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Ausgabe 2006/03
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nmz 2006/03 | Seite 40-41
55. Jahrgang | März
Oper & Konzert

Geräusche im Vorder- und Hintergrund

UltraSchall 2006 mit Musik aus Deutschland, Italien und Polen

Bei einem Blick in das Programmbuch bemerkt man die Auswirkungen dieser untergründigen Explosion und spürt die Schallwellen. Die beiden Schwerpunkte des diesjährigen Festivals, Franco Evangelisti und die polnische Avantgarde, waren offenbar ursprünglich zwischen den beiden Redakteuren aufgeteilt. Nach dem Rausschmiss des kulturradio-Redakteurs wurde die Hamburger Journalistin Margarete Zander in die Programmverantwortung hineingenommen. Das durch das neue Duo verantwortete Programmheft zeigt – Zufall oder kein Zufall? – deutliche Niveauunterschiede. Essayistisch formulierten Ausführungen stehen gesammelte Notizen und Gemeinplätze gegenüber. Kein Zweifel: Mit dem kulturradio hat auch das UltraSchall-Festival Schaden genommen.

Der Dirigent Martyn Brabbins. Foto: RBB/Kai Bienert

Bild vergrößernDer Dirigent Martyn Brabbins. Foto: RBB/Kai Bienert

Die klügeren Konzepte kamen also von jenem Sender, der „Kultur“ weiterhin großschreibt. Beispielhaft war ein Konzert der Neuen Vocalsolisten Stuttgart und der musikFabrik, das auf einleuchtende und spannende Weise Übergänge zwischen Stimmen und Instrumenten vorstellte. Den ungebremst emotionalen „Drei Liebesgedichten“ für sechs Stimmen von Georg Friedrich Haas mit überraschenden Obertonklängen folgte die einsame Selbstbespiegelung in Tiziano Mancas „Narcisse“ im asketischen Unisono zweier Männerstimmen. Originell hatte Andreas Dohmen in „Portraits und Wiederholung“ sieben Singstimmen um Diktiergeräte und Resonanztrommeln ergänzt. Stimmen und Instrumente waren gleichberechtigt in Fred Zellers „Jetzt“, das mit elementarem Material den Schaffensimpuls auskomponierte, ein Präludium zum nicht mehr folgenden Werk. Den Höhepunkt bildete Enno Poppes um zahlreiche Nebeninstrumente angereicherte Ensemblekomposition „Knabenträume“, vom Komponisten selbst dirigiert.

Italien

Der italienische Avantgardist Franco Evangelisti wurde anlässlich seines 80. Geburtstags umfassend vorgestellt. Bevor der Komponist 1962 in sein mehrjähriges Schweigen verfiel, hatte er noch zusammen mit dem Szenographen Franco Nonni seine Mimische Aktion „Die Schachtel“ entworfen. Dieses wegen seiner überwiegend visuellen Dimension für Rundfunkzwecke denkbar ungeeignete Projekt, mit dem die Retrospektive begann, war als künstlerische Tabula rasa auch für Konzertbesucher eine Herausforderung. Evangelisti wollte mit jeder Komposition etwas kompromisslos Neues schaffen und mit der Aleatorik den Musikern ein „Feld von Möglichkeiten“ bieten. „Random or not Random“ (Zufall oder kein Zufall), sein einziges Orchesterwerk, besteht nur aus Notaten struktureller Ideen. Konsequent spielte es das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Roland Kluttig zwei Mal in verschiedenen Versionen. Der Unterschied war erstaunlich: vernahm man beim ersten Mal eine Folge überwiegend geräuschhafter Einzelereignisse, so meinte man beim zweiten Mal trotz großer Pausen einen gerichteten Prozess zu hören. Da diese Zufallsstudie John Cage und seiner „exquisiten Poesie des Nichts“ gewidmet war, stellte sich eine Querverbindung zu Dusapin und dessen ebenfalls zum Festival gehörender „Faustus“-Oper her.

Bei diesem Orchesterkonzert im Großen Saal des Konzerthauses kam VOID II für Saxophon, Klavier und Schlagzeug mit Orchester von Nikolaus Brass zur Uraufführung. Angeregt durch das Jüdische Museum Daniel Libeskinds enthält die Komposition strukturelle Leerräume, die – anders als bei Evangelisti – nicht menschliche Freiheit symbolisieren, sondern Verlust und Vernichtung. Diesen hohen künstlerischen wie moralischen Anspruch löste Brass zumindest teilweise durch das Gegenüber pulsierender Glockenspielklänge, orchestraler Schreie und differenziert auskomponierter Statik ein. Noch mehr überzeugte die Streicherkomposition „The Nameless City“ des früh verstorbenen Fausto Romitelli, dessen Schaffen beim nächsten UltraSchall-Festival umfassender vorgestellt werden soll. Dagegen konnte die DAAD-Stipendiatin Lucia Ronchetti die philosophischen Ambitionen ihres Orchesterstücks „Schiffbruch mit Zuschauer“ nicht einlösen.

