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nmz-archiv
nmz 2006/03 | Seite 39-40
55. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Ein zerplatzender Luftballon – der Tod als Absurdität
Beim Festival UltraSchall: Pascal Dusapins „Faustus, the
Last Night“ an der Staatsoper Unter den Linden uraufgeführt
Das Festival UltraSchall, eine gemeinsame Veranstaltung von kulturradio
rbb und Deutschlandradio Kultur, fand zum achten Mal in Berlin statt.
Sein Name erhielt in diesem Jahr eine zusätzliche Bedeutung,
verweist er doch auch auf Krach hinter den Kulissen. Die bisher
so fruchtbare Zusammenarbeit der verantwortlichen Redakteure Rainer
Pöllmann und Martin Demmler endete jäh im August 2005,
als das kulturradio seinen Redakteur Demmler in der bekannten Goebbelszitat-Affäre
fristlos entließ. Obwohl das Berliner Arbeitsgericht kurz
vor Festivalbeginn die Kündigung für unwirksam erklärte,
verlor Demmler mit seiner Stelle auch die Mitverantwortung für
UltraSchall. Ein zentrales Ereignis des Festivals war die Uraufführung
von Pascal Dusapins „Faust“-Oper in der Deutschen Staatsoper.
Viele
Fragen, keine Antworten: Mephisto (Hanno Müller-Brachmann)
und sein Faust (Georg Nigl). Foto: Ruth Walz
Französische Komponisten haben die Faust-Figur schon mehrfach
erfolgreich musikalisch verarbeitet, man denke nur an Berlioz und
Gounod. Das einst durch Gérard de Nervals Goethe-Übersetzung
ausgelöste französische Faust-Fieber ist heute verloschen.
Dennoch besitzt dieser wissensdurstige Forscher für den 1955
geborenen Pascal Dusapin weiterhin Attraktivität. In seinen
insgesamt fünf Bühnenwerken fühlte er sich oft zu
berühmten Stoffen hingezogen, zu Shakespeares „Romeo
und Julia“ oder dem antiken Medea-Mythos. Goethes Faust hingegen
ist für ihn eine zwiespältige Gestalt, die er lieber demontiert.
In seiner Faust-Version hielt sich Dusapin deshalb an den Shakespeare-Zeitgenossen
Christopher Marlowe und dessen „Tragical History of Doctor
Faustus“. Zusätzlich verwendete der Komponist in seinem
selbstverfassten Libretto Elemente aus vielen anderen Quellen, so
den altersweisen Säufer Sly aus Shakespeares „Der Widerspenstigen
Zähmung“, dazu Ideen von Dante, William Blake, Hölderlin,
Gertrude Stein, Herman Melville, Ingmar Bergman und nicht zuletzt
Samuel Beckett. Den Kern dieser bildungsbeflissenen Montage bildet
jedoch Marlowe, weshalb die Oper in englischer Sprache gegeben wurde,
glücklicherweise mit Einblendung der deutschen Übersetzung,
denn trotz Sprechgesang verstand man nur wenig.
Anders als bei Goethe findet keine Entwicklung mehr statt. Die
letzte Nacht vor dem Tod ist nur noch ein Countdown. Die Hauptfigur
fragt zwar weiterhin nach der Erde, nach dem Mond und dem Sinn der
Welt, erhält von Mephisto aber keine Antworten mehr. Für
Dusapin ist Faustus ein Größenwahnsinniger, vielleicht
ein Diktator, in jedem Fall ein „Höhepunkt alles menschlich
Bösen“. Er wird damit zum traurigen Bruder seines sympathischer
dargestellten Gegenspielers Mephisto. Es ist ein absurdes Paar,
zwischen dem es allenfalls Geplänkel, aber keine Konflikte
mehr gibt. Die wirklich bedrängenden Fragen, wie sie etwa Hanns
Eisler in seiner Faustus-Oper stellte (nicht 1962, wie im Programmheft
angegeben), fehlen. Das Programmbuch zeigt allerdings andere „absurde
Paare“: Franz Joseph Strauß und Helmut Kohl, Asterix
und Obelix, Dick und Doof, George Bush und den saudi-arabischen
König Fahd. Die Gegensätze zwischen Gut und Böse
lösen sich auf. Wirkliche Konflikte finden nicht mehr statt,
zumal Faustus machtlos ist. Sein erster Satz lautet „I cannot“.
Der Anfang trägt somit das Ende schon in sich. Wie bei Marlowe
ist auch bei Dusapin die Hölle aus dem Jenseits ins Diesseits
verlegt. Der eigentlich Böse ist deshalb nicht Mephisto, sondern
der zum Schluss auftretende Togod (zusammengesetzt aus „To
God“ und “Godot”), der Repräsentant der irdischen
Hölle, eine skrupellose und sogar von Mephisto gefürchtete
Figur. Togod hat das letzte Wort, mit einem Zitat aus dem Bergman-Film
„Persona“: „There is nothing“.
