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nmz-archiv
nmz 2006/03 | Seite 10
55. Jahrgang | März
Cluster
Zu alt fürs Kulturradio
Das Kulturradio von Radio Berlin/Brandenburg (rbb) ist schon ein
Knüller. Es dümpelt zwar nur um eine Quote von 0,9% Höreranteil,
aber es ist aktiv. Es ist philosophisch. Es ist: zum Heulen. Die
Intendantin freut sich über die Senkung des Alters des Durchschnittshörers
auf 52,9 Jahre. Es lag schließlich mal bei etwa 60. Eine helle
Freude. Aber das Kulturradio dümpelt bei konsequent 0,9%. Sie
haben die älteren Hörer erfolgreich aus ihrem Programm
vertrieben und der rbb freut sich darüber. Nicht mit Recht,
aber mit Brecht. Ganz unbewusst zitiert die Intendantin Reim ihn
in einer Rundfunkratssitzung: „Sie müssen sich schon
ein anderes Volk suchen, wenn Ihnen das Volk, das Sie haben, nicht
gefällt.“ Das meint sie nicht so, aber das macht sie
so. Weg mit den Alten. Sollen die doch ihre Plattensammlung endlich
mal aufbrauchen und ihre Thomas-Mann-Bände lesen. Es ist ja
dies nichts Neues. Immer wieder hört man das Lamento über
die Überalterung des Publikums: im Konzert, in der Oper, im
Chor um die Ecke. Die sterben sowieso weg und sind ohnehin nur alt.
Was soll man mit denen. Wir brauchen es bunt und laut, fetzig, knallig,
jung eben. Egal, ob auch die Künstler alt sind. Keith Jarrett
60, Herbie Hancock 70, György Kurtàg 80 und Luigi Nono
schon tot. Wer alt ist, braucht keine Kultur mehr, er ist Kultur.
Aber Arbeiten soll man bald länger – nur ohne Kulturradio,
nur ohne Arbeit. Eine tolle Idee. So philosophisch, so brechtisch,
so frisch; geradezu so pränatal. Und so ablenkend. Von Programmqualität
mag keiner mehr reden. Kein Wunder also, wenn nicht mehr, sondern
nur Jüngere zuhören. Von denen gibt es dummerweise zu
wenig.