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nmz-archiv
nmz 2006/03 | Seite 38
55. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Denken Sie an die Musik und nicht ans Dirigieren
Die IV. Dirigenten-Werkstatt „Interaktion“ an der
Berliner Hochschule „Hanns Eisler“
Dirigieren lernt man in der Praxis, vor dem Orchester, Probieren
geht über Studieren, so fundamental und wichtig natürlich
die alles umfassende Kenntnis der Partitur ist. Wer in der Musik,
wie sie gedruckt ist, Bescheid weiß, aber nicht mit dem Orchester
umzugehen, die Musiker nicht für die eigene Werkauffassung
einzunehmen vermag und zwar von Beginn der ersten Probe an, hat
schon verloren. Deshalb ist es für junge Dirigenten so wichtig,
sich frühzeitig in der Konfrontation – besser: in der
Arbeit mit dem Ensemble – zu erproben. Diese Chance bietet
die Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin
mit der jährlich durchgeführten Dirigenten-Werkstatt „Interaktion“
auf besondere Weise.
Die Idee für diesen ungewöhnlichen Meisterkurs lieferte
Klaus Harnisch, der jetzt auch bereits zum vierten Mal für
die organisatorische Umsetzung unter dem Dach der HfM sorgte, mit
voller Unterstützung ihres Rektors, Christhard Gössling,
und im Zusammenwirken mit Christian Ehwald als Dirigentischem Mentor.
Das Konzept besagt: „Junge Dirigent/-inn/-en führen das
‚Kritische Orchester‘ – das ‚Kritische Orchester‘
führt junge Dirigent/-inn/-en… in der gemeinsamen Gestaltung
des Ereignisses Musik“. In diesem Kritischen Orchester aber
finden sich Musikerinnen und Musiker aus vielen klangvollen Ensembles,
darunter alle großen Berliner Orchester und die Sächsische
Staatskapelle Dresden, dazu erfahrene Hochschuldozenten zusammen,
freiwillig und ehrenamtlich für mehrere oder alle fünf
dreistündigen Proben, bei einem stilistisch breit gefächerten
Repertoire, das dieses Mal von Mozart über Strawinsky, Debussy
und Johann Strauß zu Bruckners Vierter führte und auch
Solokonzerte von Tschaikowsky und Dvorák enthielt.
Da rotierten – eine einmalige, geradezu historische Konstellation
– bei den ersten Violinen mit höchstens acht Spielern
nicht weniger als sechs Erste Konzertmeister, unter ihnen ein aktiver
und ein pensionierter der Berliner Philharmoniker, mit gleicher
Verve auch am letzten Pult und, wie die meisten in diesem Ausnahmeorchester,
immer in dem Bemühen, den Nachwuchskapellmeistern zu vermitteln,
worauf es in deren Funktion vor allem ankommt. Deutliche, genaue
Zeichengebung wird dabei selbstverständlich vorausgesetzt;
wichtig ist jedoch vor allem, die musikalische Absicht auch im Detail
zu suggerieren. Immer wieder wird, aus allen Orchestergruppen, eingefordert,
mit rechter wie linker Hand – nur nicht ständig gleichlaufend,
– aber auch durch Mimik, Körperhaltung und Blickkontakt
die Zielrichtung, Struktur und Innenspannung des Klanggeschehens
zu vermitteln. „Sie denken zu viel ans Dirigieren; denken
Sie mehr an die Musik“, lautet die Aufforderung, oder „Sie
müssen nicht ständig rauf- und runterschlagen, aber an
einigen entscheidenden Stellen brauchen wir Impulse von Ihnen“,
und aus der Cellogruppe rechts außen: „Nichts gegen
Ihr Profil, aber Sie sollten sich auch einmal den tiefen Streichern
zuwenden, wenn wir das Geschehen bestimmen.“
Aus 50 Bewerbungen hatte eine Jury anhand eingesandter Video-Aufnahmen
zunächst acht Kandidaten ermittelt, die zum Auswahldirigieren
– dieses Mal mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt/Oder
– eingeladen wurden.
Die so ermittelten vier aktiven Teilnehmer der dreitägigen
Werkstatt im Alter zwischen 27 und 33, darunter drei noch im Studium,
vermochten sämtlich erkennbar von diesem Intensivkurs zu profitieren,
zeigten allerdings auch noch bedenkliche Schwächen, etwa durch
ständiges, Unruhe signalisierendes Vor- und Zurücktreten
oder eine stereotype Wegwischbewegung des linken Arms, wo eigentlich
Betonung und Intensität gemeint waren. Wer von ihnen sich auf
dem Wege zu einer wirklichen Dirigentenkarriere befindet, steht
dahin; als Ergänzung zum Studium und als Orientierungsmarke
im Prozess der Qualifikation für diesen vielfältig anspruchsvollen
künstlerischen Beruf ist eine solche Werkstatt von hohem Wert,
nicht nur für die zur aktiven Teilnahme Auserwählten.
Da verwunderte es, dass sich nicht sehr viel mehr Kapellmeister-Aspiranten
unter den Beobachtern dieses öffentlichen Workshops fanden.
Etwas Besseres dürfte es kaum geben.