontrastierte eine höchst kritische
Einstellung gegenüber der kapitalistischen Welt. Er lernte
Heinrich Böll kennen, schrieb mit dessen Segen die Oper „Die
verlorene Ehre der Katharina Blum“. Der Kontrast von Sentiment
und Schärfe kennzeichnet auch Medeks Stil. Er gibt sich holzschnittartig-schroff,
verströmt sich aber genauso gern in einer Zärtlichkeit,
wie sie kein zweiter deutscher Komponist nach 1945 zu formulieren
wagte. Sozialistischer Realismus plus Jenaer Romantik – er
sah keinen Grund, seine Wurzeln zu verleugnen.
Tilo Medek starb am 3. Februar 2006 in Duderstadt an einer zu spät
erkannten Krebserkrankung. Wenige Wochen zuvor hatte er die Hoffnung
geäußert, dass von ihm vielleicht drei oder vier Werke
überleben würden. Kandidaten dafür sind die „Eisenblätter“
für Orchester mit Orgel, einige Chor- und Orgelstücke
und nicht zuletzt einige der 14 Solokonzerte, allen voran das 1978
von Siegfried Palm in Berlin uraufgeführte, vom Publikum frenetisch
gefeierte 1. Cellokonzert. Eindringlich und berührend kündet
es von diesem Mann, der seinem individuellen Gesetz folgte und nicht
den bleiernen Dogmen unserer Zeit.
Ein Komponist nach eigenen Regeln
Zum siebzigsten Geburtstag von Aribert Reimann
Foto:
Charlotte Oswald
Aribert Reimann experimentierte zwar in frühen Jahren mit
seriellen Schreibweisen, kam dann aber rasch zur Einsicht, dass
er einen eigenen, ihm gemäßen Weg einschlagen müsse,
um seinem Denken und Empfinden einen entsprechenden musikalischen
Ausdruck zu verleihen. Die Einsicht in die eigene Individualität,
von seinem Lehrer Boris Blacher befördert, ließ im Lauf
der Jahre und Jahrzehnte ein Werk von hoher Eigenständigkeit
und organischer Geschlossenheit entstehen. Die menschliche Stimme
wurde für den Komponisten zum Mittelpunkt seines Schaffens.
Lied und Oper beherrschen seinen Werkkatalog. Sieben Liederzyklen
für Stimme und Klavier, acht mit Orchesterbegleitung und sieben
Opern beweisen das. Großdimensionierten Bühnenwerken
wie „Lear“ oder „Troades“ steht eine kammermusikalisch
entworfene Oper wie die „Gespenstersonate“ gegenüber.
Reimann hat Kafkas „Schloss“ und Yvan Golls „Melusine“
auf eindrucksvolle Weise in Opern verwandelt und damit das oft gern
als antiquiert klassifizierte Genre der Literaturoper als eine bestimmte
Form von Opernkomponieren legitimiert. Wer Aribert Reimann als Liedbegleiter
großer Sänger und Sängerinnen erleben durfte, weiß,
dass große Liedgestaltung erst aus dem ebenbürtigen Zusammenwachsen
von Spieler und Sänger entsteht. Die Namensliste der Dichter,
die Reimann vertonte, gleicht einem Gotha der Weltliteratur: Shakespeare
und Michelangelo, die deutschen Romantiker Hölderlin, Günderrode
und Eichendorff, dann auch Rilke, viele anglo-amerikanische Autoren
von Keats und Shelley bis zu James Joyce, der wunderbare „Zyklus“
nach Celan – den Reimann besonders schätzte – es
ist gleichsam ein großes Welttheater in Liedform, das der
Komponist in fast fünfzig Jahren geschaffen hat. gr. Foto:
Charlotte Oswald