Trotz seines Studiums bei Olivier Messiaen versteht der Komponist
Iannis Xenakis als seinen musikalischen Vater. Wie dieser aus Architektur
und Mathematik Anregungen erhielt, so lässt sich Dusapin von
Literatur, Philosophie und Geschichte inspirieren. Der Faust-Stoff
mit seinen vielen Facetten scheint ihn sogar mehr beschäftigt
zu haben als die Musik, über die er im Programmheft kein Wort
verliert. Sie verwendet ein großes Orchester, ergänzt
um drei Blechbläser auf der Bühne und ein Tonband, und
wechselt zwischen bewegten Gesten, die häufig aus der großen
Perkussionsgruppe kommen, und erstaunlich konsonanten, überwiegend
statischen Klangflächen (zumeist der Streicher). Mit Ausnahme
des wiederkehrenden Tritonus-Intervalls als Diabolus in musica wird
der tiefere Sinn der unterschiedlichen Ebenen nicht genügend
deutlich. Auch von der explosiven Vitalität eines Xenakis war
wenig zu spüren.
Bei der Pariser Uraufführung seiner Oper „Perelà
– Uomo di Fumo“ hatte der Komponist mit Peter Mussbach
zusammengearbeitet. Wohl deshalb hat er sein neuestes Werk in Kooperation
mit der Opéra National de Lyon der Berliner Staatsoper Unter
den Linden anvertraut. Mussbach orientierte sich in seiner Inszenierung
am Textbuch. Faustus und Mephisto zeigte er als Zwillingsbrüder
oder Doppelgänger, Faustus (Georg Nigl) als größenwahnsinnige
Trauergestalt und Mephisto (Hanno Müller-Brachmann) als gutgelaunten
Spaßmacher. In ihren schwarzen Anzügen und den weißen
Glatzen waren sie äußerlich kaum zu unterscheiden. Eine
Jammergestalt war trotz seines charmanten Auftretens und trotz anspruchsvoller
Koloraturen auch der Engel (Caroline Stein), der seine Flügel
verlor und sich zum Schluss selbst in eine Einkaufstüte einbettete.
Togod (Jaco Huijpen, ein Bassbariton wie Faust und Mephisto) triumphierte
und mit ihm das absurde, häufig groteske Spiel. So erschien
Mephisto zum Schluss in Gestalt eines Kaninchens und löste
damit Heiterkeit aus. Bei der mitternächtlichen Todeserwartung
zerplatzte ein weißer Luftballon, Sinnbild für die Seele
des Titelhelden oder auch für die ganze Welt, nachdem der fette
Sly (mit tenoralem Schmelz Robert Wörle) damit gespielt hatte.
Dazu hörte man das Geräusch eines Küchengeräts,
eines Elektro-Mixers.
Das skandinavische Bühnenbildnerduo Elmgreen & Dragset
hatte eine riesige Uhr entworfen, die über neunzig Minuten
die Bühne beherrschte. Fausts Zeit war allerdings eine andere,
denn seine lange Nacht begann bereits um 14.40 Uhr und verlief dann
keineswegs linear. Mal bewegten die Zeiger sich rasch vorwärts,
dann blieben sie stehen oder gingen sogar rückwärts. Die
Zeit, das merkte man sofort, war aus den Fugen geraten. Auch das
Zifferblatt geriet in gefährliche Schräglage. An ihren
Zeigern turnten die Protagonisten hin und her, bis sie schließlich
die ganze Uhr demontierten.
Dieses absurde, manchmal allzu geschäftige Spiel war insgesamt
einsichtig – wenn nicht da noch die Musik wäre und die
Aufteilung der Oper in elf Nummern. Leider gab es zwischen der Bühne
(dazu gehörte auch Sven Hogrefes Lichtgestaltung) und Dusapins
Partitur kaum spürbare Korrespondenzen. Die Inszenierung griff
die Impulse der Musik zu wenig auf. Von der im Programmheft erwähnten
Funktion des Orchesters als kommentierender Tragödienchor war
nichts zu merken. Die Differenzierungen der Partitur verschwanden
hinter der einheitlichen Uhrenmetapher. Vielleicht wirkten deshalb
die Klänge aus dem Orchestergraben so wenig nach.
Die Sänger überzeugten, an ihrer Spitze der sonore Georg
Nigl und der stimmlich bewegliche Hanno Müller-Brachmann, ebenso
die von Michael Boder geleitete Staatskapelle. Trotz dieser guten
Leistung blieb das Ganze merkwürdig unbefriedigend. Eine bedrängende
Wirkung stellte sich nur selten ein, hingegen manchmal sogar Langeweile.
Erst der absurde, stille Schluss beeindruckte dann stärker,
so dass der Abend mit einhelligem Beifall endete.