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nmz-archiv
nmz 2006/03 | Seite 37
55. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Pfade und Gestrüpp
Stuttgarter Festival für Neue Musik „Eclat“
Man geht nicht ganz leichten Zeiten entgegen. Der Prolog zum Programmbuch
gab eine Beschwichtigung aus, die die Schlussworte des Festivalleiters
Hans-Peter Jahn wieder revidierten. Der geringere Umfang des diesjährigen
Eclat-Festivals sei der Gewichtsverlagerung auf das im Frühsommer
ebenfalls in Stuttgart stattfindende Fest der Internationalen Gesellschaft
für Neue Musik geschuldet. Das mag man einsehen. Doch zum Abschied
bekam man mit auf den Weg, dass der SWR-Intendant Peter Voß
die Gelder für Uraufführungsverträge in Bezug auf
Eclat fortan gestrichen hat. So einfach geht das! Schulterzucken,
das Bekunden, dass es einem selbst leid täte, es aber angesichts
der angespannten Finanzlage nicht anders… Man will es schon
gar nicht mehr hören.
Dass hier an der Spitze des gegenwärtigen musikalischen Bewusstseins
gearbeitet wird und nicht etwa ein paar verschrobene Krachmacher
öffentlich-rechtliche Gelder verprassen, steht nicht zur Debatte.
Die Klöster des Mittelalters waren da generöser, aber
dieser Zeit sind wir ja entkommen, wie wir im Karikaturen-Streit
immer wieder erfahren.
Melancholische
Versammlung mit Musikern und Stühlen: Szene aus Wolfgang
Floreys Dürer-Musiktheater „Melencolia“.
Foto: Charlotte Oswald
Freilich: Eclat wurde in diesem Jahr seinem Titel nur bedingt gerecht.
Das Anstößige oder auch geistig Anstoßende, das
sich das Festival per Namensgebung selbst verordnete, mochte sich
nicht so recht einstellen. Zum 49. Male wurde hier der Kompositionspreis
der Stadt Stuttgart vergeben. Das ist eigentlich eine ehrenwerte
Sache, aber irgendwie ist dieses Verfahren aus der Zeit gefallen.
Jahn hielt eine zwielichtig schillernde Rede über die Entscheidungsfindungen
in Jurys. Wirklich ist es so, dass man sich im ästhetisch spektral
besetzten Gremium wohl nie auf radikale Ansätze einigen kann,
auf die also, die allein das Fortkommen der Kunst befruchten. Die
Mitte, nach Schönberg der einzige Weg, der in der Kunst nicht
zum Ziel führt, hat Konjunktur und das bestätigte sich
denn auch in Johannes Boris Borowskis „Ein Gleiches“
und im Streichquartett (Kairos Quartett) von Stefan Keller. Es scheint,
als würden Wettbewerbe mutlos machen und entindividualisieren,
als würden sie Handwerk einfordern, wo es der Kunst gälte.
Zwei klanglich spannend konzentrierte Kompositionen des Spaniers
Alberto Hortigüela und des Chinesen Shi-Rui Zhu wiesen zumindest
bedingt nach, dass die Schärfe des Blicks im orchestralen Metier
nicht unbedingt verstellt sein muss.
Das war irgendwie Alltag der Moderne, es war kein Flop. Der aber
stellte sich traurigerweise dann auch noch ein. Und zwar mit dem
Hauptwerk des Festivals, das von ihm auch charakterlich grundiert
werden sollte. Es war der musiktheatralische Essay über Dürers
„Melencolia I“ mit dem Titel WAHR.HAFT.ICH von Wolfgang
Florey (Jahrgang 1945). Man möchte gewiss nicht einem mutigen,
provokanten Ansatz in die Parade fahren. Doch davon fand sich nichts.
Florey hatte auf der Basis von Dürers so enigmatischem Kupferstich,
der schon Legionen an Deutern herausforderte, Texte zusammengestellt:
von Hesiod, Hölderlin, Dürer und von geistig erkrankten
Euthanasie-Opfern im Nazi-Vernichtungslager Hadamar. Man mag schon
stark zweifeln, ob sich der Begriff der Melancholie angesichts dieser
Menschenverachtung überhaupt noch auf vergleichbarer Ebene
bewegt. Aber wenn schon, dann hätte die Musik hier maßgeblich
einzugreifen. Die Konzeption der Textcollage, will sie nicht zur
Lesung verkommen, wäre nur musikalisch zusammenzubinden. Florey,
er mag schon ein paar griffige Theatermusiken geschrieben haben,
vermochte das nicht. Es waren kläglich uninspirierte klangliche
Einwürfe, trivial, aber ohne den Stachel einer kühnen
Trivialität zu setzen. So wurde alles, die hausbackene Inszenierung
(auch Florey) auf dem Niveau eines Schüler-Lehrstücks,
das erzwungene Pathos, die schiefen Assoziations-Bilder nur zerdehnt
und peinlich. Die Brisanz des Sujets hätte der Brisanz künstlerischer
Umsetzung bedurft. Das ist fraglos ein schmaler Grat. Von dessen
Höhe und Gefährlichkeit war nicht einmal zu ahnen.
So blieben als Entschädigung zwei interpretatorisch auf höchstem
Niveau stehende Konzerte (das französische Ensemble Intercontemporain,
die Neuen Vokalsolisten, das ensemble ascolta und das Trio Accanto),
in denen dann wirklich Vielfalt, Weite und Schonungslosigkeit des
Ansatzes zu hören waren. Da waren als Uraufführungen mikrotonal
feine Verästelungen in „…für Viola und sechs
Stimmen“ des Österreichers Georg Friedrich Haas und in
Walter Zimmermanns „Das Zwiegespräch der zwei Rosen“,
beides kühne und grundverschiedene Lotungen in fragilen Intervallverhältnissen,
da war ein verblüffend frisches, geradliniges und zugleich
lustvoll kantiges Stück „spazio elastico“ von Olga
Neuwirth und ein schrundiges, aus zäher Tiefe sich windendes
„Gegenstück“ von Wolfgang Rihm. Hier blühte
Neues als Suche, als Wagnis, als Fund. Werke des englischen Exzentrikers
Jonathan Harvey, von Harrison Birtwistle und Rebecca Saunders sowie
das bestürzend um tiefere Exegese eines Lukas-Textes aus dem
Neuen Testament ringende „durch“ des Franzosen Mark
André rundeten den Eindruck ab. Pfade im Neuen wurden sichtbar,
die Lust wuchs, ihnen nachzugehen und nachzulauschen.