Mit kleiner besetzten Werken bot die Italienerin aber an einem eigenen Abend einen sehr anregenden Kontrast zu ihrem französischen DAAD-Kollegen Mark André. So differenziert das ensemble recherche dessen Werke für Ensemble, Bassklarinette solo und Streichtrio spielte, so zeigten sie in der Beschränkung auf leise Geräusche doch immer wieder die gleiche Verweigerungshaltung des Lehrers Lachenmann. Lucia Ronchettis Musik wirkte vielgestaltiger, beweglicher und geistesgegenwärtiger. Ganz neue Klangwelten eröffneten sich in „Il sonno di Atys“, einer Studie für Viola und Live-Elektronik. Dass die Römerin, eine Schülerin von Busotti, Sciarrino und Grisey, auch eine hochbegabte Komödiantin ist, bewies sie in ihrer neuen Vokalkomposition „Pinocchio, una storia parallela“ für vier Männerstimmen, von den Neuen Vocalsolisten mit ebenso virtuosem Witz vorgetragen wie die abschließende Commedia harmonica „Anatra al sal“, eine Meditation über das Kochen.

Choroper „Angst“

Zur Uraufführung der Choroper „Angst“ von Christian Jost war man mit großen, vielleicht zu großen Erwartungen gekommen. Konnte dieses Thema noch eindringlicher gestaltet werden als schon 1909 in Schönbergs Monodram „Erwartung“? Angst entsteht aus Ungewissheit. Bei Jost aber war sie durch den Werktitel und den ambitionierten Untertitel „Fünf Pforten einer Reise in das Innere der Angst“ vorgegeben und verpuffte wohl auch deshalb.

Angst entsteht aus dem Vorstoß in kaum mehr beherrschbare Grenzbereiche. Der Komponist berührte solche Bereiche weder im instrumentalen noch im vokalen Teil. An das kleine Instrumentalensemble aus Bläsern, Klavier und vier Celli, den Chor und die Vokalsolisten stellte er spiel- und gesangstechnisch eher konventionelle Anforderungen. Auch kompositorisch waren trotz der Jazzanklänge keine riskanten Grenzüberschreitungen zu beobachten.

Die im gesungenen Text dargestellten Angstsituationen vermittelten sich mangels Textverständlichkeit nur wenig. Wer das Libretto nicht gelesen hatte, ahnte nichts von den besungenen Berg-, Keller- und Dusch-Szenen. Allenfalls aus den Schals und Pudelmützen der Sänger und Sängerinnen ging indirekt die Bergsteigersituation des Anfangs hervor. An der Installation von Gottfried Pilz leuchtete das rot-weiße Plastikband, das die Bühne als Gefahrenzone vom Zuschauerraum trennte, am stärksten ein. Dagegen erwiesen sich die dekorativen Filmprojektionen als wenig aussagekräftig, sie erzielten eben nicht jenen fordernden Dialog mit der Musik und den Protagonisten, den Andreas Schlaegel angestrebt hatte. Wenn die Aufführung dennoch eine gewisse Wirkung besaß, so dank der engagierten Präsenz des von Simon Halsey geleiteten Rundfunkchors Berlin. Er absolvierte die vielstimmigen Klangauffächerungen ebenso bravourös wie die ihm abverlangten Bewegungen und Drehungen rund ums Notenpult.

Polen

Polen wurde repräsentiert durch die Altmeister Krzysztof Penderecki, Witold Szalonek und Witold Lutoslawski, deren Musik laut Programmbuch „zu Herzen geht und große Feiern mit nostalgischer Sehnsucht füllt“, sowie durch Vertreter der mittleren und jüngeren Komponistengeneration. Bei einem Orchesterkonzert des Berliner Sinfonie-Orchesters konnten sich der 1954 geborene Tadeusz Wielecki und der 1947 geborene Krzysztof Knittel nur mühsam gegen die Älteren behaupten, die auch beim Silesian String Quartet prominent vertreten waren. Während Penderecki und Szalonek als Komponisten und Lehrer Brücken herstellten zur deutschen Musikkultur, ist die jüngere Generation an deutscher Musik und Sprache wie überhaupt an musikalischen Verbindungen zu Sprache und Philosophie wenig interessiert. Für sie besteht der „Kern der Musik“ im Klang, in computergenerierten Elementen und Minimal Music holländischer Provenienz, wie ein Konzert in der Sophienkirche bestätigte. Cezary Duchnowski, ein Gründer des Elektronischen Studios in Breslau, ergänzte Violinen und Akkordeon (Monada 1) sowie die vielseitige Solostimme Agata Zubels (Trawy Rozcochrane) mit faszinierender Wirkung um naturalistisch und abstrakt wirkende elektronische Klänge. Er beeindruckte damit stärker als Aleksandra Gryka, die ihre beiden Kammermusikwerke allzu bereitwillig in gefälliges Barockpathos einmünden ließ, oder als der aus Krakau stammende Marcel Chyrzynski mit seiner Minimal-Music-Adaption. Dobromila Jaskot konzentrierte sich in „The Spiral of Light“ auf ein Klangspektrum, das sie konsequent auf- und abbaute. Als einziger Komponist dieses Programms bezog sich der zwischen Lodz und Berlin pendelnde Michal Talma-Sutt auch auf deutsche Einflüsse sowie auf Witold Szalonek im dichten Klanggewebe seiner „Notturni di sogni“ für Blockflöte, Flöte und Live-Elektronik.

