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nmz-archiv
nmz 2006/03 | Seite 38
55. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Erstaunliche Landschaften fernab des Gewohnten
Peter Eötvös dirigiert Smolka, Heider und sein neues
Klavierkonzert bei der musica viva
So manches lief im Vorfeld unrund beim 3. musica viva-Konzert
in München. Ursprünglich war ein Orchesterwerk des schon
seit langem schweigenden Münchner Komponisten Wilhelm Killmayer
vorgesehen, dazu mit Scelsis „Uaxuctum“ ein wegbereitendes
Chor-Orchester-Werk der Moderne, schließlich ein Klavierkonzert
des ebenfalls als Dirigent agierenden und niemals ruhenden Peter
Eötvös.
Schuf
das Klavierkonzert „CAP-KO“: Peter Eötvös.
Foto: Charlotte Oswald
Diesem Ruf des rastlosen Reisenden folgend dirigierte er gleich
am folgenden Abend ebenfalls das Symphonieorchester des BR in Augsburg
zur dortigen Mozartfeier, der gedrängte Zeitplan musste die
Fürsorge für den musica viva-Abend etwas ramponieren.
Killmayer jedenfalls war nicht aus letzter Reserve zu locken (obwohl
sein Orchesterwerk schon fortgeschritten zu sein scheint) und statt
Scelsi und später dann Berio (Sinfonia) wechselte man schnell
den Tschechen Martin Smolka mit einem reinen Chorwerk (nur ein Schlagzeuger
ergänzt einige Töne) ein. Für Killmayer hatte man
im nimmermüde komponierenden Fürther Komponisten Werner
Heider Ersatz gefunden. Irgendwie also köchelte der Abend auf
Sparflamme, wirkte verlegen zusammengeschubst.
Dennoch wurde es kein verlorener Abend. Das lag aber nicht an
Heiders uraufgeführtem Eröffnungsstück „Architektur“,
das sich bemühte, die architektonischen Baumaßnahmen
Projekt, Statik, Konstruktion und Interna in viersätzige musikalische
Korrelation zu bringen. Das geschah ebenso mit anschaulicher Versiertheit
wie mit arg abgestandenem Vokabular zeitgenössischen Handwerks,
wobei das Zweite zum Schaden des ganzen Werks überwog. Da wurde
viel Apparat in Gang gesetzt, die Kraftgesten, geboren aus einem
Überfluss an gestalterischer Enge, liefen aber ins Leere. Dass
im letzten Satz eine Wende zum Dezidierteren, zum splittrig aufgebrochenen
Klang versucht wurde, vermochte das Stück als Ganzes auch kaum
zu retten. Man erlebte Musik aus zweiter Hand. So kann Neues ganz
schnell alt aussehen.
Das 2000 in Donaueschingen uraufgeführte Chorwerk „Walden“
(nach Thoreau) des 1959 in Prag geborenen Martin Smolka geht hingegen
ganz andere Wege. Hier findet sich ein konzis eigener Ton fernab
von avantgardistischer Mechanik. Gleichwohl ist es in seiner bewusst
einfachen Wahl der Mittel, die freilich mit überlegenem Ohr
ineinander verkantet sind, geradezu verstörend frisch. Ein
Gutteil trug der vortrefflich disponierte Chor des Bayerischen Rundfunks
unter der Einstudierung durch Robert Blank dazu bei. Er sang ätherisch
schön, bewältigte die vertrackten viertel- und sechsteltönigen
Verschiebungen, die gerade bei einfacher Linie so schwer zu realisieren
sind, mit Anstand und bestach durch wunderbar sinnliche Formung
des immer wieder irritierenden Klangs. Es ist Musik, die sich um
Konventionen nicht schert und ins Weite blickt. Dass sie sinnliche
Süße nicht meidet, ist ihr, warum auch, schwerlich anzulasten.
Eine Chorleistung auf höchstem Niveau!
Schließlich folgte als einziges ursprünglich geplantes
Werk – und dies war ein Auftrag von fünf Orchestern gleichzeitig,
in dieser Form wohl neu in der Auftragslandschaft – das Béla
Bartók gewidmete Klavierkonzert „CAP-KO“ des
Ungarn Peter Eötvös. Eigentlich ist es ein Doppelkonzert,
denn der wie immer bestens präparierte Solist Pierre-Laurent
Aimard bediente sowohl einen klassischen Flügel als auch, und
zwar in erster Linie, ein Keyboard, also ein elektrisches Klavier.
Die Spannung zwischen beiden, zwischen Tradition und Zukunft, war
es, die den Klangsinn von Eötvös besonders herausforderte,
während das Orchester mit großem Schlagapparat als Prolongation,
als Resonanzkasten fungierte. Wie immer wusste Eötvös
erstaunliche Landschaften fernab von romantischem Orchestersound
hervorzuzaubern: blechern, topfig, mit gespreizter Gestik. Und der
Klavierpart blickte janusköpfig zu virtuoser Attitüde
aus alter Zeit und zu glitzernden Klangkoppelungen am elektrischen
Klavier. Hier erschien Virtuosität in neuem Gewand, herausfordernd,
kühn, drastisch. Alte Arpeggien standen neben neuen Kaskaden,
das Werk lebte gewissermaßen auf der Kante. Der Schluss-Satz,
in dem das Keyboard endgültig das Zepter übernommen hatte,
schnitt in schlagfertiger Kürze alles Verweilen auf dem Drahtseil
ab. Vielleicht ein bisschen zu vorschnell, der Rastlosigkeit von
Eötvös gemäß.