Hanna Kulenty. Foto: RBB/Ultraschall

Bild vergrößernHanna Kulenty. Foto: RBB/Ultraschall

Das schlecht besuchte Schlusskonzert war wieder Polen gewidmet, dem Programmbuch zufolge dem „Altmeister und seinen Jüngern“. Wojciech Ziemowit Zych, Hanna Kulenty und Cezary Duchnowski bestritten allerdings im vorangehenden Komponistengespräch die behauptete Abhängigkeit von Witold Lutoslawski. Zych bekannte sich vielmehr zu Schnittke und Kurtág als seinen Meistern. Allenfalls könne man das Programm, so Duchnowski, mit „Zwei Meister und zwei Jüngere“ überschreiben – seine zehn Jahre ältere Kollegin Hanna Kulenty stellte er damit gleichberechtigt neben Lutoslawski. Zwischen den feinen Pastellfarben in Lutoslawskis Orchesterliedern „Chantefleurs et Chantefables“ und den meist aufdringlich grellen Tönen der übrigen Werke klafften Welten. Noch am differenziertesten gab sich Zychs 1. Sinfonie, die nur wenig an Kurtág und Schnittke erinnert, vielmehr Einflüsse der Wiener Schule mit denen der Minimal Music verbindet. Wie hierzulande einst die Komponisten der Neuen Einfachheit entdeckte der heute dreißigjährige Pole damit seine eigene Musiksprache.

Bewusst konventionell legte Hanna Kulenty 2003 ihr Trompetenkonzert an. Sie selbst sprach von einem „klassischen Stück“ in der Art Prokofieffs. Die knalligen Farben, die hier das Deutsche Symphonie Orchester unter Martyn Brabbins bot, dazu die hummelflugartige Virtuosität des Solisten Marco Blaauw erinnerten eher an Katschaturjans „Säbeltanz“, die formelhaft-repetitive Webart aber an den Minimalismus, den Kulenty bei ihrem Lehrer Louis Andriessen in Den Haag kennenlernte. Der nachdenkliche, in ein stehendes Tritonusintervall einmündende Schluss bildete die einzige Überraschung bei diesem publikumswirksamen Stück.

Wollte Christian Jost ins Innere der Angst vorstoßen, so Cezary Duchnowski mit seinem Werk „Brama (Das Tor)“ für Symphonieorchester und Computer nicht minder ehrgeizig zur Schwelle zwischen Leben und Tod. Mehr als bei Jost hörte man hier allerdings, dass sich Ungeheuerliches ereignet. Die Komposition begann leise im solistischen Akkordeon und bevorzugte auch danach mit Bassklarinette und Kontrabässen ungewohnte Klangregionen des Orchesters, die es schließlich elektronisch effektvoll erweiterte. Obwohl hier eine großräumige Entwicklung nachvollziehbar war, verzichtete auch Duchnowski nicht auf pulsierende Flächen nach Art des Minimalismus und auf pomphaft donnernde Pauken. Trotz ihrer Bekenntnisse zu Elektronik und Mathematik lieben die jungen Polen das Pathos.

Wie zuvor ein Abend mit polnischer Kammermusik lief auch dieses Konzert unter dem Titel „Musik der Gegenwart“. Die bekannte Konzertreihe des kulturradios wurde also nicht eingestellt, wie zunächst befürchtet, sondern durch Ultraschall-Behandlung gerettet. Ansonsten aber hat der in die Schlagzeilen geratene Sender, bei dem laut Jingle-Werbung „die Klassik spielt“, die von Martin Demmler siebzehn Jahre lang redaktionell betreute Neue Musik längst in den Hintergrund gedrängt. Trotz UltraSchall-Festival.

Albrecht Dümling

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